IFENWie esoterische Fortbildungskurse mit Steuergeldern finanziert werden

IFEN / Wie esoterische Fortbildungskurse mit Steuergeldern finanziert werden
Beim IFEN werden nicht nur seriöse Fortbildungskurse angeboten Archivfoto: Editpress

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Anhand von simplen Gesten Körper und Seele ins Reine bringen und Schmerzen lindern – das verspricht die „BodyTalk“-Methode. Anekdotische Erfahrungsberichte schwärmen von der Wirksamkeit, wissenschaftliche Belege für den augenscheinlichen Hokuspokus gibt es keine. Und trotzdem werden „BodyTalk“-Fortbildungskurse für Luxemburger Lehrkräfte mit Steuergeldern finanziert.

Mit einer Hand am Hinterkopf tippt sich die Frau mit der anderen Hand abwechselnd auf den Kopf, dann aufs Brustbein und abschließend auf den Nabel. „Wir verbinden damit die Funktion im Gehirn mit unserem Herzgehirn und dem Bauchgehirn“, erklärt die selbsternannte Body-Talkerin in einem Anleitungsvideo auf einer bekannten Social-Media-Plattform. „Wichtig: Wenn Sie auf den Kopf tippen, spreizen Sie die Hand, um die rechte und linke Hemisphäre des Gehirns optimal anzusprechen.“

„BodyTalk“ – oder auch noch „BodyTalk System“ genannt – wurde in den 90er Jahren von einem australischen Chiropraktiker erfunden. Eine Stichwortsuche im Internet fördert Unmengen Material zutage – wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit aber gibt es keine.  Anekdotische Erfahrungsberichte von Menschen, die offenbar an den Zauber glauben wollen, gibt es zuhauf – und das steht auch jedem frei. Problematisch wird es aber, wenn „BodyTalk“ als Fortbildung für Lehrkräfte am Luxemburger „Institut de formation de l’éducation nationale“ (IFEN) angeboten und mit Steuergeldern finanziert wird – mit teils gefährlichen Versprechen.

„Das war schon die Cortex-Technik“, schließt die Body-Talkerin ihr fast fünfminütiges Video ab. „Es hat sich herausgestellt, dass die Cortex-Technik die Kommunikation im Gehirn sehr stark verbessert.“ Die Technik könne so oft angewandt werden, wie man eben wolle oder brauche, um im Alltag mehr Ruhe und Entspannung zu erfahren.

Hokuspokus am IFEN

IFEN

Das „Institut de formation de l’éducation nationale“ ist das Luxemburger Aus- und Fortbildungsinstitut für Lehrpersonal. Laut Gesetz müssen Luxemburgs Lehrkräfte jede drei Jahre 48 Stunden Fortbildungskurse am IFEN belegen. Das Schulpersonal kann den Inhalt seiner Fortbildungskurse frei wählen.

Ähnlich unschuldig wird das BodyTalk-System auch am IFEN angepriesen. Mit Hinweis auf den zunehmenden Belastungsgrad der Lehrkräfte – Schlagwörter sind unter anderem Burnout-Gefahr, Dauerstress und die Anpassung an sich ständig wechselnde Corona-Verordnungen – wird durch die BodyTalk-Technik schnelle Abhilfe versprochen. Mehrere Techniken sollen demnach helfen, Körper und Geist wieder in Einklang zu bringen: die bereits oben erwähnte Cortex-Technik, das Switching, die Hydrationstechnik, Körperchemie-Technik und sogenannte reziproke Paare. „BodyTalk Access führt unmittelbar zu innerlicher Ruhe und Fokussierung, was sich nicht nur positiv auf die Kommunikation im Kollegium auswirken kann, sondern auch in der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern“, wird der interessierten Lehrkraft versprochen. Die Fortbildung wurde mittlerweile drei Gruppen angeboten, das Feedback sei „sehr positiv“ gewesen, schreibt das Bildungsministerium auf Nachfrage des Tageblatt. Der finanzielle Aufwand für die drei Fortbildungskurse: 5.018,81 Euro. Weitere Kurse seien derzeit nicht geplant.

Für all jene, die sich darunter nichts vorstellen können, anbei ein Beispiel aus dem Kursheft, das auch an Luxemburger Lehrkräfte ausgeteilt wurde und dem Tageblatt vorliegt:

„Beschreibung der Hydrationstechnik

1. Befeuchten Sie einen Wattepad oder ein Wattestäbchen mit klarem Wasser (um den Fokus des KörperGeist auf den Wasserhaushalt zu richten) und legen Sie es auf den Nabel (ein Zentrum hoher Energie, an dem die innere Weisheit die Information „lesen“ kann) der Person. Der Wattebausch kann auch am linken Ohr platziert werden. Wenn nötig, kann man auch einige Tropfen Wasser mit dem Finger an die entsprechende Stelle bringen.

2. Bitten Sie die Person, ihre Hände an die Seiten des Kopfes zu legen, um das limbische System einzubeziehen. (Anm.: Das limbische System verarbeitet Emotionen, die eine starke Wirkung auf alle Zellmembranen habe (sic!). Daher wird der Kontakt zu diesem Gehirnareal während des gesamten Austippens gehalten.) Tippen Sie dann den Rest der Cortexe aus, beginnend an der Schädelbasis. Legen Sie Ihre Hand auf die nächste Position, bis Sie den gesamten Schädel bis hin zu den Augenbrauen abgedeckt haben.

Fokus: Den Fluss des Wassers durch die Zellmembran ermöglichen.

Anmerkung: Es ist möglich, dass man nach der Hydrationsbalance Durst verspürt, da das Wasser, das die Zellen vermehrt aufgenommen haben, ergänzt werden muss. Es ist auch möglich, dass man das Bedürfnis hat, häufiger zu urinieren, da überschüssiges extrazelluläres Wasser ausgeschieden ist.“

Praktisch, nicht? Egal ob nach der Hydrationstechnik eine Wasserzufuhr oder eine Wasserabnahme des Patienten erfolgt, verweist das Handbuch darauf, dass die Technik gewirkt hat.

Zauber statt Erste Hilfe

Von esoterisch-lustig hin zu gemeingefährlich wird es dann, wenn die Kursteilnehmer in die „Schnelle-Hilfe-Technik“ eingeführt werden. Diese verspricht nämlich Folgendes: „Diese eigenständige Technik kann bei Verletzungen sofort Linderung bewirken. Bei Unfällen kann sie eine gute Hilfestellung bieten, bis medizinische Versorgung eintrifft.“ Zwar wird in dem Handbuch darauf verwiesen, dass die Kursteilnehmer alles anwenden müssen, was sie über Erste Hilfe gelernt haben. Nicht etwa, weil etablierte medizinische Verfahren wirksam sind, sondern weil „es rechtlich gesehen wichtig ist“ und weil „Sie zur Leistung Erster Hilfe verpflichtet sind“ – „obwohl die BodyTalk-Access-Techniken bereits Leben gerettet hätten“, wie dann weiter erklärt wird.

Es geht aber noch abstruser. Mit dem Hinweis, dass eine Person, die eine Nacken- oder Rückenverletzung erlitten hat, keineswegs bewegt werden sollte, schreibt das Handbuch vor, dass die BodyAccess-Techniken mit „einem gewissen Abstand zum Körper angedeutet und ausgetippt oder aus der Entfernung visualisiert“ werden kann. Nachdem vorher im Kursheft auf rund 30 Seiten erklärt wird, wie der geneigte Anwender des BodyTalk-Systems richtig tippen soll, geht es bei Leben und Tod also auch ohne Anfassen.

Auf die doch zweifelhafte „Schnelle Hilfe“-Methodik angesprochen, schreibt das Bildungsministerium, dass die Fortbildung ausschließlich zur Stressbewältigung und dem Wohlbefinden des Personals diene. „Es geht auf keinen Fall darum, die Erste Hilfe als Reaktionsmittel bei Unfällen zu ersetzen“, schreibt das Ministerium. Das stehe so auch explizit in dem Kursheft drin, das dem Personal ausgeteilt werde. „Das Lehrpersonal in der Grundschule muss zudem einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, ehe die Probezeit überhaupt angetreten werden kann“, schreibt die Pressestelle des Bildungsministeriums.

Zweifelhafte wissenschaftliche Belege

Das Tageblatt hat bei der für die „BodyTalk“-Fortbidung am IFEN zuständigen Kursleiterin, die auch Mitglied in der „International BodyTalk Association“ (IBA) ist, nach weiteren Informationen zum BodyTalk-System gefragt. Auf dem Internetauftritt des IFEN ist nämlich eine Studie verlinkt, die aber nicht mehr aufgerufen werden kann. Auf Anfrage bei der Kursleiterin bekommt das Tageblatt die entsprechende Studie zugeschickt. Vier Wissenschaftler haben an der Studie mit dem Namen „Evaluation of BodyTalk, a novel mind-body medicine, for chronic pain treatment“ mitgewirkt. Drei der vier Wissenschaftler können jedoch mit „Be Healthy, Inc.“, einer Non-Profit-Organisation aus Miami, in Verbindung gebracht werden. Diese wirbt auf ihrer Seite unter anderem mit telemedizinischen Behandlungen, die anhand elektromagnetischer Ströme auf den Patienten einwirken sollen.

Die Zweifel enden jedoch nicht bei der Unabhängigkeit der Studie. Auch die Methodik wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Das Studiendesign wurde nämlich nach Vorlage der „National Foundation for Energy Healing“ durchgeführt. Die in den Fußnoten angegebenen Referenzwerke in der Studie sollten ebenfalls mit einer gesunden Portion Skepsis durchgelesen werden. Unter anderem wird eine Studie angegeben, die die Wirksamkeit von Gebeten untersucht.

Ratloses „Collège médical“

Da ist es dann auch wenig überraschend, dass auch das „Collège médical“ in Luxemburg bei der Frage der Wirksamkeit des BodyTalk-Systems nicht weiterhelfen kann. „Weil es sich weder um ein medizinisches noch um ein psychotherapeutisches Thema handelt, ist das Collège médical nicht zuständig“, schreibt die Körperschaft auf Anfrage des Tageblatt. „Wenden Sie sich bitte an das Bildungsministerium.“

Auch der Luxemburger Psychologen-Verband konnte auf Anfrage des Tageblatt keine weiteren Informationen liefern. „Ich habe bei verschiedenen Vereinigungen nachgefragt und leider niemanden gefunden, der diesen Begriff kennt“, sagt auch Catherine Richard, Präsidentin der Fapsylux auf Nachfrage des Tageblatt. Sie selbst habe ebenfalls noch nie davon gehört. „Ich wünsche aber viel Erfolg bei der weiteren Recherche.“ Eine Recherche, die jedoch auch bei gängigen Medizin- und Literaturportalen wie „Cochrane“, „uptodate“ und „pubmed“ nicht ergiebig ist. Eine Stichwortsuche fördert im Gegenteil zu dem, was sonst im Internet kursiert, recht wenig zutage. Es finden sich zwar einige Artikel, die das Stichwort BodyTalk enthalten – allerdings beziehen sich die Artikel nicht auf das von der IBA angepriesene System.

Wie aber hat es diese Fortbildung ins Programm des IFEN geschafft? „Diese Fortbildung wurde in den vergangenen Jahren bereits außerhalb des Bildungsbereiches angeboten“, schreibt das Bildungsministerium auf Nachfrage des Tageblatt. „Das IFEN wurde von Lehrkräften auf das Angebot aufmerksam gemacht und ist der Nachfrage nachgekommen.“ Ziel der „BodyTalk“-Fortbildung sei es demnach gewesen, die Lehrkräfte in ihrem „beruflichen Selbstmanagement“ – sprich: Stressprävention, Resilienz, Arbeitsstrategien – zu unterstützen. Die Fortbildung sei hingegen nicht dafür gedacht, dass die vermittelten Methoden in der Klasse angewandt werden sollen.

Damit Fortbildungskurse es ins Angebot des IFEN schaffen, müssen laut Bildungsministerium mehrere Kriterien erfüllt sein. Relevanz des Themas für die Praxis, Angemessenheit des Ausbildungsinhaltes, Qualifikation des Kursleiters, Qualität der Fortbildungsmethoden sowie die Beurteilung der vergangenen Fortbildungen und der finanzielle Aufwand seien entscheidend bei der Auswahl der Kurse. Fragt sich nur, wie die „BodyTalk“-Ausbildung es trotz dieser Kriterien ins Angebot des IFEN geschafft hat. 


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Kommentar / Wenn Lehrer Spucke in ihren Nabel schmieren

padpo
22. August 2023 - 10.22

Här Wiltgen, Ech weess nit ob Dir selwer un der Formatioun deelgeholl hutt oder just dovun héieren hutt... Ech hunn déi läscht Woch iwwer Teams 8 Stonnen Body Talk Access matgemeet; eng Frëndinn hat mech virwëtzeg gemeet... Austippen a Kombinatioun mat vill Waasser-hu bis dato definitiv nit genuch Waasser gedronk-huet bei mir ganz kloer eng mental a physëch Verännerung matsechbruecht! Sou hunn ech z.Bsp keng allergësch Reaktiounen op méi an dat obschons ech méng Medikamenter no an no ofgesat hunn! Schued, dass den IFEN opgrond vun Aërem Artikel, d'Formatioun nit méi ubidd... Dass een den 112 bei Noutfall ëmmer als 1. uruffe soll, krute mir an der Formatioun zëchmol widderholl a steet och an all Dokumentation, déi mir iwwregens gratis kruten!! Nujee, vläit werft dir nach een 2. Bléck op dat Ganzt oder huelt einfach eemol drun deel... Et soll ee keen zu séngem Gléck zwéngen an dat wëll ech ganz bestëmmt och nit, mee ausprobéiere schued nix. Ech fir mech hu Body Talk a waert et och weiderhinn-nach méi konsequent-mat de Schüler praktizéieren. D'Kanner si begeeschtert a d'Eltere si mir dankbar dofir, dass hir Kanner méi roueg, méi ausgeglach, méi konzentréiert sinn... Näischt fir Ongutt, Padpo

jo
7. Juni 2023 - 18.54

Lehrer(innen) die an solchen Schwachsinn glauben gehören nicht vor eine Klasse!

Obelix
7. Juni 2023 - 15.25

So ein Schwachsinn. Da kann nur mehr Miraculix aus Gallien helfen.

JJ
7. Juni 2023 - 9.33

"Gerührt- nicht geschüttelt". Dass dieser Schwachsinn überhaupt in einer Schule einen Platz hat ist erstaunlich. Da können wir ja auch gleich die Schwarzröcke aus dem Vatikan wieder auf die Kinder loslassen.Die Globuli- , Bachblüten- und Schamanismusexperten leben gut von der Leichtgläubigkeit der schlichten Gemüter. Solange es hilft und keinen Schaden anrichtet...Aber das ist das Problem.Schaden wird angerichtet. Esoterik hätte gegen Corona wenig ausgerichtet.

Miette
6. Juni 2023 - 22.51

Wenn der Schüler mit 10 Jahren seinen Namen tanzen kann und Wehwehchen mit Spucke heilen, so ist unsere Zukunft gerettet.

carlomathias.goebel
6. Juni 2023 - 19.50

Wéi wir et wann den Här Meisch ging déi "Body-Talk"-Method ging uwenden, déi him ging soen hien soll säin Hut huelen.

ckintzin
6. Juni 2023 - 19.03

Unsere Lehrkräfte denken eben nicht immer rational . Und wer sitzt ,unter anderem, auf den Stühlen im Bildungsministerium ?