„Wir sprechen hier über Politik“ – Warum das Resultat des Haushalts meistens besser ist als prognostiziert

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Im Wahljahr 2018 ein Überschuss von über 120 Millionen Euro, im Folgejahr ein Defizit von 650 Millionen Euro. Wie ist das möglich? Eine Kurzanalyse. 

Von Pol Schock

„Ich mache jetzt eine kleine Pause“, sagt Pierre Gramegna. Er greift zu einem Glas Wasser. Trinkt einen Schluck. Und blickt dann in den Plenarsaal. „Denn ich habe jetzt schon viel Geld ausgegeben.“ Das Parlament lacht.

Doch es ist kein Witz. Tatsächlich sind die Ausgaben im Haushaltsentwurf für 2019 deutlich gestiegen: um 5,8 Prozent auf ein Rekordhoch von 19,6 Milliarden Euro. Die Einnahmen hingegen steigen nicht im gleichen Maß. Die logische Folge: rote Zahlen. Gramegna rechnet ein Defizit von über 650 Millionen vor. Nach der herkömmlichen Methode des Staats liegt das Defizit sogar bei rund 800 Millionen. Die Frage, die sich aufdrängt: Wie kann das sein? Immerhin konnte der Finanzminister für das Wahljahr 2018 für alle überraschend einen Überschuss von rund 120 Millionen Euro präsentieren. Die erste schwarze Null seit über acht Jahren.

Mitte-links-Bündnis sah sich in der Bringschuld

Ein Teil der Antwort findet sich bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2018. Das Mitte-links-Bündnis sah sich nach dem Wahlkampf gegenüber dem Wähler in der Bringschuld und wollte die Wahlversprechen einlösen: Mindestlohnerhöhung, Senkung der Betriebssteuern, kostenloser Personennahverkehr, Ausweitung der Kinderbetreuung, Steigerung der Transportinvestitionen. Alles Maßnahmen, die sich im Koalitionsabkommen wiederfinden und eine Menge Geld kosten.

Dabei soll das Finanzministerium mahnende Worte eingelegt haben, die jedoch wenig Gehör fanden. Laut einem hochrangigen Politiker der Dreierkoalition spielte die Haushaltspolitik bei den Verhandlungen keine Rolle. Auch Gramegna soll nur wenig involviert gewesen sein. Vielmehr soll sich Premierminister Xavier Bettel mit klarer Botschaft an ihn gerichtet haben: „Wir sprechen hier über Politik, nicht über Finanzen.“ Damit war Gramegna aus dem Spiel.

Doch das hohe kalkulierte Haushaltsdefizit hat noch einen anderen Grund. Denn Gramegna greift auf das eherne Gesetz der Haushaltspolitik zurück: Er setzt die Ausgaben deutlich zu hoch an und chiffriert die Einnahmen zu niedrig.

Das Saldo ist immer zu hoch kalkuliert

Denn unabhängig davon, wer gerade Finanzminister ist, das tatsächliche Haushaltsergebnis ist besser als der kalkulierte Saldo des Projekts. Seit 2007 lag die Differenz im Durchschnitt bei etwa 500 Millionen Euro. Lediglich 2009, im Zusammenhang mit der internationalen Finanzkrise, gab es eine Ausnahme und ein höheres Defizit im Haushaltssaldo als kalkuliert.
Dieser Rechnung zufolge würde am Ende ein Ergebnis von rund 150 Millionen Euro Defizit im tatsächlichen Haushalt von 2019 stehen.

Gramegna gesteht dabei offen, dass er die Einnahmen wahrscheinlich zu niedrig kalkuliert hat. Er spricht von einem „vorsichtigen Haushaltsentwurf“, der noch Handlungsspielraum lässt. Er habe sich bewusst gegen ein „Hochrechnen“ der Einnahmen gewendet, auch wenn der Statec weiterhin Wachstumsprognosen von über 3 Prozent voraussagt.

Fakt ist: Der Haushaltsentwurf entspricht selten dem tatsächlichen Ergebnis. Noch deutlicher trifft dies auf die Vorhersagen des „budget pluriannuel“ zu. Denn laut „budget pluriannuel“ des vergangenen Jahres sind die Ausgaben in diesem Jahr schon so hoch, wie sie eigentlich erst 2020 sein sollten. Auch hier entspricht die Kalkulation nicht der Realität. Der Grund: Das Finanzministerium berechnet den „pluriannuel“ auf einer Extrapolation der gegenwärtigen Tendenz. Im vergangenen Jahr war aber etwa noch kein gratis öffentlicher Verkehr abzusehen. Und so ist auch der aktuelle „pluriannuel“ nur eine vage Prognose: Das liberale Königsprojekt der Steuerreform ist ebenso wenig berechnet wie ein etwaiges neues Gehälterabkommen im öffentliche Dienst, das locker 50 Millionen Euro jährlich beanspruchen kann. Fazit: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

 

Zuckerbrot und Peitsche: Das sagt die Opposition

„Es kam klar der Wille zum Tragen, gleich mit diesem ersten Budget voll durchzustarten und die richtigen politischen Akzente zu setzen“, sagt LSAP-Fraktionspräsident Alex Bodry nach der Budgetvorstellung. Er begrüßt insbesondere die Erhöhung des Mindestlohns und könne klar die roten Linien erkennen. Auch Josée Lorsché („déi gréng“) und Eugène Berger (DP) zeigen sich mit dem Haushaltsprojekt zufrieden und sehen darin die konsequente Umsetzung des Koalitionsprogramms.

Die Opposition sieht das hingegen – wenig überraschend – anders: „Der Minister sagt, die Weichen seien gestellt. Ich bin keine Eisenbahnerin, aber wenn man Weichen stellt, muss man auch wissen, wo man hin will.“ Das könne sie nicht erkennen, stellt CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen klar. Die Waggons seien zwar prall gefüllt mit Geld, aber das Zielorientierte fehle. Und trotz dieser guten Konjunktur gelinge es der Regierung nicht, die Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen.

Ähnlich die Kritik von David Wagner: Der Abgeordnete der Linken will vor allem eine liberale Handschrift erkennen: „Es ist definitiv ein blauer Haushalt. Die Blauen sind ganz stark: Es gelingt ihnen, eine Mindestlohnerhöhung zu verkaufen, die keine ist, und die Sozialisten sind zufrieden. Es gelingt ihnen, eine Umweltpolitik zu verkaufen, die keine ist, und die Grünen sind zufrieden.“

Der Abgeordnete der „Piratepartei“ Marc Goergen findet: „Es war auf den ersten Blick eine super Präsentation, die wie Ostern, Nikolaus und Weihnachten in einem klang. Aber man muss nun im Detail schauen, was dahintersteckt.“

Gast Gibéryen (ADR) zeigt sich hingegen unzufrieden über das hohe Defizit: „Ich bin auf der einen Seite enttäuscht, dass nach einem Budget im Gleichgewicht nun wieder eines im Defizit präsentiert wird. Nach nationaler Buchhaltung sind es 850 Millionen, obwohl die Wirtschaft dreht und die Betriebe Rekordsummen an Steuern bezahlen.“ ps

 

Priorität „Nachhaltigkeit“ – Klimaschutzziele im Fokus

Im Bereich der Nachhaltigkeit werden die Ausgaben stark ansteigen. Das Erreichen der Pariser Klimaziele steht hierbei im Fokus der Regierung.

Der super-reduzierte TVA-Satz von 3 Prozent gilt künftig – eine Maßnahme zur Förderung der Digitalisierung. Die Preise für phytosanitäre Mittel für die Landwirtschaft werden durch einen reduzierten Satz von 8 Prozent günstiger. Eine eher symbolische Maßnahme ist die Heraufsetzung der Akzisen auf Diesel um 2 Cent und auf Benzin um 1 Cent pro Liter, die 2,5 Millionen an Einnahmen bringen wird.

Die Maßnahme soll zeigen, dass Luxemburg den Konsum von Erdölprodukten nicht weiter fördern will.

Das Ziel Luxemburgs sei es, 100 Prozent der verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, dies u.a. durch die Schaffung eines Energieministeriums. Finanzielle Hilfen, von denen besonders Firmen profitieren können, die in Windanlagen im Land investieren, werden um 44 Prozent steigen.

Der Haushalt des Ministeriums für Mobilität und öffentliche Arbeiten steigt auf über zwei Milliarden. Das Busnetz wird reformiert ausgebaut, die Tram wird bis nach Findel und Cloche d’or ausgebaut werden, es wird viel Geld in die Schiene investiert und schließlich wird der öffentliche Verkehr gratis werden (Kosten: 30 Millionen im Jahr 2020, danach 40 Millionen jährlich).

Daneben werden Kläranlagen renoviert und gebaut und in Hochwasserschutz investiert. Bis 2022 werden im Bereich Umwelt und Klima zwischen 455 (2018) und 710 Millionen Euro (2022) investiert. r.s.

Priorität „Kompetitivität“ – Nicht nur steuerliche Maßnahmen

In der Vergangenheit sei die Wettbewerbsfähigkeit des Landes oft auf reine Steuerfragen reduziert worden. Der Haushalt zeige, dass Steuern nur ein Aspekt der Kompetitivität seien.

Die Körperschaftssteuer für Unternehmen wird von 18 auf 17 Prozent herabgesetzt. Weiter wird die Obergrenze für den reduzierten Steuertarif von 15 Prozent (25.000) auf 175.000 Euro erhöht. Dies helfe insbesondere den Start-ups und dem Mittelstand.

Dies sei eine Reaktion auf die progressive Erweiterung der Steuerbasis, wie sie von der OECD verlangt wird.

Es gehe hierbei allerdings nicht darum, „Steuerdumping“ zu betreiben, im Gegenteil: Luxemburg sei von allen schwarzen Listen heruntergenommen worden. Weitere Maßnahmen sind die Erhöhung der Gelder für den Innovationsfonds um 27 Prozent und die 88,5 Millionen für neue wirtschaftliche Gewerbezonen, die nach den Kriterien der Zirkularwirtschaft funktionieren sollen.

Investitionen in die Digitalisierung und in informatische Sicherheit nannte Gramegna in dem Kontext der Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls.

In Forschung investiert Luxemburg etwa eine halbe Milliarde, die Ausgaben für die Universität und die Forschungszentren steigen um 7 Prozent auf 352 Millionen Euro.
Die Gelder für das neue Ministerium für Konsumentenschutz sieht der Finanzminister auch als Förderinstrument für die Betriebe, da die Qualität der Dienstleistungen und Güter hierdurch steigen werde. r.s.

 

Priorität „Soziales“ – Kohäsion und Gerechtigkeit

Die Schere zwischen Arm und Reich solle sich nicht zu weit öffnen, so Gramegna. Den Schwachen greife der Staat unter die Arme; dies sei auch so beim Haushalt 2019.

Unter den entsprechenden Steuermaßnahmen nannte der Finanzminister als Erstes die Erhöhung des Mindestlohnes um 100 Euro netto. Erreicht werde diese über einen Steuerkredit für Mindestlohnbezieher, der rückwirkend zum 1. Januar 2019 angewandt wird. Parallel wird eine 2-prozentige Erhöhung gesetzlich festgelegt. Die Kosten dieser Maßnahme belaufen sich auf 60 Millionen Euro.

Tampons günstiger

Weiter wird – dies eine langjährige Forderung von Frauenorganisationen – die Mehrwertsteuer auf Sanitärartikeln wie Tampons und Binden auf den super-reduzierten Satz von 3 Prozent gesenkt. Weitere Maßnahmen zur Umsetzung von mehr sozialer Gerechtigkeit sind weiter im Bereich der Familien- und der Schulpolitik zu finden.

Die Reform des Elternurlaubs wird sich 2019 stark niederschlagen; der Posten steigt um 43 Prozent auf 237 Millionen.

Die „Chèques service“ zur Einlösung von 20 Stunden gratis Betreuung der Kinder kosten den Staat 421 Millionen (+9,46 Prozent). Die Gelder zur psychosozialen Betreuung von Kindern werden um 18 Prozent steigen.

Im Bereich Arbeitslosigkeit werden die Ausgaben für das Mindesteinkommen „Revis“ um 27 Prozent steigen, die Mittel, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken, steigen um 45 Prozent. In ältere Menschen („active aging“ und Pflegeheime) werden 120 Millionen investiert und Inklusionsmaßnahmen werden stärker gefördert. Auch die Haushaltsgelder für Wohnungsbau steigen. Die Subventionen steigen um 17,4 Prozent, die SNHBM, die günstig baut, erhält 40 Prozent mehr. r.s.