Alain spannt den Bogen / Beethoven 250: Junge Interpreten triumphieren

2020 ist Corona- UND Beethoven-Jahr. Aber leider tritt das Jubiläum des Bonner Meisters stark in den Hintergrund, weil eben viele Konzerte und geplante Aufführungen zu seinen Ehren abgesagt werden mussten. Bleiben dem Musikfreund dann der Griff ins eigene Beethoven-Archiv oder das Zulegen neuer, interessanter Veröffentlichungen. Wir haben an dieser Stelle einige der schönsten Aufnahmen zusammengestellt, die in den ersten vier Monaten des Beethoven-Jahres erschienen sind.
Fangen wir mit einer tollen Gesamtaufnahme der Streichquartette an. 2019 hat das Berliner Kuss Quartett alle Beethoven-Streichquartette in der Suntory Hall in Tokio aufgeführt und live für Rubicon (Bestellnummer RCD1045) aufgenommen. Die Musiker spielten zu diesem Anlass auf vier original Stradivari-Instrumenten, dem sogenannten Paganini Stradivarius-Set, das die Nippon Music Foundation dem Quartett freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Das Resultat kann sich hören lassen, weil der Hörer hier vier sehr individuelle Stimmen hört und auf einen wirklich homogenen Gesamtklang verzichten muss. Das vertieft aber die Architektur der Quartette, sodass wir sie quasi mit messerscharfen Nuancen erleben können. Hinzu kommt das sehr dynamische und lustvolle Spiel des Kuss-Quartetts, das jedes Mal die Gunst der Stunde nutzt und durchgehend sehr kommunikative Interpretationen anbietet.
Die Eleganz und Ausgewogenheit des Spiels werden durch Spontanität und Eindringlichkeit optimal ergänzt. Hier erlebt man dann die ganze Entwicklung der Beethoven’schen Kunst hautnah mit. Vom ungetrübten, humorvollen Vorwärtsdrängen der frühen Quartette über das Suchende der mittleren bis hin zu der Modernität der späten Quartette. In diesen Interpretationen ist eigentlich alles enthalten, was Beethovens Streichquartettwerk charakterisiert, und das auf schönste und überzeugendste Weise.
Dynamische Aufnahme
Eine andere hochinteressante CD widmet sich den eher unbekannten Werken für Mandoline und Klavier, die der junge Beethoven wohl nicht aus wirklicher Überzeugung komponiert hat, sondern eher, weil er ein Auge auf eine adlige Dame geworfen hatte, die dieses Instrument spielte. Herausgekommen sind einige charmante Stücke, die zwar nicht an den großen Beethoven heranreichen, aber trotzdem interessant zu hören sind. Julien Martineau, Mandoline und Vanessa Benelli Mosell, Klavier interpretieren die fünf Stücke mit Hingabe und nehmen sie in ihren Interpretationen nicht auf die leichte Schulter. Martineau erweist sich als ein wahrer Poet auf dem Instrument, während die Pianistin versucht, den typischen Beethoven in dem Klavierspiel zu suchen. Herauskommt eine sehr dynamische, dialogfreudige und vielschichtige Aufnahme der Beethoven-Werke, die hier noch von der „Grande Sonate“ von Johann Nepomuk Hummel, „Lettre à l’immortelle bien-aimée“ von Corentin Apparailly (*1995), „Rondino“ von Fritz Kreisler und das poppige „A Fifth of Beethoven“ (für Mandoline, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug) von Walter Murphy (*1952) ergänzt werden und ein wirkliches Hörvergnügen bieten. Die CD ist bei naïve (Bestellnummer V7083) in hervorragender Klangqualität erschienen.
Die folgende Aufnahme ist eine wirkliche Entdeckung. Beethovens 6. Symphonie für Streichsextett in der Bearbeitung von Michael Gotthard Fischer ist einfach eine wunderschöne, stimmige und äußerst farbenprächtige Aufnahme. Das Ensemble Les Pléiades spielt dieses Werk mit allergrößter Hingabe und einer Intensität, die uns an keiner Stelle das Symphonieorchester vermissen lässt. Im Gegenteil, Beethovens wohl kammermusikalischste Symphonie blüht hier in der Besetzung mit Originalinstrumenten richtig auf. Die sechs Damen von Les Pléiades lassen spielerisch nichts zu wünschen übrig und die hervorragende Aufnahmetechnik lässt den Hörer tatsächlich glauben, er liege auf einer blumigen Wiese im Freien. Die Interpretation ist sehr natürlich, alle Stimmen fügen sich nahtlos ineinander und Les Pléiades verleihen der Pastoralen einen wunderbar natürlichen Atem. Mit gleicher Intensität und Spielkultur erklingt danach dann Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ in der Originalfassung für Streichsextett. Auch hier garantieren die sechs Musikerinnen, die alle Mitglieder des historisch informierten Orchesters Les Siècles sind, absolute Präzision und ein ebenso stimmungsvolles, wie auch konkretes Musizieren. Eine Beethoven- bzw. Schönberg-CD von NoMadMusic (Bestellnummer: NMMO70), die in keiner Sammlung fehlen sollte.
Sanfter Riese
Kann man heute noch von Referenzaufnahmen sprechen? Im Falle der großen Werke der Klassik liegen mittlerweile oft über hundert ernstzunehmende Aufnahmen in glänzenden Interpretationen vor. Ob historisch informiert, klassisch, analytisch, experimentell, der Hörer findet alles, was er begehrt und lernt somit die verschiedensten Facetten eines Werkes ganz genau kennen. Eine Aufnahme, die ich trotzdem ohne zu Zögern zu den besten zähle, ist diese Neueinspielung von Beethovens Violinkonzert mit der Solistin Lena Neudauer an der Violine. Zusammen mit Marcus Bosch und der Cappella Aquileia bringt sie es fertig, eine Interpretation vorzulegen, die sowohl der historisch informierten Praxis wie auch dem klassisch romantischen Gestus oder einer modernen Leseart gerecht wird. Neudauers Spiel besitzt Kraft und Griffigkeit, ihr dunkler, manchmal sogar rauer Ton lässt die Ecken und Kanten des Werkes hervorragend zur Geltung zu kommen, um dann im nächsten Moment wieder mit einem sehr lyrischen, fast gesanglichen Spiel genau die Gegenseite von Beethovens Wesen zu beleuchten. Die Solistin interpretiert Beethoven als sanften Riesen, reibt sich an ihm auf und versöhnt sich zugleich wieder mit ihm. Das gibt ein enormes Spektrum an Expressivität, ohne dabei je in zu romantische, effektvolle Gefühlsregionen vorstoßen zu wollen.
Technisch ist Lena Neudauer brillant und man darf sie in einem Atemzug mit Anne-Sophie Mutter, Isabel Faust, Thomas Zehetmaier oder Leonidas Kavakos, wenngleich sich ihr Spielstil auch sehr deutlich von dem der Genannten absetzt. Kein Zweifel, Lena Neudauer ist eine persönlichkeitsstarke Interpretin, die ganz im Sinne des Komponisten und seines Werkes arbeitet. Dass diese Aufnahme auf cpo (Bestellnummer:777 559-2) aber ab heute zu den besten gezählt werden muss, liegt auch an Markus Bosch, der in völligem Einvernehmen mit der Solistin seine Cappella Aquileia zu einer Höchstleistung anspornt und zeigt, dass man besten Beethoven auch ohne große Pultstars und Eliteorchester spielen kann. Das von Bosch gegründete Orchester Cappella Aquileia zeigt, dass in ihm nicht nur sehr talentierte, sondern zudem auch hoch motivierte Musiker sitzen, die mit ihrem Spiel so manches weltbeste Orchester blass aussehen lassen. Dieser Beethoven ist eine Sternstunde und mit dem Prädikat wertvoll unbedingt zu empfehlen.
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