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Die luxemburgische Sprache trotzt zahlreichen Sprachpessimisten, die das Luxemburgische durch das Deutsche und Französische bedroht sehen. Über 400.000 Menschen, mehr als jemals zuvor, sprechen Luxemburgisch. Tendenz steigend. Das ist eines der Ergebnisse, die Fernand Fehlen, Soziologe und Dozent der Uni Luxemburg, in seiner neu erschienenen Forschungsarbeit vorstellt. Janina Strötgen

Was ist ein Nationalstaat in Zeiten der Globalisierung heute noch wert? Eine Frage, mit der Fernand Fehlen seine neu erschienene Forschungsarbeit „Une enquête sur un marché linguistique multilingue en profonde mutation – Luxemburger Sprachenmarkt im Wandel“ gleich zu Anfang der Präsentation in einen weiten Kontext setzt. Denn die Überzeugung, dass Sprache nicht nur ein Kommunikationsmittel ist, sondern vor allem eine entscheidende Rolle bei der Positionierung einer Gesellschaft spielt, ist in der Arbeit des Soziologen ausschlaggebend.

„De l’Etat à la nation … et à la langue“

Seit es Luxemburg gibt, zeichnet sich das Land durch seine Mehrsprachigkeit aus. Dass diese aber nicht immer nur als Trumpf, als wertvolles Gut der luxemburgischen Gesellschaft angesehen wird, hat mit der Geschichte und der Entstehung des Luxemburgischen selbst zu tun. Deshalb stellt Fehlen seinen empirischen Forschungsergebnissen einen historischen Überblick voraus, der auf knapp 30 Seiten Rolle und Funktion der luxemburgischen Sprache im Kontext der geschichtlichen Ereignisse darstellt – von der Schaffung des luxemburgischen Nationalstaates durch den Wiener Kongress 1815, über den Aufbau eines jenen während des 19. Jahrhunderts, die Besatzung des Großherzogtums durch das Deutsche Reich im 1. und 2. Weltkrieg, bis hin zum Sprachengesetz von 1984.
Nur durch die Geschichte sind protektionistische Anwandlungen und ablehnende Haltungen vor allem gegenüber dem Deutschen zu verstehen. Sie dauern bis heute an und werden durch die jetzige wackelnde Weltordnung oft noch verstärkt: Intuitives Unbehagen kann aufkommen, wenn man zum Beispiel bei seinem Bäcker um die Ecke sein Croissant auf Französisch kaufen muss. Die Angst vor Entfremdung vom eigenen Land wächst und mit ihr das Bedürfnis nach nationaler Identität, die sich wiederum zu einem großen Teil durch eine Nationalsprache definiert.

Die Sprache als Motor zur Integration

Zu beweisen, dass diese intuitive Angst zwar nicht unbegründet, doch aber überflüssig ist, ist Fehlen mit seiner empirischen Arbeit, die auf der „Baleine“-Studie aus dem Jahr 1997 aufbaut, gelungen. „Die luxemburgische Sprache erlebt derzeit wieder eine reale Aufwertung“, so Fehlen. Noch nie gab es so viele Luxemburgisch-Sprecher wie heute, noch nie haben so viele Menschen Luxemburgisch als Fremdsprache gelernt.
Neben der Bedeutung des Luxemburgischen sowohl für die nationale Identität des Landes als auch für die Integration der Ausländer untersucht Fehlen auch die Mehrsprachigkeit und macht interessante Entdeckungen: Während das Französische zwar an Prestige verliert, dennoch die Zahl der Sprecher weiterhin zunimmt, ist das Deutsche generell auf dem Rückzug. Fehlens Umfragen zufolge wird das Deutsche als die hässlichste, altmodischste und unkultivierteste der vier Sprachen Luxemburgisch, Französisch, Englisch und Deutsch angesehen.
Angesichts der Tatsache, dass das Deutsche die Alphabetisierungssprache der Luxemburger ist und auch die meisten Printmedien in deutscher Sprache verfasst werden, versucht die Studie auch das Paradoxon zwischen subjektiver Empfindung und objektivem Gebrauch zu entschlüsseln.
Das Buch gibt nicht nur einen guten Überblick über die Sprachentwicklung in Luxemburg und über die Sprachattitüden der luxemburgischen Bevölkerung, sondern vertritt vor allem die optimistische Überzeugung, dass sich verschiedene Sprachen durch ihre Koexistenz nicht bedrohen, sondern bereichern. Wenn es die Gesellschaft denn will …

Une enquête sur un marché linguistique multilingue en profonde mutation – Luxemburgs Sprachenmarkt im Wandel
Von Fernand Fehlen

Die Veröffentlichung ist aus einem FNR-Forschungsprojekt hervorgegangen und erscheint – mit der Unterstützung des „ministère de la Famille et de l’Intégration“ – in der RED-Reihe des „SeSoPi Centre intercommunautaire“.
245 Seiten, 25 Euro