Ausdruck, der die Zeit überdauert

Ausdruck, der die Zeit überdauert

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

„Das hier ist eher eine Museumsausstellung, denn verkaufen lassen sich die Fotos nicht“, sagt Marita Ruiter, Inhaberin der Galerie Clairefontaine. Die Bilder des deutschen Fotografen Dieter Appelt seien nicht so leicht zugänglich, fügt sie hinzu. Vielleicht liegt es daran.

Heike Bucher

Mit Appelts Schwarz-Weiß-Fotos hatte die Galeristin bereits vor 13 Jahren ihre zweite Galerie „Galerie Clairefontaine, Espace II“ in der rue du St-Esprit eingeweiht. Neun Jahre nach der ersten, die nur ein paar Schritte weiter an der place de Clairefontaine liegt. Seitdem finden die Vernissagen fast immer zeitgleich statt, obgleich meist sehr Unterschiedliches gezeigt wird.

40 Jahre Künstlerleben

Wie jetzt zum Beispiel: Fotos von Dieter Appelt in der einen und Bilder und Skulpturen des kürzlich verstorbenen Österreichers Alfred Hrdlicka in der anderen Galerie.
Auch Hrdlicka war bereits zu Gast in Luxemburg und in Ruiters Galerie, viermal insgesamt. „Beim letzten Mal haben wir viele seiner Bronzestatuen rund um den Platz aufgestellt, es war toll“, schwärmt Ruiter. Das war 1995, als Luxemburg zum ersten Mal europäische Kulturhauptstadt war. In Ruiters Galerie gibt es ein Album mit Fotos, die das bezeugen: das Aufstellen der Statuen, der Rundgang der politischen Prominenz inklusive Jean-Claude Juncker und Oskar Lafontaine und natürlich die Galeristin im Arm des Künstlers.

„Hrdlicka sah aus wie ein Berserker, aber er war ein unglaublich feinsinniger und gebildeter Mann“, sagt Marita Ruiter. Gerne hätte sie vor zwei Jahren eine Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag gemacht, sagt sie, aber da ging es dem Künstler gesundheitlich schon recht schlecht. Wirklich erholt hat er sich dann nicht mehr. „Aber ich bin froh, dass ich so kurz nach seinem Tod noch die Gelegenheit bekommen habe.“

In der Ausstellung sind überwiegend Zeichnungen und Drucke des Österreichers zu sehen, bunt gemischt aus 40 Jahren Künstlerleben. Und trotz der großen Zeitspanne ist sich Hrdlicka thematisch treu geblieben. Seine Bilder zeigen vor allem Menschen. Menschen in Gruppen, fast schon ganze Knäuel von Menschen. Menschen, die sich wehtun oder welche, die sich aneinanderkrallen.
Unterdrückung und Unterwerfung, politisch und sexuell, das waren Hrdlickas Themen, immer wieder. Und er engagierte sich mit seinen Skulpturen eindeutig gegen Krieg und Faschismus.
„Er nahm kein Blatt vor den Mund, scheute keine Auseinandersetzung und machte sich dadurch natürlich nicht nur Freunde“, sagt Ruiter. Nur bei seinen jüngeren Bildern scheint er müde und weniger genau geworden zu sein. Da wird die Linienführung gröber und auch die Motive sind verwaschener.

Starke Positionen in der Kunst

„Ich habe eine Vorliebe für starke Positionen in der Kunst. Die gibt es leider immer seltener“, sagt Marita Ruiter. Und es klingt fast wie eine Entschuldigung. „Junge Künstler machen oft Bilder, Fotos oder Skulpturen, die sie für großartig halten. Die meisten davon sind aber schon einmal da gewesen und waren besser. Das wissen diese jungen Leute aber nicht, weil ihnen einfach die Vorbildung fehlt“, bemängelt sie. Ihre Ausstellungen sehe sie deshalb auch – zumindest zum Teil – als Weiterbildung an. Mit ihnen möchte sie zeigen, dass es Menschen gibt, deren kreativer Ausdruck die Zeit überdauert. Auch wenn sich das nicht unbedingt verkaufen lässt, wie die Fotos von Dieter Appelt.

„Appelt hat in seinen Fotos etwas, das jeden anspricht“, sagt Ruiter, „so etwas wie eine innere Kraft.“ In der Tat, Appelts Fotos fallen auf. Sie fangen den Blick ein und fesseln ihn. Doch hinter der vordergründigen visuellen Ästhetik lauert die eigentliche Botschaft und damit das eventuell Unangenehme. Appelt zeigt den Menschen – sein Modell ist er fast ausnahmslos selbst – als einsames Geschöpf, das leiden und Schmerzen ertragen muss.
In einer Fotoreihe steckt sein Kopf in einer Art Haube aus Spiegeln. Die Konturen sind unscharf und der Blick des Mannes nicht auf jedem Bild zu erkennen. Trotzdem hört man ihn fast schreien, so nah führt einen der Künstler an die Person heran.

Der Daumen als Symbol?

Auf einer anderen Reihe sieht man den immer gleichen Daumen, der seitlich im immer gleichen Mund steckt. Diese Erkenntnis von Daumen und Mund stellt sich allerdings erst allmählich ein, nachdem man alle anderen Kombinationsmöglichkeiten von Körperöffnungen und Fingern ausgeschlossen hat. Dennoch bleibt der gewollte Rest an Zweifel bestehen: die Ähnlichkeiten zwischen Mund und After sind verblüffend.

„Ja, manche sehen darin eine erotische Komponente, ich glaube aber, dass dieser Daumen, mit dem er sich den Mund verschließt, nur darstellen soll, dass er sich das Singen verboten hat“, vermutet Ruiter. Dieter Appelt hatte seine Gesangsausbildung zugunsten der bildenden Kunst aufgegeben. Der Daumen als Symbol? Kann sein, Appelts Arbeit bedient sich vieler symbolischer Bilder. Die kann man spüren.

Alfred Hrdlicka
Espace I
7, place de Clairefontaine
L-1341 Luxembourg

Dieter Appelt
Espace 2
21, rue du St-Esprit
L-1475 Luxembourg

Bis zum 20. Februar
Di.-Fr.: 14.30-18.30 Uhr
Sa.: 10-12 und 14-17 Uhr
Tel.: (+352) 47 23 24
www.galerie-clairefontaine.lu