EditorialZu den europäischen Ambitionen der Türkei

Editorial / Zu den europäischen Ambitionen der Türkei
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Ehefrau Ermine Erdogan während einer Wahlkampfveranstaltung Foto: Adem Altan/AFP

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Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag in der Türkei wurde der Umstand, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan erstmals in eine Stichwahl gezwungen wurde, von manchen bereits als Erfolg gewertet. Trotz der vielen Mängel seiner Amtszeit, die ihm seine Wiederwahl erschweren sollten, trotz der Umfragewerte, die den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu im Vorteil sahen, hatte Erdogan am Ende doch noch die Nase vorn. Das aus sechs Parteien bestehende Bündnis um den CHP-Chef Kilicdaroglu vermochte es nicht, mit vereinten Kräften den Präsidenten ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Im Gegenteil: Dieser geht nun mit den größeren Chancen in die zweite Wahlrunde am kommenden Wochenende. Nachdem der erhoffte und vorhergesagte Erfolg für die Sechserkoalition ausgeblieben ist, dürfte es jetzt schwierig werden, neuen Schwung in den Wahlkampf zu bringen.

Der Sozialdemokrat Kilicdaroglu hat sich daher dieser Tage darauf verlegt, um Stimmen bei jenen Nationalisten zu werben, die mit Erdogan unzufrieden sind. Vor allem die Wählerschaft des im ersten Wahlgang weit abgeschlagenen Sinan Ogan wird nun von den beiden Kontrahenten stark umworben, solange dieser keine Wahlempfehlung abgibt. Der Oppositionskandidat sieht wohl keine andere Möglichkeit, seine Chancen für den kommenden Wahlgang zu verbessern, als im nationalistischen Lager auf Stimmenfang zu gehen. Denn wie aus den am vergangenen Sonntag gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahlen hervorgeht, hat Kilicdaroglu das Wählerpotenzial in seinem Lager weitestgehend abgeschöpft. Seine CHP-Partei – die leichte Gewinne verbuchen konnte – und die verbündete YSP (Grüne Linke Partei) kamen zusammen auf etwas mehr als 34 Prozent bei den Parlamentswahlen. Alle anderen nennenswerten Parteien, einschließlich Erdogans AKP, sind zumindest national-konservativ, wenn nicht gar nationalistisch bis rechtsextrem oder islamistisch.

Für die europäischen Ambitionen des Landes – sollten die Menschen in der Türkei trotz aller vergangenen Rückschläge noch immer an einer EU-Mitgliedschaft interessiert sein – ist das bislang aus diesen Wahlen hervorgehende Bild der Türkei allerdings alles andere als förderlich. Fällt das innenpolitische Abschneiden Erdogans in der EU wohl weniger ins Gewicht, so tun es sein Umgang mit der Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten sowie der Meinungsfreiheit umso mehr. Diesbezüglich bewegte sich Erdogan in den vergangenen Jahren in großen Schritten von den in der EU vorherrschenden Vorstellungen weg. Dass der immer mehr zu einem autoritären Führungsstil übergegangene Erdogan dennoch im ersten Wahlgang fast eine absolute Mehrheit der Stimmen einfahren konnte, sagt dann doch auch etwas über die Vorlieben der Wählerschaft aus. Zählt man dann noch den im Land offenbar stark ausgeprägten Nationalismus hinzu, schwinden die Gemeinsamkeiten weiter. Denn nationalistisches Denken steht im Widerspruch zu dem, was die EU ausmacht. Das zeigen nicht nur die nationalpopulistischen und -konservativen Regierungen in Ungarn und Polen, sondern das war mit ein Grund für den Brexit. 

Nicht nur Erdogan ist demnach in den vergangenen Jahren von der EU weggedriftet, er hat gleich große Teile des Landes mitgezogen. Sollte dennoch am 28. Mai Kilicdaroglu das Rennen machen, könnte dies einen Wendepunkt in dieser Entwicklung bedeuten.

Cop
31. Mai 2023 - 21.21

Die Demokratie am Abgrund.Wegen Dummheit an die Wand gefahren. Dann wird das wohl nichts mit der EU

jung.luc.lux
21. Mai 2023 - 7.47

Die Türken wählen Erdogan, was auch kein Fehler ist.