/ Zehn Jahre Schengen-Lyzeum, und nun?
In Zeiten eines immer mobiler werdenden Europas, einer von politischer Seite gerne gepredigten Flexibilität der Arbeitnehmer und einer immer internationaler werdenden Arbeitswelt müssten Projekte wie das Schengen-Lyzeum im saarländischen Perl überall entlang der Grenzen entstehen. Trotzdem ist die weiterführende Schule nach wie vor eine Ausnahme, die zwar gerne vorgezeigt wird, bisher aber noch keine Nachahmer gefunden hat.
Vor zehn Jahren wurde die Schule für 25 Millionen Euro gebaut. Die Kosten teilten sich hälftig der Landkreis Merzig-Wadern und der luxemburgische Staat. Für den saarländischen Landkreis war es die größte Investition „ever done“, für das Großherzogtum eine von vielen. Warum gerade hier, im ländlichen Raum, eine Schule, die interkulturelle Kompetenzen fördern will, darunter mehr als Mehrsprachigkeit versteht und die dem klassischen Frontalunterricht andere Modelle entgegensetzt?
Zukunftsbild 2020
Die Erklärung, dass das Saarland schon immer eine treibende Kraft in der Großregion war, ist die am nächsten liegende. „Zukunftsbild 2020“ ist eine Initiative aus dem Saarland, der Namenszusatz für die Großregion „Saar-Lor-Lux“ verweist auf die, die sich zuerst zusammengetan haben. Montanvergangenheit und die saarländischen Erfahrungen mit den französischen Einpendlern fördern Gemeinsamkeiten. Hinzu kommt die räumliche Nähe. „Es waren damals einfach kurze Wege zwischen Saarbrücken und Luxemburg“, sagt Volker Staudt, der Direktor des Lyzeums von der ersten Minute an. Außerdem waren sich wohl der damalige Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU) und sein luxemburgisches Pendant Mady-Delvaux-Stehres (LSAP) schnell handelseinig.
Das Lyzeum ist ein rein binationales Projekt zwischen beiden Ländern und ein Kraftakt was das Angleichen der unterschiedlichen Bildungssysteme angeht. Nur ein Beispiel: In Luxemburg können sich Schüler entweder nach der vierten oder wie hier üblich erst nach der sechsten Klasse für das Lyzeum entscheiden. In Deutschland muss diese Entscheidung schon nach der vierten Grundschulklasse getroffen werden.
840 Schüler machen pro Jahr den Schulabschluss
Der administrative Aufwand und die langwierige Vorbereitungsarbeit sind wohl auch der Grund, warum die Schule bislang keine Nachahmer im schweizerischen Grenzraum nach Frankreich oder rund um Basel auf der deutschen Seite, wo es ebenfalls sehr viele Pendler gibt, gefunden hat. Obwohl Bedarf da ist. „Diese Schule ist aus der Überzeugung heraus entstanden, dass wir im grenznahen Raum eine Bildungseinrichtung brauchen, die anders ist“, sagt Staudt. Perl liegt genau gegenüber von Schengen, wo also sonst?
840 Schüler machen dort inzwischen einen Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialabschluss, der sowohl im deutschen als auch im luxemburgischen System zu Papier gebracht wird. Mit etwas mehr als 30 Schülern kommen die wenigsten aus dem französischen Grenzgebiet, der Rest verteilt sich hälftig auf Luxemburg und das deutsche Grenzgebiet im Umkreis von 30 Kilometern.
Internationalisierung von Bildung und Arbeit
„Die Schule ist zuerst luxemburgischen und deutschen Kindern vorbehalten“, sagt Staudt, „französische Kinder werden berücksichtigt, wenn noch Plätze frei sind.“ Der Grund ist einfach: das Geld. Lothringen hat sich damals nicht an den Baukosten beteiligt. Damals war es auch wahrscheinlich nicht „en vogue“, andere Sprachen zu erlernen, Deutsch beispielsweise galt in Frankreich lange als „Orchideenfach“. „Da muss Frankreich sich mit Sicherheit in Zukunft bewegen“, sagt Staudt und bezieht sich auf die Internationalisierung der Arbeitswelt.
In der fallen unter dem Blickwinkel der Mehrsprachigkeit auch alle „heraus“, die nicht sprachbegabt sind. So drastisch will Staudt, der noch andere Vorteile der Schule aufzeigt, es nicht prophezeien. „Sie werden einen schwereren Zugang zum grenznahen Arbeitsmarkt haben“, sagt er.
Anderes Lernkonzept
Warum hat er damals die Herausforderung der Leitung dieser Schule angenommen? Was hat ihn, den Gymnasiallehrer, der lange Englisch unterrichtet hat, gereizt? „Wir haben hier eine andere Lernkultur etabliert“, ist Staudts Antwort, „das hier ist kein deutsch-französisches Gymnasium und auch kein internationales College“. Seine Argumentation: Bei den beiden anderen Formen blieben die unterschiedlichen Nationalitäten unter sich, in Perl gäbe es dafür eine völlig andere Kultur. Das liegt auch an der anderen Art von Pädagogik.
Das Schengen-Lyzeum setzt auf intensive Begleitung der Schüler, auf Team- und Projektarbeit bei Schülern wie auch bei Lehrern, die Schulstunden dauern 90 Minuten, und nicht wie üblich 45 Minuten, und der jahrzehntelang übliche Frontalunterricht als alleinige Unterrichtsform ist verpönt. Funktioniert das Konzept nach zehn Jahren noch? „Bis jetzt hat hier noch nie jemand seinen Abschluss nicht geschafft“, sagt Staudt und zieht die neueste PISA-Studie heran. „Unsere ‚Technique‘-Schüler hier haben in der gleichen Altersklasse den gleichen Wissensstand wie die ‚Classique‘-Schüler“, sagt er und bezieht sich auf die Studienergebnisse bei den Naturwissenschaften. Und noch ein Argument für die andere Pädagogik spielt ihm in die Hand. „Unser letzter Abiturschnitt liegt fast eine halbe Note über dem des Saarlandes.“
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