Italien vor der WahlWie faschistisch sind Georgia Meloni und ihre Fratelli d’Italia?

Italien vor der Wahl / Wie faschistisch sind Georgia Meloni und ihre Fratelli d’Italia?
„Vermittlung ist nicht möglich – man sagt ja oder nein“: Giorgia Meloni beim Wahlkampf in Palermo Foto: AFP/Igor Petyx

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Am Sonntag droht Italien der Rechtsruck. Die postfaschistischen Fratelli d’Italia unter ihrer Chefin Giorgia Meloni gehen als haushohe Favoriten ins Rennen. Kehrt damit der Faschismus nach Italien zurück?

Am Sonntag wählen die Italiener ein neues Parlament. Nachdem seitens der Populisten des Movimento 5 Stelle und der Lega die Mehrparteienregierung Mario Draghis gestürzt wurde, ist gegenwärtig ein deutlicher Rechtsruck im Lande spürbar. Den Prognosen zufolge könnten die postfaschistischen Fratelli d’Italia als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Doch wie viel Faschismus ist bei den „Brüdern Italiens“ zu finden?

Seit zwei Wochen schon dürfen in Italien keine Wahlprognosen mehr veröffentlicht werden. Gemäß der letzten Vorhersage vom 10. September würde der Mitte-Rechts-Block – wie er noch genannt wird, obwohl deutlich rechts orientiert – mit einer Wählergunst von 47,2 Prozent rechnen können. Der Widerpart von Mitte-Links käme aufgrund seiner inzwischen chronischen Zerstrittenheit nur auf 28 Prozent.

Meloni gibt sich lammfromm

Sollte sich diese Prognose am Wahlabend bewahrheiten – und dies befürchten viele Menschen innerhalb und außerhalb Italiens –, so würde das Belpaese ab Oktober von rechten Kräften, und zwar unter Führung der postfaschistischen Fratelli d’Italia, die mit gegenwärtig 25,2 Prozent der Stimmen stärkste Einzelpartei würden, regiert werden. Die neue Premierministerin hieße dann Giorgia Meloni. Die 45-jährige Rechtspolitikerin wäre die erste Frau im Chefsessel des Palazzo Chigi.

Postfaschistisch? Meloni weist jede Vorwürfe in Hinsicht auf Faschismus und Postfaschismus weit von sich. In ihren inzwischen häufigen Selbstvorstellungen gibt sie sich als moderne Politikerin, die sich vor allem treu an die atlantischen Verbindungen hält. Meloni unterstreicht gern, dass sie an der Seite der USA und der NATO-Verbündeten solidarisch mit den Kämpfenden in der Ukraine sei und eine Regierung unter ihrer Führung auch alle Verbindlichkeiten aus den Bündnisverpflichtungen erfüllen werde. Besonders US-amerikanischen Medien gegenüber betont sie, dass die Politik der Vereinigten Staaten, insbesondere unter der Führung des Ex-Präsidenten Donald Trump, für ihre Vorstellungen wegweisend und nachahmenswert ist. Aus Trumps „America first“ adaptierte die FdI-Chefin „Italia first“. Das allein kann man zwar schon als nationalistisch bezeichnen, würde jedoch noch nicht den Sachbestand des Faschismus erfüllen.

Giorgia Meloni ist eine Frau mit einer überaus raschen Auffassungsgabe und einem Gespür für politische Trends. In der Vergangenheit spielte die von ihr gegründete Partei Fratelli d’Italia – der Name ist aus der ersten Zeile der durchaus als martialisch zu bezeichnenden italienischen Hymne abgeleitet – eher eine marginale Rolle.

Ihr früherer Weggefährte und ehemaliger Parteichef Gianfranco Fini hatte sich seinerzeit stromlinienförmig an die Politik des wohl ewig regierenden Silvio Berlusconi angepasst. Seine Alleanza Nazionale, die aus dem von Mussolini-Anhängern gegründeten postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorging, hatte Fini von jeder faschistischen Symbolik befreit. Einmal in Berlusconis Partei Popolo della Libertà aufgegangen, verschwand Fini nach wenigen Jahren in der Bedeutungslosigkeit. Militante Parteigänger wie Giorgia Meloni und der Ex-Verteidigungsminister Ignazio La Russa wollten den Schmusekurs mit Berlusconis Partei nicht mitmachen und gründeten die Fratelli.

Im aktuellen Wahlkampf jedoch verzichtete Meloni auf die traditionellen Verbindungen und sprach sich in Interviews gegen die „faschistische Unterdrückung der Demokratie und die antijüdischen Rassegesetze“ aus. Kurzzeitig, so hieß es, sei Giorgia Meloni sogar bereit gewesen, in ihrem Parteisymbol auf die grün-weiß-rote Flamme zu verzichten. Doch dann haben die Fratelli dieses Symbol auf den Wahlkampfplakaten doch beibehalten. Die „glühende Flamme über dem Grab Benito Mussolinis“ (als schwarzer Balken unter der Trikolore dargestellt) war bereits Symbol des MSI und der Alleanza Nazionale. Überhaupt scheinen die „Brüder Italiens“ einen Hang zur Symbolik (und zu großen Namen) zu haben: Bei ihrer Kandidatur um einen Stadtratsposten in Rom posierte Rachele Mussolini, die Enkelin des „Duce“, vor dem Rathausturm in der im italienischen Faschismus errichteten Retortenstadt Sabaudia an der Mittelmeerküste unweit von Rom. Urenkel Caio Mussolini tat es ihr gleich und ließ sich anlässlich seiner Kandidatur für das Europaparlament vor den ebenfalls in der faschistischen Epoche entstandenen Bauten des römischen Stadtteils EUR (Esposizione Universale di Roma) fotografieren.

Doch nicht nur bildhafte Symbole werden für die politische Darstellung der Fratelli genutzt. Die Jugendorganisation der Partei, die Azione Universitaria, greift auch gern auf Parolen der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Der Verband trete zu den Wahlen an, für „Glauben, Kampf und Sieg“.

Militanter Glaube als Parteikonzept

Nicht nur, dass sowohl die Fratelli als auch Matteo Salvinis Lega ihre Partei- und Wahlkampfveranstaltungen von militanten Schlägertrupps der „Forza Nuova“ schützen lassen. Auch in ihren Aussagen geben die Politiker der extremen Rechten – lassen sie einmal alle Scheu fallen – militant-konservative Argumente von sich. Fühlt sich Meloni unter ihresgleichen, so gibt sie geradezu fanatisch ihre Zielstellung und Gangart preis. Auf einer Veranstaltung der rechtsextremen spanischen Partei Vox erklärte die Fratelli-Chefin unlängst: „Vermittlung ist nicht möglich – man sagt Ja oder Nein. Ich sage: Ja zur natürlichen Familie, Nein zur LGBT-Lobby, Ja zur sexuellen Identität, Nein zur Gender-Ideologie, Ja zum Leben, Nein zur Kultur des Todes, Ja zu den christlichen Werten, Nein zur islamistischen Gewalt, Ja zur Souveränität des Volkes, Nein zu den Brüsseler Bürokraten, Ja zu sicheren Grenzen, Nein zur Masseneinwanderung. Hoch lebe Spanien, hoch lebe Italien, hoch lebe das Europa der Patrioten!“

Fast auf jeder ihrer Veranstaltungen gibt sie sich als sorgende Mutter und bekennende Katholikin, als Abtreibungsgegnerin, als Gegnerin einer grünen Umweltpolitik und Leugnerin des Klimawandels. Als in der vergangenen Woche ein verheerendes Unwetter die von den Fratelli d’Italia regierte Region Marche überspülte und mindestens elf Menschenleben forderte, ließ sich der Regionalgouverneur und Parteikollege Francesco Acquaroli auf einem Wahlkampfbankett feiern.

Gott, Familie, Vaterland – der Wahlspruch galt bereits zu Zeiten Benito Mussolinis. Dessen hartgesottene Verehrer, Spitzenpolitiker der Partei, pilgern heute noch zur Grabstätte des „Duce“ in Predappio, legen nirgendwo Protest ein, wenn auf Parteiveranstaltungen der „römische Gruß“ – vergleichbar mit dem Hitlergruß – gezeigt wird. Und freuen sich schon im Vorfeld darauf, dass im Oktober, zum 100. Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom, wieder eine extrem rechte Regierung in Rom amtieren könnte.