MeinungZur Ausstellung „The Rape of Europe“ im MNHA: Sexualisierte Gewalt ist niemals eine geeignete Metapher

Meinung / Zur Ausstellung „The Rape of Europe“ im MNHA: Sexualisierte Gewalt ist niemals eine geeignete Metapher
Ukraine, Charkiw: Eine Frau raucht eine Zigarette und schaut aus dem Fenster eines durch russischen Beschuss beschädigten Gebäudes Symbolbild: SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa/Laurel Chor

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Die neue Ausstellung, die Ende April im MNHA eröffnet werden soll, heißt „The Rape of Europe. Maxim Kantor on Putin’s Russia (Works 1992-2022)“. Dass sexualisierte Gewalt als Metapher für den Titel herhalten muss, ist empörend – denn zementiert werden damit Vorstellungen, wegen denen sexualisierte Gewalt weiterhin systematisch als (Kriegs-)Waffe angewandt wird. Damit unterläuft die Ausstellung ihren eigenen Zweck.

„Hört auf, Vergewaltigung als Metapher zu benutzen!“, titelte die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski vor einigen Monaten. Recht hat sie. Man sollte aufhören, von Vergewaltigung zu sprechen, wenn keine Vergewaltigung stattgefunden hat. Wenn man eigentlich sagen möchte, dass etwas zerstört, beschädigt, ruiniert oder entstellt wurde.

Das gilt ganz unabhängig vom Kontext. Aber andersherum ist es umso entsetzlicher, wenn Menschen Vergewaltigung als Metapher gebrauchen, um Gewalt zu verurteilen. „The Rape of Europe. Maxim Kantor on Putin’s Russia (Works 1992-2022)“ nennt sich die neue Ausstellung des „Nationalmuseum für Geschichte und Kunst“ (MNHA). Ihre baldige Eröffnung wurde der Presse am vergangenen Dienstag kurzfristig mitgeteilt. „Cette exposition, montée en un temps record en réaction à la guerre criminelle que la Russie mène actuellement contre l’Ukraine, présente une soixantaine d’œuvres de l’artiste Maxim Kantor“, erklärt das MNHA in ihrem Schreiben. „Peintre d’origine russe vivant en France et connu pour sa position très critique vis-à-vis du régime de Poutine et des récents développements en Russie, Kantor a spontanément accepté d’organiser une exposition d’urgence: les œuvres sélectionnées pour cette occasion démasquent avec force le caractère totalitaire et agressif du régime russe actuel.“

Kunst soll kritisieren dürfen

Um ganz deutlich zu sein: Kunst ist unter anderem dafür da, Tyrannei und hemmungsloses Machtstreben zu entlarven; um verbrecherische und menschenverachtende Taten als solche zu benennen und immer wieder für den Frieden und die Wahrung humanistischer Ideale einzutreten. Auch das gilt ganz unabhängig vom Kontext. Grauenvoll ist es jedoch, wenn zu diesem Zweck eine Sprache benutzt wird, die in ihrem Bilderreichtum nicht ohne jene Gewalt auskommt, die man mit ihr so scharf kritisieren möchte. Warum ist das schlimm? Weil man damit genau die Vorstellungen reproduziert, auf die diese Gewalt fußt.

Beim Beispiel der Vergewaltigung kommt das möglicherweise mit am besten zum Ausdruck. Nun kann man aber zunächst argumentieren, dass „The Rape of Europe“ nicht einfach als „Die Vergewaltigung Europas“ zu übersetzen ist. Denn „Rape“ heißt hier an sich nicht Vergewaltigung, sondern Raub, weil es vom lateinischen Wort „raptus“ (D.: Entführung) abstammt. Der Titel erinnert nämlich u.a. an das gleichnamige Ölgemälde des venezianischen Renaissance-Malers Tizian, der mit dem Kunstwerk „Der Raub der Europa“ den antiken Mythos von Europa aufgreift. Laut diesem soll Europa von Zeus in Gestalt eines weißen Stiers nach Kreta entführt worden sein, wo sie ihm insgesamt drei Söhne gebärt.

Ein patriarchaler Mythos

Was im Mythos aber unzweifelhaft angelegt ist und Tizian durch Europas hilflose Pose im Bild offenlegt: Europa wird von Zeus vergewaltigt. In der Logik der mythologischen Erzählung ist dadurch, dass die Vergewaltigung aber durch einen Gott passiert, die Erfahrung nicht mit einer normalen, von einem Menschen durchgeführte Vergewaltigung gleichzusetzen – so perfide das auch klingen mag. Der sexuelle Akt, wenn auch erzwungen, stellt eine ekstatische Erfahrung dar; das Leiden des Opfers wird mit seiner Lust verquickt. In diesem Sinne trägt der Mythos auch an dem durch und durch patriarchalen Gedanken zur Schau, dass Frauen bzw. Opfer „es doch eigentlich wollen“, wenn sie zum Sex gezwungen werden.

Diesen Mythos als Fluchtpunkt für eine Ausstellung, die die russische Invasion kritisch bespiegelt, zu benutzen, ist haarsträubend. Denn die Entführung und (vom Opfer gewollten) Vergewaltigung von Europa als zentrale Metapher für das Geschehen in der Ukraine zu gebrauchen, geht nicht auf: Weder wird das, wofür Europa nach eigener Auffassung gedanklich steht – gemeint sind zum Beispiel demokratische Werte –, von Russland „geraubt“, noch wird Europa als Ganzes von Russland „vergewaltigt“ (und erlebt diese Vergewaltigung als lustvoll-schmerzhafte Grenzerfahrung). Dass aber die ihr angetane sexualisierte Gewalt als Metapher ins Zentrum der Ausstellung gerückt wird, ist schlimm.

Ein Angriff auf das Ich

Da „Rape“ heutzutage nur mehr als Vergewaltigung und nicht als Entführung verstanden wird, rückt der Bedeutungsaspekt des sexuellen Missbrauchs bei „The Rape of Europe“ als Nominalphrase in den Vordergrund. Menschen, die mit dem Mythos, auf den der Titel anspielt, nicht vertraut sind, verstehen letzteren einfach als „Vergewaltigung Europas“, was auf eigene Weise höchst problematisch ist. Denn wenn man sagt, dass etwas im übertragenen Sinne „vergewaltigt“ wurde, dann wurde es entweder versaut oder zunichtegemacht. So hört man immer wieder, das Gendern käme einer „Vergewaltigung der Sprache“ gleich. Die schöne, reine und unberührte Sprache wird also durch das Gendern verunstaltet – das ist es, was dieses Bild impliziert. Etwas, was davor „unbefleckt“ oder „unschuldig“ war, wird durch den Akt des Vergewaltigens deformiert und verliert dadurch eben genau jene guten Qualitäten, die es vorher im Kern ausgemacht haben. Es verliert damit ein Stück seiner Seele. Das, was zuvor heil war, wird gebrochen und kaputtgemacht. Und zwar, wie oft dabei mitschwingt, für immer. Der Verlust der Unversehrtheit ist irreversibel; ein Zustand ersetzt endgültig den anderen.

Spricht man von Vergewaltigung und meint damit „verhunzen“ oder vernichten, versteht man Vergewaltigung als „Schändung“. Dieses mittlerweile veraltete Wort legt nahe, dass eine Person nicht nur sexualisierte Gewalt erfährt, sondern ihr dadurch gleichzeitig Schande zugefügt wird. Dass sie also entehrt wird und damit an Wert verliert – das ist zumindest das Ziel, das die Aggressoren mit diesem Handeln verfolgen. Schänden bedeutet laut Duden „jemandem, jemandes Ehre, Ansehen o. Ä. Schande zufügen“, „sexuell missbrauchen“ und „etwas, was Achtung, Respekt verdient, durch eine Handlung, ein Tun entweihen, beschädigen“. Interessanterweise werden die Definitionen in dieser Reihenfolge aufgeführt: Der Aspekt der Entehrung geht in der Aufzählung dem des sexuellen Verbrechens voraus. Das unterstreicht, wie sehr die Herabsetzung des anderen bei der Schändung, welche Form sie auch immer annimmt, im Vordergrund steht.

Echte Vergewaltigung und sexueller Missbrauch werden von betroffenen Menschen „in erster Linie nicht als Angriffe auf die Sexualität, sondern als Konfrontation mit Aggressivität, Hass […] empfunden“, wie Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter in „Sexualität – Unterdrückung statt Entfaltung“ festhalten. „Dementsprechend wird der Übergriff und die damit einhergehende Funktionalisierung als Sexualobjekt und Gebrauchsgegenstand vor allem als Verletzung der Persönlichkeit, der Identität, der Seele erlebt“. Eines der großen Ziele therapeutischer Hilfe ist es, Betroffenen zu vermitteln, dass sie eben nicht durch dieses furchtbare Verbrechen „kaputt gemacht“ wurden und diese Gewalterfahrung, obgleich ein himmelschreiendes Unrecht, sie nicht definiert.

Jeder kann Opfer werden

Die von den Tätern trotzdem anvisierte „Zerstörung“ des anderen mittels des sexuellen Missbrauchs macht dieses Verbrechen so perfide – und als Kriegswaffe so tauglich. „Oft geht es um Dominanz über Menschen, die als minderwertig empfunden werden“, sagte jüngst die Politologin Ragnhild Nordås in einem Interview mit Zeit Online. Wenn man also vor diesem Hintergrund Vergewaltigung oder auch sexualisierte Gewalt als Metapher benutzt, dann greift man den impliziten Diskurs der Täter auf, die Vergewaltigung als naheliegendes und erfolgreiches (!) Mittel sehen, einen anderen Menschen seiner körperlichen, emotionalen und mentalen Intaktheit zu berauben. Dann vermittelt man Opfern wie potenziellen Opfern (und ein potenzielles Opfer ist ausnahmslos jeder): Vergewaltigung ist schrecklich, weil ihr eure Unversehrtheit dabei definitiv verliert. Deswegen erscheint die Metapher so provokant. Sie funktioniert nur, weil sie sich auf diese Vorstellung stützt.

Auch „The Rape of Europe“ knüpft an diese Gedanken an, weil es hier um die metaphorische Entführung und Vergewaltigung Europas geht. Sie wird als scheinbar naive Frau von Zeus in die Irre geführt und geschändet, obgleich der Vergewaltigung im Mythos ganz eigene Konnotationen zukommen. Eben das ist ein weiterer zentraler Punkt: Durch die Referenz auf den Mythos erscheint das Phänomen der Vergewaltigung ästhetisiert und idealisiert; gleichzeitig bleiben die weiterhin real vorherrschenden (und oft latent mitschwingenden) Vorstellungen, was die sexualisierte Gewalt für Opfer und Täter bedeutet, unangetastet. Sie kapselt das metaphorisch gebrauchte Wort „Rape“ auf pointierte Weise ein. Umso dramatischer ist das, weil die Ausstellung einen Krieg thematisiert, in dem es, so viel wir wissen, schon Vergewaltigungsopfer gab; wie es wohl in jedem Krieg Vergewaltigungsopfer gibt. Das macht den Gebrauch der Metapher noch unangebrachter. Die Verantwortlichen möchten Gewalt denunzieren und greifen dabei zugleich auf genau das Denken zurück, das sicherstellt, dass Vergewaltigung bis heute als Methode zur Folter und Terrorisierung, Demütigung und Erniedrigung benutzt wird und Betroffenen den Weg zur Heilung extrem erschwert. Also noch einmal: Nein, Europa wird nicht dadurch vergewaltigt, dass die russische Armee in die Ukraine eindringt. Die Frauen, Männer und Kinder, die im Laufe dieses furchtbaren Kriegs vergewaltigt werden, werden vergewaltigt. Ihnen gilt es, zu vermitteln: Eure Würde bleibt unantastbar.


Ein weiterer Bericht über die Ausstellung im MNHA wird bald in Ihrem Tageblatt folgen.