Kino13. Auflage des CinEast-Festivals: Politische Filme aus Belarus

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„Crystal Swan“, „Lake of Happiness“ und „II“ wurden vor den Protesten in Belarus gedreht, nahmen aber die Ereignisse in Minsk bereits vorweg

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Mensch konnte bisweilen den Verantwortlichen des CinEast immer eine kommunitaristische Tendenz vorwerfen. Nur so lassen sich die fast drei Wochen, die das Festival dauert, und die riesige Filmauswahl erklären. Das CinEast wuchs über seine 13-jährige Existenz stetig. Doch dieses Jahr setzte diesem Trend einen Stopp. Aufatmen. Waren es im vergangenen Jahr über 60 Filme, so hat man bis einschließlich Sonntag bei dieser Ausgabe aus etwas weniger als 50 Spielfilmen aussuchen können. Dass jedoch gerade dieses Jahr Belarus in den CinEast-Topf geworfen wird, ist überaus spannend. Der kommunitaristische Gestus gibt einer realen gesellschaftlichen Dringlichkeit und politischen Brisanz die Klinke in die Hand. Und da kann Radek Lipka – künstlerischer Leiter des Festivals – noch so oft wiederholen, dass Politik zweitrangig ist: Belarus’ Präsenz beim CinEast-Festival 2020 ist per se politisch. Zwei Spiel- und ein Kurzfilm sind im Programm mit dem Stichwort Belarus getagged. Und so verschieden in Handlung, Ton und Form, so verbindet diese drei Werke doch einiges.

„Crystal Swan“ ist der Debütfilm der Regisseurin Darya Zhuk. Minsk, 1996. Belarus ist erst seit einer Handvoll Jahren unabhängig und ein während des ganzen Films ungenannter Lukashenko befindet sich schon seit zwei Jahren an der Macht. Das hält die Protagonistin des Films jedoch nicht davon ab, zu träumen. Der aufmüpfigen Velya reicht es nämlich. Als angehende DJane sehnt sie sich danach, nach Chicago zu ziehen. An den Geburtsort von House. Ihr Englisch ist einwandfrei, wie auch ihr selbstbewusstes Auftreten. Nur scheitert sie an der noch nicht ganz aus der Sowjetzeit befreiten Bürokratie. Spätestens wenn sie nicht ganz durchdacht ein Arbeitszeugnis inklusive Telefonnummer einer Kristallfabrik fingiert und erfährt, dass die amerikanische Botschaft die Nummer tatsächlich durchwählen will, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich schnellstens an den Telefonapparat hinter der Nummer zu setzen. Dieser Apparat steht jedoch in einer Wohnung in der belarussschen Provinz. Go West muss warten.

Darya Zhuks Film ist kein Film über den amerikanischen Traum. Sondern einer über die Notwendigkeit eines solchen hanebüchen romantisierenden Traums, der die Tristesse zu Hause erträglicher macht. Die Regisseurin, based in New York, benutzt Elemente des amerikanischen Coming-of-Age Filmes, ohne jedoch komplett auf dessen Manierismen zurückzugreifen. Es wäre ein Einfaches, dann noch einen amüsanten Clash der Kulturen – nicht zwischen Ost und West, sondern Stadt und Provinz – zu inszenieren. Doch dem geht die Regisseurin ganz bewusst aus dem Weg. Zhuks Film rutscht im letzten Akt in ziemlich düstere Gewässer, in die er vielleicht gar nicht zu rutschen brauchte. Zu schön war es, mit Velya zwischen Leninstatuen und mit Kompaktkassetten abzuraven.

Mit Alina Nasibullina hat die Regisseurin eine Schauspielerin gefunden, die in diesem Film und mit ihrer Harte-Schale-weicher-Kern-Attittüde ihre Rolle sehr gut erfüllt. Durchaus verständlich, diese charismatische Präsenz und bunten Vogel inmitten der grauen belarussischen Conditio zu setzen. Die autobiografischen Elemente sind herauszulesen. Zhuk hat es bekanntlich nach Übersee geschafft. Ob dergleichen für Velya in „Crystal Swan“ passiert, bleibt offen. Für die Regisseurin ist die Bilanz jedoch von imminenter Wichtigkeit. Das belarussische 1996 ist dem Belarus von heute sehr ähnlich. Und dafür verantwortlich ist die Generation der Eltern, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion rein gar nichts an den autoritären Verhältnissen geändert hat.

Die junge Generation, die von der Erwachsenengeneration durch und durch enttäuscht wird, lässt sich wie ein roter Faden durch die belarussischen Beiträge beim CinEast ziehen. Vlada Senkovas zweiter Spielfilm mit dem einfachen Titel „II“ hat zwei Figuren im Mittelpunkt, die aus verschiedenen Gründen von ihren Mitmenschen an den Rand gedrückt werden. Sasha und Nastya besuchen nach ihrem alltäglichen Schulunterricht einen Privatlehrer, um Polnisch zu lernen. Das Ziel ist, zusammen in Warschau zu studieren. Sasha ist schwul und Nastya erfährt durch eine nicht ganz sauber geschrieben und dadurch vorhersehbare dramaturgische Wendung, dass sie HIV-positiv ist. Die beiden Jugendlichen müssen mit den vorgefassten Meinungen der Gesellschaft – Freunde und Familie inbegriffen – versuchen, zu (über)leben.

Nachgeschmack des Kommunismus

In „Lake of Happiness“, einem Kurzfilm von Aliaksei Paluyan, wird das junge Mädchen Jasja auch alleine gelassen. Nach dem Tod ihrer Mutter übernimmt die knapp Achtjährige die Aufgaben im Haushalt und die Verantwortung um die noch kleinere Schwester, während der Vater arbeitet. Dieser entscheidet jedoch, das Mädchen in ein Internat zu stecken. Als er den versprochenen Besuch am Wochenende nicht wahrnimmt, packt die enttäuschte Jasja ihren Rucksack und spaziert nach Hause. Nur um dort mit einer Familienrealität konfrontiert zu werden, die sie als solches nicht erwartet hätte.

Wird die Individualistin in Crystal Swan mit der Unumgänglichkeit des Kollektivismus eiskalt konfrontiert, so müssen die jungen und noch jüngeren Figuren aus „II“ und „Lake of Happiness“ Trost bei ihresgleichen suchen um den untolerierten und ausgegrenzten Weg des Lebens zu gehen. Dass systemische Homophobie und irrationale Angst vor HIV und AIDS in den alten Sowjetländern wüten, dürfte bekannt sein. Dass sich hinter dem ersten, ganz konkreten Plan der Prämisse von „II“ etwas ganz anderes versteckt, ist im Kontext von Belarus im Jahr 2020 herauszulesen. Nur im Miteinander ist das Leben in dem osteuropäischen Land zu meistern. Und wer weiß, vielleicht ist im Miteinander ein Ausweg zu finden aus über 25 Jahren Lukaschenko und dem Nachgeschmack des Kommunismus. Sei es eine kleine Demo, eine innige Umarmung oder ein mit Büchern improvisierter Tischtennistisch – die letzten Sequenzen der belarussischen CinEast-Filmauswahl nahmen die Realität in Minsk vorweg (alle drei Produktionen waren lange vor dem revolutionären Ausbruch abgedreht). Umgedreht verstärken die Bilder aus Minsk die Kraft der Bilder der jungen FilmemacherInnen.

„II“ wird am Samstag um 16.30 Uhr ein letztes Mal im Sall Krieps der Abtei Neumünster gezeigt. „Crystal Swan“, „Lake of Happiness“ und „II“ sind weiterhin im Streaming-Angebot des CinEast zu sehen.