Auf den Punkt und ohne Kompromisse

Auf den Punkt und ohne Kompromisse
(Tageblatt/Fabrizio Pizzolante)

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Mit seinen sozialkritischen Gesellschaftsporträts trifft der amerikanische Dramatiker Neil LaBute den Nerv der Zeit. Seit Jahren ist Désirée Nosbusch vor allem von seinem Stück "Tag der Gnade" fasziniert.

Jetzt hat sie die Gelegenheit, mit Herbert Knaup als Regisseur und Roman Knizka als Mitspieler, das Stück auf die Bühne zu bringen. Ein Besuch im Kapuzinertheater.

Tag der Gnade
Neil LaBute

Regie: Herbert Knaup
Mit: Désirée Nosbusch& Roman Knizka

Vorstellungen:
Am 10., 14., 16. und 17. Januar im Kapuzinertheater
Am 19. und 20. Januarim Escher Theater

Tickets und Info:
www.theatres.lu
www.theatre.esch.lu

Herr Knaup, man kennt Sie vor allem als Schauspieler, aus Film und Fernsehen, aber auch von der Theaterbühne. Jetzt wechseln Sie die Seiten und führen Regie. Warum machen Sie das?

„Ja, warum mache ich das, das weiß ich auch nicht. Eigentlich hat es sich ergeben, da Désirée mit dem Stück unter dem Arm ankam und es ihre Idee war, dass ich Regie führe. Der Wunsch, Regie zu führen, ist für mich nicht neu, ich komme ja vom Theater. Dann hat es natürlich gepasst, dass mich das Stück sehr interessiert hat.“

Désirée Nosbusch: „Ich trage das Stück schon einige Jahre mit mir herum, ich wollte es unbedingt einmal spielen. Bei einer Lesung habe ich gemerkt, dass die Thematik sehr gut ankommt. Außerdem wollte ich schon immer mal mit Frank Feitler zusammenzuarbeiten. Er meinte zu mir, wenn du einmal ein Stück hast, für das du brennst, dann komm. Und dann kam ich mit LaBute. Danach ging alles ganz schnell. In einem Lokal in Berlin stellte ich mir das Stück mit Herbert und Roman vor. So entstand mein Bild im Kopf.“

Herr Knaup, was sind Sie für ein Regisseur? Sehen Sie die Schauspieler eher als Marionetten für Ihre persönliche Interpretation des Stückes oder erarbeiten Sie die Rollen gemeinsam mit ihnen?

„Als Schauspieler hat man ja immer eine gewisse Vorstellung davon, wie ein richtig guter Regisseur sein sollte. Ich wollte nicht so ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Regisseur sein und suche nach anderen Formen. Manchmal gelingt es mir, manchmal merke ich aber auch meine eigene Ungeduld. Dann bin ich wie alle anderen. Doch ich glaube an die Wechselwirkung. Der Schauspieler bietet dem Regisseur etwas an, was der Regisseur dann weiterentwickelt.“

D.N.: „Da der Regisseur, im Gegensatz zum Schauspieler, das Gesamtbild vor Augen hat.“
H.K.: „Ja, genau.“

In „Tag der Gnade“ spielt Ben mit dem Gedanken, sich aus dem realen Leben in ein Traumleben zu mogeln, sich nach den Terroranschlägen am 11. September in New York tot zu stellen und mit seiner Geliebten ein neues Leben anzufangen. Kennen Sie das Gefühl, sich aus dem Staub machen und neu anfangen zu wollen?

„Ich kenne das, ja. Ich war auch schon in Lebenssituationen, in denen ich die Vergangenheit am liebsten ausradieren und irgendwo neu anfangen wollte. Flüchten, der Wunsch aus der Welt zu sein, das kennt, glaube ich, jeder irgendwann mal.“

D.N.: „Aber man kann ja nicht vor sich selbst wegrennen. Deinen Kopf nimmst du schließlich immer mit. Um bei null anfangen zu können, müsste man ihn ja ausschalten können.“

Was spricht Sie an dem Stück besonders an?

Désirée Nosbusch: „Ich finde das Stück so grandios, weil es mit 9/11 nur am Rande etwas zu tun hat und es LaBute darum geht, zu zeigen, zu welchen Reaktionen der Mensch fähig ist. Welche Mann-Frau-Dynamik sich in Extremsituationen entwickeln kann. Abbey weiß ganz genau, welche Knöpfe sie drücken muss, um Ben zum Explodieren zu bringen. Und, ganz ehrlich, so eine Art kenne ich von mir auch. Mehrmals im Stück ging mir durch den Kopf ‚Oh Mann, den Satz hast du ja auch schon einmal gesagt‘. Abbey provoziert Ben bis aufs Blut. Sie will ihn zur Ehrlichkeit treiben.“

H.K.: „Und das geht nicht. Ben lässt sich nicht so weit treiben, dass er seiner Frau und vor allem seinen Kindern die Wahrheit sagt. Er will schließlich nicht als böser Vater, sondern lieber als toter Held in ihrer Erinnerung bleiben. Er ist ein Mann. ‚Tag der Gnade‘ ist ein Beziehungsstück. Emotional geht es ans Eingemachte. Das versuchen wir herauszuschälen. Und es muss schon weh tun.“

Ist Neil LaBute für Sie ein typisch amerikanischer Dramatiker?

H.K.: „Man unterstellt den Amerikanern oft eine gewisse Oberflächlichkeit. Aber liest man ihre Romane und schaut sich ihre Filme und Theaterstücke an, dann merkt man schnell, dass es auch ein Amerika gibt, das in die Tiefe geht und kritisch mit der eigenen Gesellschaft umgeht. Zu diesem Amerika gehört LaBute.“

D.N.: „Im positiven Sinn ist Neil LaBute typisch amerikanisch. Seine Sprache ist schnell, er schreibt auf den Punkt und analysiert ohne Rücksicht auf Verluste.“

Gleichzeitig sind die Stücke LaButes aber auch leicht zugänglich …

D.N.: „Ja. Aber das täuscht. Man denkt, man könne das Stück schnell herunterlesen. Aber beim Spielen merkt man sofort, dass jedes Komma überlegt ist, jeder Beat sitzt und er kein Wort zu viel verwendet. Man unterschätzt ihn leicht.“

H.K.: „LaBute ist ein sehr guter Beobachter, außerdem ist er sehr musikalisch. Jedes Wort ist ein Transportmittel für den Schauspieler, um zu dem Pfeil zu kommen, den er dann auf seinen Partner abzielt.“