RückblickWie sich das letzte Jahr auf die Gleichstellungsarbeit ausgewirkt hat

Rückblick / Wie sich das letzte Jahr auf die Gleichstellungsarbeit ausgewirkt hat
Annabelle Laborier-Saffran vom Düdelinger Gleichstellungsdienst erzählt, dass sich die Pandemie negativ auf die Gleichstellung der Geschlechter auswirken könnte Foto: Editpress/Julien Garroy

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Seit einem Jahr lebt Luxemburg mit dem Virus: In den letzten zwölf Monate wurden viele bereits bestehende Probleme verstärkt ins Licht gerückt. Dazu gehören auch die Herausforderungen in der Gleichstellungsarbeit. Doch in dieser Sache droht die Gesellschaft einen Rückschritt zu machen.

Wenn bei Menschen das Leben durcheinandergerate, dann sei vieles, mit dem sie sonst zur Beratung kommen, nicht mehr so wichtig, sagt Annabelle Laborier-Saffran vom Düdelinger Gleichstellungsdienst im Gespräch mit dem Tageblatt. Dann gehe es eher darum, die neue Situation zu überleben und sich neu zu organisieren. Die eigenen Gefühle und das Verhältnis zu anderen ständen in dem Fall nicht mehr im Vordergrund.

Die Gefahr bei solchen Situationen wie heute ist, dass das Virus und die Angst vor einer Erkrankung vorherrschen. „Bei unserer Arbeit kennen wir das, dass sobald das System oder die ganze Gesellschaft unter Druck gerät, dann rutschen die Gleichstellungsziele wieder ins Hinterfeld“, erzählt die Psychologin weiter. So riskiert es, in der Gleichstellung zu einem größeren Rückschlag zu kommen. Diesen hat es bereits durch die Mehrfachbelastung vieler Frauen gegeben, die in normalen Zeiten schon einen großen Teil der Sorgearbeit übernehmen. Home-Office und gleichzeitiges Home-Schooling haben die Situation exponentiell verstärkt. Oft fehle es nicht am Willen, daran etwas zu ändern, erklärt Laborier-Saffran, sondern ganze viele Routinen spielten mit hinein, wie auch Stereotypen, die tief im Selbstverständnis verankert seien.

Lieber reelle anstatt digitale Präsenz zeigen

Die Hoffnung, dass die Pandemie in Sachen Gleichstellung etwas bewegen könnte, gibt die Psychologin so langsam auf. Die Pandemie weist auf Probleme hin, die schon lange bekannt sind, und macht sie sehr deutlich. Berufe, die sonst unsichtbar sind, werden auf einmal als systemrelevant betitelt. Doch in Zwischenzeit habe sich nicht viel getan. „Der Vorteil ist, dass jetzt ganz klar und faktisch belegt werden kann, wo wir stehen.“

Da Gleichstellungsarbeit eigentlich im Dialog passiert und viel auf Präsenz setzt, war es für den Düdelinger „Service à l’égalité des chances“ im ersten Moment schwierig, sich umzustellen. „Wir treffen uns gerne mit den Menschen und besprechen und informieren über Themen. Wir mussten zuerst den Platz und Kanäle finden, über die wir weiter kommunizieren konnten“, erinnert sich Annabelle Laborier-Saffran. Wenn Informationsveranstaltungen, Ausstellungen oder Kinoabende ausfallen, dann fällt auch der gesellige Teil des Abends weg, in denen oft Beratungskontakte zustande kamen.

Der Anfang der Pandemie ging mit viel Ungewissheit einher. Trotzdem sei dem Gleichstellungsdienst sehr schnell klargeworden, dass weiterhin ein Bedarf an Stellen bestand, die informieren konnten. Die Menschen wollten in dem Moment zu anderen Themen beraten werden als üblich: „Es ging darum, die Betroffenen aus einer Isolation direkt wieder heraus zu begleiten“, so die Psychologin, sowie Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die mögliche Schwere der Situation überwunden werden kann.

Um weiter zu informieren und Ratschläge geben zu können, hat der Dienst zusammen mit der internen psychosozialen Beratungsstelle der Stadtverwaltung eine kleine Kolumne über Covid-19 und den psychosozialen Umgang mit der Situation verfasst. Der Nachteil davon war, dass die Kommunikation sehr einseitig blieb. „Wir bekamen nur wenig Rückmeldung darauf und wissen nicht, wer die Informationen erhalten hat und was daraus gemacht wurde.“

Mehr Fälle von häuslicher Gewalt

Der Dienst funktioniert auch als Beratungsstelle, bei der sich Menschen melden können, die sich aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt oder diskriminiert fühlen. Das sei in der ersten Zeit der Pandemie sehr eingebrochen, da alles über Telearbeit und Telefon funktionierte. Die Hemmungen, sich zu melden, seien dann noch größer, denkt Annabelle Saffran-Laborier.

Vorrangig wollten sich Frauen beim Dienst aussprechen. Viele legten den Fokus nicht darauf, wie das Sein in dem Moment sei, sondern wie diese Zeit überstanden werden kann. Die Psychologin hatte auch Gespräche, bei denen es um Gewalterfahrungen ging – auch mit Menschen, die sie vorher noch nicht wegen des Themas aufgesucht hatten. „Es schien so, als ob der Stress die Situation zum Eklat gebracht hat.“ Wenn Menschen bereits Reibungsfläche haben und zusammen zu Hause bleiben müssen, fehlt das Entkommen und der Ausgleich. Schließlich komme es zu Gewaltausbrüchen. Noch sind keine offiziellen Zahlen zum Thema häusliche Gewalt veröffentlicht worden. Doch Saffran-Laborier ist überzeugt davon, falls die Zahlen dies nicht widerspiegeln, dann weil die Dunkelziffer dementsprechend hoch sei. 

Aus einem Jahr Leben mit der Pandemie zieht sie das Fazit, dass sie sich immer noch nicht recht daran gewöhnen kann. Dazu hegt sie die große Hoffnung, dass sich das Leben wieder etwas normalisieren wird,  gerade was soziale Kontakte betrifft. Das sei das, was momentan am schwierigsten sei: „Wir sind so vernetzt, doch wir merken, dass viele Kontakte nicht die gleiche Tiefe haben. Und wenn uns das fehlt, dann fehlt uns vieles vom Menschlichsein.“

Dasselbe gilt auch für die Gleichstellungsarbeit. Die digitale Kommunikation ist sehr einseitig. Da spielt beim Dienst der Gedanke mit, mit welchen Menschen man dadurch nicht in Kontakt gekommen ist. „Verlieren wir über diese Kanäle nicht gerade die Menschen, die uns am wichtigsten wären?“ Diejenigen, die in irgendeiner Form ausgegrenzt werden, hätten es oft umso schwerer, sich Gehör zu verschaffen.