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Alain spannt den BogenMarco Battistella: „90 Prozent deiner Arbeit haben nichts mit Technik zu tun, sondern mit Psychologie“

Alain spannt den Bogen / Marco Battistella: „90 Prozent deiner Arbeit haben nichts mit Technik zu tun, sondern mit Psychologie“
Marco Battistella Editpress

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Marco Battistella ist Toningenieur und Produzent. Der Luxemburger hat sich auf CD-Produktionen und Live-Konzertmitschnitte spezialisiert. Das Tageblatt hat sich mit ihm über seine Arbeit unterhalten.

Ich habe gerade hier eine ältere CD-Aufnahme aus dem Jahre 1960 vor mir liegen. Auf der Rückseite findet man Bezeichnungen wie Executive Producer, Producer, Tonmeister, Editor. Was bedeuten sie eigentlich konkret?

Marco Battistella: Nun, die Bedeutung von vielen dieser Bezeichnungen hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Auch hängt ihre Definition von den jeweiligen Ländern ab. Ein Tonmeister in Deutschland ist nicht unbedingt das Gleiche wie ein Tonmeister in Österreich oder England.

Versuchen wir es mal mit einer allgemeinen Hierarchie.

Also ganz oben steht der Executive Producer. Das ist meistens das Plattenlabel, das den Auftrag für eine Aufnahme vergibt. Also der Geldgeber. Dann folgt der Producer oder Tonmeister. Er ist der eigentliche Chef der Aufnahmeleitung und der direkte Vermittler zwischen dem Produzenten und dem Künstler. Ein Producer kann aber auch gleichzeitig ein Dirigent sein, wie das im Falle von Herbert von Karajan war, der auch immer selbst gerne am Aufnahmepult saß und seine eigenen Klangvorstellungen persönlich realisierte. Dann gibt es noch den Recording Producer oder Aufnahmeleiter, der für den technischen Ablauf verantwortlich ist, sowie den Toningenieur, der keine Noten lesen muss, sondern ebenfalls für technische Abläufe wie beispielsweise die Klangbalance verantwortlich ist. Den Beruf des Recording Producer gibt es seit Anfang der 50er Jahre, als die goldene Ära der Schallplatte begann. Er fungierte als Vermittler zwischen den Musikern und den Technikern. Heute ist es aber so, dass viele dieser Aufgaben von ein und derselben Person ausgeführt werden. Die BBC beispielsweise ist dagegen aber sehr streng, da ist jeder Tonbereich sehr klar abgegrenzt. Meistens sind es alles Toningenieure, die einen speziellen Aufgabenbereich haben. Da kommen noch Editor und die Postproduction hinzu, die sich um die Schneidetechnik bzw. den Mix, Schnitt und das Mastering kümmern.

Dann kam die ganze Sparte der Aufnahmetechnik also erst so richtig mit den Anfängen der Stereophonie ins Spiel …

Auch noch in der Mono-Ära, aber Sie haben recht, mit der Stereophonie und diesem ganz neuen Klangerlebnis eröffneten sich aufnahmetechnisch ganz neue Wege. Übrigens, die ersten Stereoaufnahmen wurden schon Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre in der Berliner Staatsoper Unter den Linden mit den Berliner Philharmonikern und Wilhelm Furtwängler im Auftrag von Adolf Hitler gemacht. So schlimm es auch ist, aber es waren die Nazis, die die Aufnahmetechnik enorm nach vorn gebracht haben. Damals arbeitete man mit Röhrenmikrofonen, einer Röhrenbandmaschine und nur zwei Mikrofonen. Das Resultat war sensationell.

Sie selbst sind Toningenieur und Produzent für CD-Produktionen und Live-Konzertmitschnitte. Wie genau verläuft Ihre Arbeit?

Nun, da gibt es keinen hundertprozentig gleichen Ablauf. CD-Produktionen verlangen beispielsweise eine ganz andere Vorgehensweise als Live-Mitschnitte. Bei CD-Produktionen stelle ich die Mikrofone auf, nehme mit dem Künstler das Musikstück auf und kann in Nachhinein noch korrigieren resp. neu aufnehmen. Bei einem Live-Konzert ist das nicht der Fall. Da müssen die Mikrofone optimal stehen und auch ausbalanciert sein. Ich kann dies bei einer Live-Übertragung ja nicht mehr im Nachhinein verbessern. Meine Aufgabe besteht natürlich auch in vielen persönlichen Gesprächen mit den Künstlern, die eine CD aufnehmen wollen. Sie kommen ja zu mir, weil sie meine Arbeit kennen und schätzen. Dann erarbeiten wir ein gemeinsames Konzept und das Resultat soll so nah wie möglich an dieses Wunschkonzept herankommen. Dazu gehört natürlich auch die Location, der Ort, wo man aufnimmt. Jeder Saal ist anders und klingt auch verschieden, je nachdem ob er leer ist oder mit Publikum besetzt. In Luxemburg, wo ich ja auch regelmäßig aufnehme, sind die Philharmonie und die alte Villa Louvigny wirklich ideale Locations.

Es gibt doch sicher auch verschiedene Aufnahmekonzepte.

Ja, man unterscheidet hauptsächlich zwischen zwei großen Aufnahmephilosophien. Die eine funktioniert mit vielen Mikrofonen, die Balance wird dann nachträglich am Mischpult erzeugt. Für die andere braucht man nur zwei oder sehr wenig Mikrofone. Und hier wird die Balance bereits vor der Produktion optimal eingestellt. Bei vielen Mikrofonen erhält man nie sofort eine optimale Balance, weil hier die Erzeugung der Räumlichkeit mit Tiefe und Breite des Klangbildes sehr schwierig ist und eben nur in der Nachbearbeitung so gut wie möglich erreicht werden kann. Es ist eine Kompromissarbeit. Wenige Mikrofone erzeugen ein besseres Raumgefühl und sind demnach viel einfacher zu verarbeiten. Aber auch hier muss man wieder den Unterschied zwischen Live- und Studioaufnahmen machen. Vor kurzem ist die neue CD mit der Flötistin Hélène Boulègue bei Naxos erschienen. Für die Aufnahme mit den Streichern des Orchestre Philharmonique du Luxembourg habe ich beispielsweise nur sechs Mikrofone benutzt, zwei für die Flötistin, zwei in den Streichergruppen und zwei hinter dem Dirigenten Gustavo Gimeno. Das ergibt ein optimales, natürliches und sehr räumliches Klangbild.

Gibt es denn oft große Unterschiede zwischen den Künstlern und Ihnen, was die Erwartungen betrifft?

Nein, meistens nicht. Es sind ja oft die gleichen Künstler, die wiederkommen. Und sie kommen ja wieder, weil sie meine Arbeit kennen und das Resultat schätzen. Es ist mir bisher drei oder vier Mal vorgekommen, dass Künstler und ich zu weit auseinander lagen. Macht man dann weiter, ist meistens eine Partei nachher unzufrieden. In einem solchen Falle rate ich den Musikern, sich einfach einen anderen Produzenten zu suchen, der ihren Erwartungen besser entgegenkommt. Das ist ja auch nicht schlimm, am Ende soll eben jeder mit dem Resultat zufrieden sein.

Wer hat denn das letzte Wort bei einer CD-Produktion?

Beim technischen Team ist es der Producer, in dem Falle ich. Ansonsten ist es ein Kompromiss zwischen dem Künstler und mir. Aber da geht es eigentlich nur noch um Kleinigkeiten. Es geht natürlich auch um Vertrauen. Und meistens haben die Künstler schon dieses Vertrauen in das technische Team. Man muss natürlich immer zum Dialog bereit sein. Als ich mit meinen Studien fertig war, gab mir mein Lehrer folgenden Satz mit auf den weg: „Vergiss nicht, 90 Prozent deiner Arbeit haben nichts mit Technik zu tun, sondern mit Psychologie.“

J.Scholer
5. Mai 2020 - 17.31

@venant: Seien wir nicht so hartherzig, verzeihen wir denen ihre Unwissenheit, dass es einmal Telefone mit Wählscheibe gab, Schallplatten auf 75, 33,45 „Touren“ liefen . Mir , aber Sorge macht, in einigen Jahren es Zeitgenossen gibt ,denen Buch und Handschrift fremd sind.

venant
4. Mai 2020 - 20.38

"Ich habe gerade hier eine ältere CD-Aufnahme aus dem Jahre 1960 vor mir liegen. "

Das glaube ich kaum, damals gab es nicht mal Kassetten.