„Serbien hat ein orientalisches Herrschaftssystem“Wie Präsidentschaftskandidat Zdravko Ponos für die Wende streitet

„Serbien hat ein orientalisches Herrschaftssystem“ / Wie Präsidentschaftskandidat Zdravko Ponos für die Wende streitet
„Vucic verbreitet Angst und Panik“: pro-russische Demonstration in Belgrad mitten im Wahlkampf Foto: AFP/Vladimir Zivojinovic

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Als krasser Außenseiter fordert der aussichtsreichste Oppositionskandidat Zdravko Ponos bei Serbiens Präsidentschaftswahlen am Sonntag den allgewaltigen Amtsinhaber Aleksandar Vucic heraus. Mit Thomas Roser sprach der frühere Generalstabschef über seine Chancen und die Lage in seinem Land.

Tageblatt: Ihre Erfolgschancen gegen Favorit Vucic gelten als eher klein. Warum kandidieren Sie trotzdem?

Zdravko Ponos: Wer sagt denn, dass meine Chancen klein sind? Ich würde nicht antreten, wenn ich nicht an meinen Erfolg glauben würde. Die Serben sind enttäuscht und unzufrieden. Die Leute glauben nicht mehr an die Lügen einer hellen Zukunft, die ihnen das Regime schon zehn Jahren auftischt.

Vucic beschreibt seine Ära aber als „goldenes Zeitalter“. Wie sehen Sie diese?

Das ist sicher kein goldenes Zeitalter. Vucic spricht zwar gerne darüber, wie viel das Sozialprodukt und die Löhne gestiegen sind. Es ist sicher in Ordnung, dass neue Autobahnen gebaut wurden. Aber wir müssen uns mit unseren Nachbarn vergleichen. Und die haben größere Fortschritte erzielt.

In welchen Bereichen ist Serbien Ihrer Meinung nach in Rückstand geraten?

Serbien hat seit der Machtübernahme der SNS eine halbe Million Menschen verloren. Die ökologische Lage ist katastrophal. Belgrad ist nun einer der Städte mit der schlechtesten Luft weltweit. Die Institutionen sind zerstört. Wir haben kein funktionales Parlament und die Demokratie funktioniert nicht mehr. Wir haben heute ein orientalisches Herrschaftssystem.

Oppositionskandidat Zdravko Ponos
Oppositionskandidat Zdravko Ponos Foto: Wikipedia

Welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine im Wahlkampf?

Der scheidende Präsident versucht, den Krieg in der Ukraine für den Wahlkampf zu missbrauchen. Er verbreitet Angst und Panik in der Bevölkerung. Er versucht das Image zu kreieren, dass er der Schutz gegen die Folgen des Krieges sei. Ein verantwortungsvoller Präsident würde die Leute nicht mit dem Krieg verschrecken, sondern versuchen, dessen Folgen abzufedern.

Serbien laviert zwischen Ost und West. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Landes?

Wir haben einen Präsidenten, der uns mit den Nachbarn verkracht und in die entgegengesetzte Richtung von Europa führt – manchmal nach Brüssel, manchmal nach Zentralasien. Aber wir sind keine europäische Peripherie, sondern ein zentraleuropäisches Land. Es gibt keinen Grund, warum wir schlechter als unsere Nachbarn leben sollten.

Welche Herausforderungen machen Ihnen im Wahlkampf zu schaffen?

Ich reise mit meinem Privatauto zu den Wahlveranstaltungen. Hinter Vucic steht hingegen der ganze Staatsapparat. Die Leute, die bei staatlichen Institutionen arbeiten, werden oft gezwungen, an seinen Kundgebungen teilzunehmen. Ein Problem ist, dass viele Wähler von mir nie gehört haben, weil der Zugang der Opposition zu den TV-Sendern mit nationaler Ausstrahlung minimal ist.

Welche Folgen hat das?

Wenn die Leute nur zehn Tage die Gelegenheit hätten, beide Seiten zu hören, könnten Sie viel besser ihre Wahlentscheidung zu treffen. Das ist ein Grund, warum ich Herrn Vucic bereits mehrmals zu einem TV-Duell aufgefordert habe. Die Leute sollten sehen, was die Unterschiede zwischen uns sind. Bisher können sie nur hören, was Vucic alles getan hat – und wie er das interpretiert.

Wenn Vucic noch lange weiter regiert, werden wir bald überhaupt keine Wahlen mehr haben

Was ist die Bedeutung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen?

Serbien ist in einem derartigen Zustand, dass wir keine Wahl mehr zwischen gut und besser haben. Wir haben nur die Wahl zwischen dem Überleben oder dem Verschwinden. Wir haben einen Menschen an der Spitze des Staats, der denkt, dass der Staat seine Privatsache ist. Wenn Vucic noch lange weiter regiert, werden wir bald überhaupt keine Wahlen mehr haben.

Und was ist Ihre Hoffnung?

Premierministerin Ana Brnabic spricht Vucic mit „Chef“ an. Aber Vucic ist von niemanden der Chef. Mit der richtigen Wahlentscheidung werden wir uns in Richtung Europa und dem EU-Beitritt orientieren und können uns zu einer demokratischen Gesellschaft entwickeln. Die Leute müssen nur die Angst besiegen – und alle wählen gehen.