AKW RemerschenZwei Atomkraftwerke in 15 km Entfernung: Wie der Super-GAU an der Mosel verhindert wurde

AKW Remerschen / Zwei Atomkraftwerke in 15 km Entfernung: Wie der Super-GAU an der Mosel verhindert wurde
 Sacha Pulli mit seinem Werk Foto: Editpress/Alain Rischard

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Viel hätte nicht gefehlt und zwei Atommeiler hätten in 15 Kilometer Abstand zueinander an der Mosel gestanden. Während Cattenom gebaut wurde, scheiterte das „Jahrhundertprojekt“ Remerschen. Historiker Sacha Pulli hat die Geschichte der Atomzentrale in Remerschen von 1973 bis 1979 nachgezeichnet und im Buch „Das gescheiterte Jahrhundertprojekt“ zusammengefasst.    

Die Energieversorgung in Luxemburg wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in erster Linie von der SEO garantiert. Das Pumpspeicherwerk aus Vianden speiste ab 1964 seinen Spitzenstrom in das Netz des deutschen Energieriesen RWE, der dann Luxemburg mit Strom versorgte. Als RWE 1972 fristgerecht drei Jahre vor dem Ablauf den Vertrag mit der SEO kündigte und Neuverhandlungen forderte, beschloss die CSV/DP-Regierung Werner-Schaus II, eine eigene Atomzentrale in Luxemburg zu bauen.

Dafür brauchte es aber Partner in den Nachbarländern, denn für Luxemburg allein würde ein Atomkraftwerk erstens teuer und zweitens viel zu viel Strom produzieren. Schon Anfang 1972 war man deshalb bei der französischen Regierung vorstellig geworden. Die Franzosen waren aber nicht interessiert. Sie wollten vielmehr, dass sich das Großherzogtum am Atomkraftwerk (AKW) in Fessenheim beteiligte. Cattenom war zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema. Die Belgier antworten ähnlich und boten eine Beteiligung an den geplanten Anlagen in Namur oder Antwerpen an. „So kam RWE aus Deutschland wieder ins Spiel und man war sich einig, eine Atomzentrale in Remerschen zu bauen“, erzählt Sacha Pulli, Autor des nun erschienenen Buchs „Das gescheiterte Jahrhundertprojekt“. „Die Initiative zum Bau des AKW Remerschen ging also eindeutig von der Luxemburger Regierung aus“.

Dass kein Atommeiler dort steht, wo heute das Biodiversum Camille Gira ist, war Folge des Regierungswechsels. Bei den Parlamentswahlen 1974 wurde Pierre Werners CSV abgestraft und durch eine DP/LSAP-Regierung ersetzt. Eine Regierung ohne CSV-Beteiligung war damals im erzkonservativen Luxemburg etwas ganz Neues, fast schon ungeheuerliches. Marcel Mart (DP) aber blieb Energieminister, sodass die Pläne zum Bau des AKW Remerschen weiter verfolgt wurden.

Versammlung des „Comité national d’action pour un moratoire“ 1976 (v.l.n.r.): Théid Faber, Claude Wehenkel, Norbert Stomp und Elisabeth Kox-Risch
Versammlung des „Comité national d’action pour un moratoire“ 1976 (v.l.n.r.): Théid Faber, Claude Wehenkel, Norbert Stomp und Elisabeth Kox-Risch Foto: Das gescheiterte Jahrhundertprojekt/Sammlung Claude Wehenkel

Nachdem es bei Perl auf der deutschen Seite der Mosel erste Proteste gegeben hatte, wurde in Luxemburg Anfang 1974 die Bürgerinitiative „Museldall“ (BIM) auf Initiative von Elisabeth Kox-Risch gegründet. Die Mutter des heutigen Ministers Henri Kox und des Escher Schöffen Martin Kox war damals Präsidentin der Frauensektion der CSV. Ihr Widerstand gegen die Pläne kam in den Gremien der christlich-sozialen Partei, die das Projekt ja initiiert hatte, nicht besonders gut an. Jedenfalls fehlte Kox-Risch auf der CSV-Liste zu den Parlamentswahlen 1974. Zu den Gründungsmitgliedern der „Museldall“-Bürgerinitiative gehörten u.a. auch fünf Winzer, die um ihre Weine fürchteten. Und auch der damalige Juso-Präsident Muck Huss war ein Mann der ersten Stunde.

Forscher für ein Moratorium

1975 wurden „Jeunes et environnement“ und „Natura“ gegründet. Auch sie lehnten sich gegen Remerschen auf. Doch so richtig Fahrt nahm der Protest auf, als sich Luxemburger Wissenschaftler 1976 für ein Moratorium, eine Aussetzung der Pläne um fünf Jahre, aussprachen. Die Protestbewegungen kamen im CNAM („Comité national d’action pour un moratoire“) unter der Leitung von u.a. Claude Wehenkel, Théid Faber, Norbert Stomp, Elisabeth Kox-Risch und Muck Huss zusammen. „Kox-Risch, Huss, Wehenkel und die Winzer hatten politisch wenig Gemeinsamkeiten, aber sie waren geeint im Kampf gegen die Atomenergie“, erklärt Sacha Pulli. 

Endgültig begraben wurden die Pläne zum Bau des AKWs auf dem LSAP-Kongress am 11. Dezember 1977 in Bonneweg. Eine der Konsequenzen, die die LSAP aus der Spaltung der sozialistischen Partei Anfang der 1970er Jahre zog, war, dass in Zukunft die Basis mehr Gewicht erhalten sollte. Also entschieden sich die Mitglieder für das Moratorium, das im zweiten Wahlgang mit 156 zu 153 Stimmen eine hauchdünne Mehrheit erhielt. Sie hatte sich gegen die gesamte Führungsriege um die Minister Benny Berg und Jacques Poos durchgesetzt. So war klar, dass unter der DP/LSAP-Regierung Remerschen nicht gebaut würde, obwohl die DP-Mitglieder sich zuvor mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hatten. Der SEO-Stromliefervertrag wurde verlängert, gleichzeitig verlor RWE das Interesse am AKW Remerschen. Zudem kam es zum Unfall im Atomkraftwerk Harrisburg im März 1979. Remerschen sollte mit dem gleichen Reaktor ausgestattet werden. In Luxemburg kam die CSV im selben Jahr wieder an die Macht, doch „das Projekt war längst politisch tot“, so Pulli.  

Das Nein zu Remerschen war nicht gleichbedeutend mit einem Nein zur Atomenergie

Sacha Pulli

Im selben Jahr begann in Frankreich der Bau von Cattenom. Das war eine direkte Konsequenz des sogenannten Messmer-Plans. Frankreich setzte als Konsequenz aus der Ölkrise alles auf die Karte Atomenergie. 1975 hatten Gaston Thorn und Frankreichs Präsident Jacques Chirac ein Abkommen unterzeichnet, nach dem die Zentrale von Cattenom die von Remerschen nicht beeinträchtigen würde. Noch im Mai 1978 unterschrieb derselbe Thorn eine Konvention mit den Franzosen über die Möglichkeit von zwei Atomzentralen an der Mosel. Die Gegner von Remerschen wehrten sich nun gegen Cattenom. Vergeblich. Es wäre zu viel zu behaupten, die Gründung der grünen Partei 1983 sei eine direkte Folge des Kampfes gegen das AKW Remerschen, meint Sacha Pulli. Fest steht aber, dass erstmals ökologische Themen beim Wahlkampf zur Parlamentswahl 1979 auftauchten. 

„Das Nein zu Remerschen war nicht gleichbedeutend mit einem Nein zur Atomenergie“, schlussfolgert der Historiker. Atomstrom wurde weiter importiert, noch 2011 lag der Anteil in Luxemburg bei 25 Prozent. Aber was wäre gewesen, wenn neben Cattenom auch Remerschen gebaut worden wäre? „Das ist natürlich jetzt hypothetisch“, sagt Pulli, „aber ich gehe davon aus, dass Luxemburg genau wie Deutschland spätestens nach Fukushima 2011 aus der Atomenergie ausgestiegen wäre. Apropos Deutschland. Die Luxemburger Politiker, die damals in den 1970ern für Remerschen waren, haben stets betont, dass die Frage der Entsorgung des Atommülls geklärt wäre. Deutschland würde den nehmen. Und gerade jetzt sehen wir dort, dass überhaupt nichts geklärt ist. 2020! Da kann man doch froh sein, dass es nicht zu Remerschen gekommen ist.“

Am 13. Januar 1973 tauchte das Vorhaben, ein AKW in Remerschen zu bauen, erstmals in den Luxemburger Medien auf. Als Titelgeschichte der Revue.
Am 13. Januar 1973 tauchte das Vorhaben, ein AKW in Remerschen zu bauen, erstmals in den Luxemburger Medien auf. Als Titelgeschichte der Revue. Revue

Sacha Pulli

Sacha Pulli wurde am 21. November 1990 geboren. Der „Stack-Escher“ machte sein Abitur im „Lycée de Garçons Esch“ (LGE) und studierte anschließend an der Universität Luxemburg Geschichte. Das Buch „Das gescheiterte Jahrhundertprojekt“ (Herausgeber: Fondation Lydie Schmit, Preis: 25 Euro) basiert auf der Abschlussarbeit seines Masterstudiums. Seit 2017 arbeitet Pulli als Geschichts-Lehrer im „Lycée Belval“. Bekannt ist Sacha Pulli auch durch seine Karriere als Handballspieler. Der langjährige Nationalspieler ist fünfmaliger Meister mit dem HB Esch. Politisch engagiert sich Pulli in der Escher LSAP-Sektion und trat 2017 bei den Parlamentswahlen an.     

CESHA
16. Oktober 2020 - 14.10

"Hätte, hätte, Fahrradkette" - hätte Luxemburg vielleicht damals doch - noch vor Cattenom - ein AKW gebaut, dann wäre der Protest gegen Cattenom vielleicht erfolgreicher gewesen, da man hätte argumentieren können, dass die Mosel durch 2 solcher Monster in so geringer Entfernung zu sehr aufgeheizt werden würde. Und ein AKW auf luxemburgischem Territorium hätte man wenigstens durch eigenen Beschluss abschalten können, statt dass wir jetzt den französischen Pannenmeiler schon seit Jahrzehnten vor der eigenen Haustür haben, ohne irgendetwas mitentscheiden zu können.

JeanClaude
16. Oktober 2020 - 12.53

D'Generation "Simpsons" huet kee Problem mat Atomkraftwierker.

HTK
16. Oktober 2020 - 11.16

Warum immer gleich SUPERGAU wenn man über AKW's redet?! Stellen wir uns einmal vor alle AKW's weltweit wären Kohlekraftwerke gewesen. Wo stünden wir heute mit dem Klimawandel? Jaja,Tchernobyl und Fukushima. Beides Beispiele von Verantwortungslosigkeit sonder Gleichen. Wer das Feuer beherrschen will muss damit umgehen können. Es gibt auch Atomwaffen(leider) die nun wirklich keinen Nutzen bringen,sondern nur das Gegenteil. James Lovelock,der Vater aller Grünen,schreibt in seinem Buch,dass er sofort einen alten Brennstab bei sich zuhause gebrauchen würde um sein Haus noch Jahrzente mit Energie zu versorgen.Es geht nur um Verantwortung und Technik.Die Technik haben wir. Bis die Thermofusion läuft sollten wir die Schlüssel von den AKW's nicht zu weit weglegen.Man stelle sich Paris oder NY 24 Stunden ohne Strom vor.