ExklusivZwei Österreicher berichten dem Tageblatt von ihren erfolglosen Versuchen, den Flughafen Kabul zu erreichen

Exklusiv / Zwei Österreicher berichten dem Tageblatt von ihren erfolglosen Versuchen, den Flughafen Kabul zu erreichen
US-Soldaten bewachen eine Straßensperre nahe dem Flughafen: Viele wollen nichts als raus aus Afghanistan, allen wird das kaum gelingen Foto: AFP/Wakil Kohsar

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Selbst wer schon einen Platz auf einem Evakuierungsflug aus Kabul hat, ist noch lange nicht in Sicherheit. Das mussten Menschen aus Luxemburg erleben, die in Kabul festhängen. Und das erleben auch zwei Österreicher, die seit Tagen einmal an den Taliban, dann an amerikanischen und ein andermal sogar an deutschen Soldaten scheiterten.

Chaos, Verzweiflung und Gewalt rund um den Flughafen von Afghanistans Hauptstadt. Und täglich wird es schlimmer. Tausende Afghanen hoffen auf eine Gelegenheit, nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban mit westlichen Flügen außer Landes zu kommen.

Viele wohl vergeblich. Doch auch die Evakuierung von jenen, die eines der begehrten „Einfach-Raus-Tickets“ ergattert haben, läuft alles anders als rund. Das müssen auch zwei Brüder aus Österreich erleben, die trotz dringender Reisewarnung des Außenministeriums und ungeachtet der sich zuspitzenden Lage am Hindukusch vor sechs Wochen nach Kabul geflogen sind.

Auch die neun Einwohner Luxemburgs schafften es am Sonntag Jean Asselborn zufolge nicht zum Flughafen. Die Lage sei unverändert, sagte Luxemburgs Außenminister gegenüber RTL. Inzwischen aber gebe es diplomatische Kontakte mit Deutschland, um die Luxemburger in einem Militärkonvoi zum Flughafen zu geleiten.

Leben für Liebe riskiert

Einer der beiden afghanisch-stämmigen österreichischen Staatsbürger wollte seine große Liebe heiraten, die er vor zwei Jahren bei einem Besuch in der alten Heimat kennengelernt hatte. Die Hochzeit in Herat fand tatsächlich statt, aber dann schlugen die Brüder alle Bitten ihrer seit vielen Jahren in Österreich gut integrierten Familie, das Land schleunigst zu verlassen, in den Wind. Jetzt sitzen sie wie rund 50 weitere Österreicher im Chaos vor dem Kabuler Flughafen fest. Nur vier konnten bisher ausgeflogen werden.

Die Taliban beteuern, niemandem mit gültigen Reisepapieren den Weg zum Airport zu versperren. Tatsächlich scheiterte ein Evakuierungsversuch für die Österreicher am Freitag nicht an den Taliban. Donnerstagabend hatten sie vom Wiener Außenministerium eine E-Mail erhalten, die sie aufforderte, tags darauf bis acht Uhr früh zum North Gate des Flughafens zu kommen. Dort würden ein Taliban, ein US-Soldat und ein ungarischer Militär ihre Papiere kontrollieren. Danach sollten sie mit einer ungarischen Militärmaschine nach Buchara in Usbekistan ausgeflogen werden. Um die Weiterreise von dort nach Österreich hätten sich die Geretteten selbst zu kümmern, wurde ihnen aus Wien mitgeteilt.

Sie haben es geschafft: Ein von den US-Streitkräften zur Verfügung gestelltes Bild zeigt eine Gruppe Menschen vor ihrer Evakuierung
Sie haben es geschafft: Ein von den US-Streitkräften zur Verfügung gestelltes Bild zeigt eine Gruppe Menschen vor ihrer Evakuierung Foto: AFP/US Marine Corps/Mark Andries

Dieses Problem hätten die beiden gern gelöst. Doch tatsächlich lief nichts wie geplant, wie Abdullah N. (Name geändert) dem Tageblatt schildert: „Es waren deutsche Soldaten vor besagtem Gate und haben uns einfach ignoriert.“ Dabei sprechen die beiden Linzer perfekt deutsch. Auch US-Soldaten sind ein Hindernis auf dem Weg zum Flughafen: „Sie schießen mit Maschinengewehren und gehen mit Tränengas vor“, so N. Im Außenministerium in Wien bestätigt Sprecherin Gabriele Juen: „Die Amerikaner haben kommuniziert, dass Nicht-Afghanen keinen Zugang zum Flughafen bekommen.“

Taliban drängen Europäer auseinander

Ein aus Mitarbeitern des österreichischen Außenministeriums und Bundesheeres bestehendes Krisenteam ist zwar inzwischen in Kabul eingetroffen, konnte bislang aber auch nichts ausrichten. Am Sonntag erhielten die Österreicher per WhatsApp zwar die Mitteilung, dass die Ungarn weitere Evakuierungsflüge nach Usbekistan durchführen würden. Am Weg zum Airport bleiben die Hürden jedoch unüberwindbar. Das North Gate sei weiter geschlossen, so das Wiener Außenamt, es gebe aber „vereinzelte Möglichkeiten über das Abby Gate“. Die Aufforderung, die Österreicher sollten sich in Gruppen mit anderen EU-Bürgern vom Hotel Baron am Rande des Flughafengeländes zum Abby Gate bewegen und sich dort durch Rufe wie „Hungary“, „Magyar“ oder „Ungarn“ bemerkbar machen, erwies sich als undurchführbar.

Die Europäer werden immer wieder von den Taliban auseinander gedrängt, sobald sie sich vorm Hotel in Gruppen formieren. Dies geschieht auch mit teils heftigen Schlägen. Schutz können die Festsitzenden keinen erwarten. „Es kann vor dem Hotel und auf dem Weg zum Abby Gate kein Schutz gewährt werden“, schreibt das Wiener Außenamt den Landsleuten in Kabul.

Ehefrau ohne Chance

Die Plätze auf Evakuierungsflügen seien gesichert, das Problem bleibe jedoch der Weg zum Flughafen, betont Sprecherin Juen gegenüber dem Tageblatt. Vielleicht ergibt sich heute wieder eine Chance. Ein neuer Hoffnungsschimmer für die Österreicher. Nicht jedoch für die frisch gebackene Ehefrau. Sie ist Afghanin und hat ohne Aufenthaltstitel keine Chance auf einen Flug aus dem Chaos.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) lehnten am Wochenende einmal mehr die Aufnahme von Afghanen strikt ab. Nehammer äußerte sich zudem „schockiert“ über die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die am Samstag die EU-Länder mit Blick auf die Afghanistan-Krise aufgefordert hatte, ihre Quoten für Umsiedlungen von Flüchtlingen innerhalb des UNHCR-Programms zu erhöhen.

Im Chaos um und auf dem Flughafen von Kabul sind in den vergangenen sieben Tagen insgesamt mindestens 20 Menschen ums Leben gekommen, davon sieben alleine am Samstag und Sonntag. Diese Zahl berichtet ein NATO-Vertreter der Nachrichtenagentur Reuters. „Unser Fokus ist die Evakuierung aller Ausländer so schnell wie möglich“, sagt er.

Äußerst seltener Schritt: USA nehmen Fluggesellschaften in die Pflicht

Die USA haben eine Beteiligung ziviler Fluggesellschaften an ihrer Rettungsaktion für zehntausende Staatsbürger und Afghanen aus Kabul angeordnet. Wie das Pentagon am Sonntag mitteilte, aktivierte Verteidigungsminister Lloyd Austin in einem äußerst seltenen Schritt die sogenannte zivile Reserve-Luftflotte (CRAF). Demnach sollen 18 Passagierflugzeuge von US-Fluggesellschaften wie Delta und American Airlines die Armee beim Weitertransport von aus Kabul geretteten Menschen unterstützen.
An dem US-Evakuierungseinsatz sind bereits dutzende US-Militärmaschinen beteiligt, die Schutzbedürftige aus Kabul zu US-Luftstützpunkten in der Golfregion sowie zur US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz bringen. Die Flugzeuge der privaten Fluggesellschaften sollen nach Angaben des Pentagon beim Weitertransport der Geretteten von den Luftstützpunkten in Bahrain, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten in ihre Zielländer helfen.
Nach Angaben des Pentagon flog die US-Armee seit Beginn der Rettungsaktion am 14. August rund 17.000 Menschen aus Kabul aus, davon 2.500 US-Bürger. Nach Angaben des Weißen Hauses befinden sich noch bis zu 15.000 weitere US-Bürger in Afghanistan. Hinzu kommen 50.000 bis 60.000 afghanische Ortskräfte und ihre Familienmitglieder. (AFP)