Alain spannt den BogenZwei Top-Orchester trumpfen auf

Alain spannt den Bogen / Zwei Top-Orchester trumpfen auf
Sir Simon Rattle und das LSO spielen Bruckners 4. Symphonie Foto: Sébastien Grébille

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Beim zweiten Konzert des London Symphony Orchestra am 22. September stand Bruckners 4. Symphonie im Mittelpunkt, die Symphonie Bruckners, die wohl am häufigsten umgearbeitet wurde. In seiner Einleitung bezeichnete Sir Simon Rattle das Werk als ein „work in progress“, bei dem man selbst als Dirigent gerne die Übersicht verliert.

Im ersten Konzertteil präsentierte Rattle dann zuerst den 3. Satz Scherzo in der Erstfassung von 1874. Bruckner hatte diesen Satz komplett verworfen und für die späteren Versionen ein neues Scherzo komponiert. Anschließend stellte er die zweite von insgesamt drei Finale-Fassungen vor, nämlich das 1878 komponierte Volksfest-Finale. Nach der Pause erklang dann die komplette Symphonie in der „endgültigen“ und im Konzertsaal meistens gespielten Fassung von 1878/80.

Während Blomstedt und die Wiener Philharmoniker zwei Wochen vorher einen sehr homogenen, klangschönen und in sich ruhenden Bruckner interpretiert und das romantische Element in den Mittelpunkt gerückt hatten, gingen Rattle und das LSO etwas dynamischer und direkter an die Musik heran, schärften die Kanten und zeigten die Modernität dieser sogenannten finalen Fassung.

Rattle und seine Musiker nutzten dann auch die Akustik für ein lebendiges, dreidimensionales und sehr transparentes Klangbild, bei dem die Musik und somit die verschiedenen Instrumentengruppen oft schichtweise übereinandergelegt und auch so vom Publikum erlebt werden konnten. Die insgesamt schlüssige, temperamentvolle und äußerst spannende Darbietung wurde vom Publikum mit Begeisterung und Standing Ovations gefeiert.

Brahms vor Bruckner

Am vergangenen Montag stand dann ein weiteres Bruckner-erprobtes Orchester auf der Bühne, um den 125. Todestag des Komponisten zu feiern. Die Münchner Philharmoniker, vor allem bekannt durch die legendären Bruckner-Aufführungen von Sergiu Celibidache, hatten die 6. Symphonie im Gepäck – seine „Keckste“, wie Bruckner selbst diese Symphonie gerne bezeichnete.

Bereits die Aufnahmen dieses Orchesters mit dem Dirigenten Oswald Kabasta in den 40er Jahren zeigen, wie meisterhaft hier Bruckner verstanden und interpretiert wird. Vor ihm hatten Ferdinand Löwe und Siegmund von Hausegger die Bruckner-Tradition eingeleitet, die dann später von Eugen Jochum, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache und Christian Thielemann weitergeführt wurde.

Heute ist Valery Gergiev Chef des Orchesters und natürlich versucht auch er, seinen Bruckner zu erarbeiten. Und das macht er gar nicht schlecht. Wenn mir auch die Tempi etwas langsam sind, die Dynamik und Emotionen in den Hintergrund verbannt werden, so besticht seine Interpretation doch durch ein klares Konzept, deutliche Linien, einen wohlausbalancierten Orchesterklang und eine eher objektive Leseart.

Besser als seine Bruckner-Interpretation gefiel mir das 1. Klavierkonzert mit dem Ausnahme-Pianisten Igor Levit, der inzwischen zu einem der interessantesten und besten Pianisten der Gegenwart herangewachsen ist.

Mit Spielkultur, Zartheit, Virtuosität und einer absoluten Präzision ließ er den Hörer dieses monumentale Konzert quasi neu entdecken. Feine Ziselierungen, wunderbare poetische Momente, eine leichtfüßige Virtuosität und Spielfreude eröffneten neue Perspektiven, die im Orchesterpart kongenial gespiegelt wurden. Gergiev nahm sich selbst und seinen Hang zu Manierismen diesmal zurück und stellte sich ganz in den Dienst des Werkes und seines Solisten. Ein schöner Orchesterklang, eine ausgewogene Interpretation und ein optimales Verständnis zwischen Solist, Dirigent und Orchester ließen diesen Brahms als einen ganz großen musikalischen Moment erscheinen.

Isabelle Faust & Friends

Nach so viel Orchesterglanz und Bruckner-Klangpracht tat es dann gut, wieder ein Kammerkonzert vom Feinsten zu hören. Am Dienstag spielten Isabelle Faust & Friends „Fünf vierstimmige Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier II“ von Johann Sebastian Bach, in einer von Mozart für Streichquartett arrangierten Fassung, das c-moll Streichquintett op. 104 von Ludwig van Beethoven sowie Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“.

Isabelle Fausts Freunde waren Anne Katharina Schreiber, Violine, Timothy Ridout und Danusha Waskiewicz, Bratsche, Jean-Guihen Queyras und Christian Poltéra, Cello. Bereits in den ersten Takten war klar: Hier waren Interpreten am Werk, die die Musik gegen den Strich kämmen und sich nicht mit einem klangschönen Spiel begnügen wollten. Bereits Mozarts Transkriptionen der vierstimmigen Bach-Fugen klangen mit Faust, Schreiber, Ridout und Poltéra recht rau und in der Behandlung der Linien auch recht modern.

Ja, hier waren wirkliche Solisten am Werk, und somit wurde auch jede Stimme solistisch behandelt. Bei solchen All-Stars-Formationen kann das schon mal gehörig in die Hose gehen, nicht aber bei Isabelle Faust & Friends. Das Ensemble wusste seine individuellen Stärken in den Dienst der Musik zu stellen und somit eine interpretatorische Homogenität zu erreichen.

Dass die Musiker von der historisch informierten Aufführungspraxis stark beeinflusst sind, zeigte sich dann auch bei Beethovens Quintett op. 104 für 2 Violinen, 2 Bratschen und Cello, was ebenfalls eine Bearbeitung ist, und zwar die des frühen Klaviertrios c-Moll op. 1/3.

Die Interpreten (Faust, Schneider, Ridout, Waskiewicz und Queyras) spielten mit wenig Vibrato und scharfen Akzenten, die somit geradlinige, schnörkellose Aufführung gab dem Werk eine ungeheure Innenspannung und passte besser zu Beethoven als zu den Mozart/Bach-Fugen, die am Ende dann doch etwas zu aufgeraut wirkten.

Nach der Pause dann die wunderbare „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg, eines der letzten postromantischen Kammermusikwerke. Dieses Werk wird ja oft, und das besonders in der Streichorchesterfassung, zu romantisch und klangschön gespielt. Die somit entstehenden flirrenden und impressionistischen Farben wichen hier in der Originalfassung für Streichsextett einem spröden, markanten Klanggebilde, das wiederum die solistischen Stimmen (und Stärken) in den Vordergrund stellte. Der dunkel timbrierte Klang passte hervorragend zu der Interpretation, sodass auch diese mit Intensität und Präzision gespielte „Verklärte Nacht“ zu einem gestalterischen wie interpretatorischen Hochgenuss wurde, der vom Publikum mit begeistertem Applaus aufgenommen wurde.