Die EU, Luxemburg und die AfghanenWorum es bei der Diskussion um Flüchtlinge in dieser Woche gehen wird

Die EU, Luxemburg und die Afghanen / Worum es bei der Diskussion um Flüchtlinge in dieser Woche gehen wird
Eine US-Maschine hebt in Kabul ab: Noch fliegen sie, aber wie es weitergeht, ist unklar Foto: AFP/Aamir Qureshi

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Die Krise in Afghanistan hat direkte Auswirkungen auf die EU und damit auf Luxemburg. Was machen mit gefährdeten Afghanen? Und wie verfahren mit Afghanen, die bereits in Europa sind, aber kein Bleiberecht haben? Die laufende Woche wird erste Antworten auf diese Fragen finden müssen.  

Am Dienstag treffen sich die EU-Innenminister, am Donnerstag sind die Außenminister dran. Es besteht akuter Diskussionsbedarf in der EU. Jean Asselborn wird beide Male Luxemburg vertreten. Die Dringlichkeitstreffen der Minister wurden nötig aufgrund der Situation in Afghanistan. Die Machtübernahme durch die Taliban und der Abzug der US-Truppen und ihrer Alliierten hat dort Tausende Menschen in die Flucht getrieben. Befürchtet wird, dass diese Fluchtbewegungen nach dem Ende der Evakuierungen durch den Westen am Dienstag noch einmal zunehmen werden. Die Taliban geben sich zwar moderater, viele Afghanen trauen diesen Worten der Radikalislamisten aber nicht und haben Angst um ihr Leben.

In der Frage, wie mit den zu erwartenden Ankünften von Menschen aus Afghanistan umzugehen ist, ist die EU in zentralen Punkten gespalten. Mehr oder weniger Einigkeit herrscht nur darin, die Nachbarstaaten Afghanistans nun finanziell so zu unterstützen, dass diese ihre Grenzen für aus Afghanistan Flüchtende offen halten. Allerdings haben diese Staaten, vor allem der Iran und Pakistan, in der Vergangenheit Hunderttausende Afghanen bei sich aufgenommen. Auch im Zuge der aktuellen Krise strömten bereits Zehntausende über die Grenzen. Beide Staaten sind fragile Gebilde und sorgen sich durch diese Zuströme vor einer weiteren Destabilisierung.

Das erste Dilemma: Wie sollen gefährdete Afghanen den Weg nach Europa finden?

Ziemlich uneins sind die EU-Staaten in der Frage, wie und ob gefährdete Afghanen in der EU aufgenommen werden sollen. Österreich zum Beispiel will gar keine Afghanen mehr aufnehmen. Die Regierung in Wien sprach sogar nach der Übernahme durch die Taliban davon, weiter Menschen nach Afghanistan abschieben zu wollen. Die Alpenrepublik hat pro Kopf gesehen die größte afghanische Community unter den EU-Staaten. Ein Resettlement unter Ägide der Vereinten Nationen lehnt zum Beispiel Wien ab. Auch Ungarn und  Slowenien unter ihren rechtspopulistischen Regierungschefs Viktor Orban und Janez Jansa sind dagegen. Slowenien hat zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Der Begriff Resettlement bedeutet die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich im Land zu integrieren – es ist ein Weg der legalen Migration in die EU.

Am Montag verhandelten die Minister der EU-Staaten und ihre Botschafter eine gemeinsame Linie. Luxemburg setzt sich dabei dafür ein, das Resettlement-Vorhaben in die gemeinsame Erklärung zu integrieren. Mitstreiter in dieser Frage dürften ziemlich sicher Finnland, Irland und Portugal sein. Andere Staaten könnten sich anschließen, einige Staaten sind strikt dagegen, dazu dürften neben den bereits genannten Österreich und Slowenien auch die baltischen Staaten gehören. 

Damit eine solche Erklärung im Namen der EU veröffentlicht werden kann, braucht es die Einstimmigkeit aller dafür. Anders gesagt: Ein Land kann die Erklärung auch alleine torpedieren. Ungarn hat das zuletzt mit einer gemeinsamen EU-Erklärung zur Einhaltung der Menschenrechte in Hongkong getan.

Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn könnte Nein sagen, etwa wenn er die von ihm immer wieder geforderte europäische Solidarität nicht garantiert sieht. Asselborn würde sich damit jedoch ins Kreuzfeuer der Kritik begeben. Seine Forderung lautet in Bezug auf Afghanistan weiterhin, besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan wie Frauen, Kinder, Menschenrechtler, Richter und Journalistinnen unter den EU-Staaten per Quote aufzuteilen. Die EU, mit insgesamt 450 Millionen Einwohnern, könne in einer gemeinsamen Anstrengung 40.000 bis 50.000 Menschen aus Afghanistan aufnehmen, sagte Asselborn vergangenen Mittwoch und verwies dabei auf Großbritannien und Kanada, die jeweils die Aufnahme von 20.000 Afghaninnen und Afghanen angekündigt haben.

Einem von der Nachrichtenagentur Reuters eingesehen Entwurf zufolge wollen die EU-Innenminister am Dienstag jedoch erklären, dass sie weitere „unkontrollierte Bewegungen großer Immigrantengruppen“ aus Afghanistan verhindern wollen. Laut dem Entwurf für die Dringlichkeitssitzung der Minister sollen neue Sicherheitsrisiken für EU-Bürger abgewendet werden.

Das zweite Dilemma: Wie verfahren mit den Afghanen, die bereits hier sind?

Dass Europapolitik immer auch Innenpolitik ist, wird durch ein weiteres Dilemma um die Menschen aus Afghanistan deutlich. Nur geht es in dem Fall um jene, die bereits in einem EU-Staat sind, deren Ansuchen auf Bleiberecht aber abgelehnt wurde und die man unter den gegebenen Umständen nicht nach Afghanistan abschieben kann.

In Luxemburg leben offiziell etwa 775 Afghanen. Der Verein „Afghan-Lux Community Outreach“ schätzt die tatsächliche Zahl aber auf mehr als 1.500 Personen. Nicht allen diesen Menschen wurde internationaler Schutz gewährt. Menschenrechtler, Anwälte und auch der von Afghanen in Luxemburg gegründete Verein „Afghan-Lux Community Outreach“ fordern die Luxemburger Regierung auf, deren Asylverfahren ein weiteres Mal zu öffnen. So sollen diese Menschen die Möglichkeit bekommen, doch noch in Luxemburg Fuß fassen können, zu arbeiten und sich zu integrieren. Ohne Statut leben die meisten Afghanen in Luxemburg von 25 Euro staatlicher Unterstützung im Monat, was sie zu potenziellen Ausbeutungsopfern macht. Auch eine Familienzusammenführung ist ohne Statut nicht möglich. Dem Verein „Afghan-Lux Community Outreach“ zufolge geht es dabei um hunderte Einzelschicksale.

Die Sorge der Luxemburger Regierung – und auch der andern EU-Staaten, die alle im selben Fall sind – ist ein befürchteter Sogeffekt, der dann eintreten könnte, wenn ein Staat diesen Schritt gehen würde, andere aber nicht. Afghanen ohne Aufenthaltsstatut in einem EU-Land könnten dann versucht sein, in jenes Land zu gelangen, wo die Chancen auf ein normales Leben am besten stehen. CSV-Präsident Claude Wiseler bezeichnete das vergangenen Freitag, indem er einen Begriff aus der rechtsradikalen Ecke gebrauchte, als „Asyl-Tourismus“.

Wie es mit den Afghanen in Europa und jenen, die noch in Afghanistan festhängen, deren Leben aber unter einer Taliban-Herrschaft in Gefahr ist, weitergeht, beschäftigt in dieser Woche demnach alle EU-Staaten. Die ersten Verhandlungen am Montag waren, wie es aus Luxemburger Diplomatenkreisen hieß, ein „hartes Match“. Ein Grund dafür ist auch, dass Politiker in vielen EU-Staaten mit ihrer harten Haltung in Migrationsfragen Wahlen gewonnen und so an die Regierungsmacht gekommen sind. Das gilt nicht nur für konservative Parteien wie die ÖVP des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz, sondern auch für die dänischen Sozialdemokraten unter Regierungschefin Mette Frederiksen. Die betroffenen Afghanen müssen derweil darauf hoffen, dass die EU-Mitglieder ihr Bündnis weiterhin als einen solidarischen Staatenbund betrachten.

CESHA
1. September 2021 - 10.10

Viele Nachbarländer Afghanistans lehnen bereits die Aufnahme von Flüchtlingen ab, weil sie sich vor dem Islamismus fürchten - Europa hat wieder mal nichts kapiert

Wieder Mann
31. August 2021 - 19.59

@Grenzgegner: Zwischen Populismus und der Realität naher politischer Ansichten liegen doch Welten. Übrigens was die Aufnahme der Helfer , deren Familien die im Dienste der Armeen der westlichen Allianz standen, stehe ich positiv gegenüber. Was nun alle anderen afghanischen Flüchtlinge angeht, mit Ausnahme sie verpflichten sich in einer afghanischen Exilarmee zu dienen , mit Ziel in Afghanistan den Widerstand zu organisieren und das Taliban Regime zu stürzen, stehe ich der Aufnahme bedenklich gegenüber.Ich mag diesen realitätsfremden Prediger-Humanismus der Menschen in Not nicht, bevorzuge und unterstütze eher diese Menschen die dann mit allen verfügbaren Mitteln ,Taten die politische Ordnung im eigenen Land wieder versuchen herzustellen.

grenzgegner
31. August 2021 - 17.34

Rechtspopulisten reklamieren jetzt sofort, wir könnte uns keine weiteren Flüchtlinge leisten. Dabei verweisen sie auf sehr reelle Probleme - die allerdings mit der Aufnahme von Flüchtlingen gar nichts zu tun haben. Es ist nicht zu erwarten, dass eine geflüchtete afghanische Familie einer luxemburgischen eine der wenigen, meist schamlos überteuerten Wohnungen wegschnappt. Und was Arbeitsplätze angeht: Trotz Covid-Krise und Problemen in manchen Bereichen scheint es ja eher einen Mangel an Arbeitskräften zu geben. All die sorgenvollen Bedenkenträger lehnen es wohl eher aus ideologischen Gründen ab, Menschen in Not zu helfen.

Wieder Mann
31. August 2021 - 10.12

Die Realität verkennen ist,Europa an seine Grenzen der Aufnahme immer mehr Flüchtlinge der weltweiten Krisen kommt. Wohnraum, Arbeitsplätze, finanzielle Mittel zur Mangelware werden und in der Zukunft das weltweite Krisenpotential auch in Europa die innere Stabilität, den Frieden in Gefahr bringen könnte.