Kopf des TagesWolfram Leibe: Triers Oberbürgermeister mit Gefühl

Kopf des Tages / Wolfram Leibe: Triers Oberbürgermeister mit Gefühl
Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe (links) AFP

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Wolfram Leibe wird zum Mutmacher

Die Amokfahrt in Trier war der schlimmste Tag seiner Amtszeit – das betont Triers Oberbürgermeister Leibe immer wieder und zeigt viel Gefühl. Der anfangs von vielen als Technokrat gesehene Politiker wird zum Tröster und Mutmacher.

Er ist wiederholt den Tränen nahe, wählt mehr als sonst starke Worte und ruft immer wieder zum Zusammenhalt auf: Nach der tödlichen Amokfahrt lernen die Menschen in Trier ihren Oberbürgermeister richtig kennen. Als Wolfram Leibe (60) sein Amt im April 2015 antrat, galt der Jurist als Verwaltungsmann, der mit bürokratischer Erfahrung aus der Agentur für Arbeit die stark verschuldete Stadt effizient verwalten könnte. Jetzt zeigt der SPD-Politiker ein neues, vor allem menschliches Gesicht.

Mit den Tränen ringend sagt er kurz nach der Amokfahrt, bei der am Dienstag fünf Menschen getötet wurden: „Ich bin gerade durch die Innenstadt gelaufen und es war einfach nur schrecklich. Da steht ein Turnschuh. Das Mädchen dazu ist tot.“ Nur fünf Minuten nach der Tat sei er vor Ort gewesen. „Ich habe Tote gesehen und Menschen, die ich kenne.“ So etwas Schreckliches sei in Trier nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr passiert.

Mit seinen Emotionen und Worten spricht er den Trierern aus der Seele. Diese kennt der gebürtige Baden-Württemberger mittlerweile sehr gut, die Stadt Trier liebt er: Es sei eine „schöne“, eine „attraktive Stadt“. Vorher bewegte er sich an verschiedenen Stationen im Mikrokosmos der Bundesagentur für Arbeit, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung in der Regionaldirektion Baden-Württemberg in Stuttgart.

Man glaubt ihm, wenn er jetzt die Vorteile einer „kleinen Großstadt“ lobt. Man kenne sich und müsse nun auch in der Not solidarisch sein: „Im Zweifel, so kenne ich Trier, steht man dann auch zusammen.“ Man könne die schreckliche Tat nicht ändern, aber die gemeinschaftliche Trauer der Trierer helfe den Angehörigen – da sei er sicher.

Das ist auch Grund, warum er so umtriebig nach Möglichkeiten des Gedenkens sucht. „Die Menschen brauchen einen Ort zum Trauern“, sagte er – und erklärte den Vorplatz der Porta Nigra zum zentralen Trauerort. Zudem organisierte er eine Gedenkveranstaltung und eine Schweigeminute. Mit Blick nach vorne sagte er: „Trier trauert, Trier leidet, Trier resigniert aber nicht.“

Auch in der Corona-Pandemie hat sich Leibe jüngst als Anpacker hervorgetan. Als eine der ersten Städte in Rheinland-Pfalz konnte er für Trier ein Konzept für ein Impfzentrum umsetzen. Zudem war er 2018 in der einstigen Römerstadt mit jährlich rund fünf Millionen Besuchern eine treibende Kraft hinter den weltweit beachteten Feiern zum 200. Geburtstag des gebürtigen Trierer Philosophen Karl Marx (1818-1883).

trotinette josy
5. Dezember 2020 - 9.50

Warum sollten Politiker keine Gefühle zeigen dürfen? Besonders in einem solch tragischen Fall und vor allem auch in unserer von Kühle geprägten Gesellschaft, in der kein Platz für Gefühle ist, höchstens für Pathetik.