GrenzgängerWie ein vulnerabler Lehrer um seine Impfung kämpfen muss

Grenzgänger / Wie ein vulnerabler Lehrer um seine Impfung kämpfen muss
Micaele Chiocci blickt von der Terrasse seines Hauses in Perl (D) auf das einen Kilometer entfernte Schengen auf der luxemburgischen Seite Foto: Privat

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Micaele Chiocci ist eine vulnerable Person. Er ist Lehrer in Luxemburg, wohnt aber im deutschen Perl. Ihn wollte jedoch niemand impfen. Weder in Luxemburg noch in Deutschland. Dabei hätte Chioccis Arbeitgeber, das Bildungsministerium, einen Prioritätscode für ihn beim deutschen Gesundheitsamt beantragen können. Dies wurde trotz eindringlicher und mehrmaliger Nachfrage des Lehrers aber nicht getan.

Lange wurde Micaele Chiocci die Impfung verwehrt. Am vergangenen Donnerstag war es dann endlich so weit. Er hat nach monatelangem Ringen einen Termin bekommen. Bei einem Arzt im saarländischen Perl. Dort wohnt er auch, einen Kilometer hinter der luxemburgischen Grenze. Chiocci ist Luxemburger und Lehrer am „Lycée Bel-Val“. Er gilt als vulnerable Person.

„Ich habe immer an Europa geglaubt“, sagt Micaele Chiocci im Tageblatt-Gespräch. „Wir sind nicht nach Perl gezogen wegen des Geldes. Wir verdienen gut. Wir sind hierhergezogen, weil die Familie meiner Frau hier lebt“, so der Lehrer. „Do kritt een de richtegen Dégoût.“ Chiocci nennt den Ort, wo er wohnt, als einen, wo sie Europa groß feiern. „Und dann sind sie nicht fähig, jene zu impfen, die es wirklich brauchen, nur weil sie Grenzgänger sind“, moniert er. „Wieso haben wir Europa, wenn man nicht mal einen Kilometer von der Grenze seines Landes leben kann?“

Wir sind nicht nach Perl gezogen wegen des Geldes. Wir verdienen gut. Wir sind hierhergezogen, weil die Familie meiner Frau hier lebt.

Micaele Chiocci, Lehrer und Grenzgänger

Was ist passiert? Da Chiocci in Deutschland lebt, darf er sich in Luxemburg nicht impfen lassen. Also musste er einen Impftermin in Deutschland beantragen. Dort war die Impfstrategie, ähnlich wie in Luxemburg, nach Altersklassen gestaffelt. Bis zum 7. Juni konnten zudem bestimmte sozioprofessionelle Kategorien eine Impfpriorisierung erhalten. Dazu zählte unter anderem die Kategorie der Lehrer. Da Chiocci Lehrer ist, hätte er folglich von einer solchen Priorisierung profitieren können.

E-Mail des Lehrers an Ministerium bleibt unbeantwortet

Mein Arbeitgeber hätte nur einmal kurz beim Gesundheitsamt in Deutschland anrufen müssen, dann hätte ich den Code zugeschickt bekommen

Micaele Chiocci, Lehrer und Grenzgänger

Damit man die Zugehörigkeit zu einer dieser Kategorien geltend machen kann, muss man einen Code beim deutschen Gesundheitsamt beantragen. Diese Anfrage kann allerdings nur vom Arbeitgeber gestellt werden. Im Falle von Chiocci wäre dies die Aufgabe des Bildungsministeriums (Menje) in Luxemburg. „Mein Arbeitgeber hätte nur einmal kurz beim Gesundheitsamt in Deutschland anrufen müssen, dann hätte ich den Code zugeschickt bekommen.“ Der Lehrer half nach und schrieb Anfang Mai eine E-Mail an das Menje. In Kopie setzte er ebenfalls die „Santé“ und das Außenministerium.

In der E-Mail erklärte Chiocci die Situation und bat darum, Kontakt mit dem deutschen Gesundheitsamt aufzunehmen, damit er den Zugangscode bekommen könnte. Das Gesundheitsministerium schrieb in seiner Antwort, dass Luxemburg zurzeit keine Prioritäten nach sozioprofessionellen Kategorien vorsehe. Mit dieser Antwort war klar, dass die „Santé“ die Anfrage Chioccis wohl missverstanden hatte. Denn der Lehrer hatte auf die Prioritäten nach beruflichen Kategorien in Deutschland hingewiesen, nicht auf die Situation in Luxemburg.

Herr Chiocci hat von der Direktion des ’Lycée-Bel-Val’ eine Bescheinigung ausgestellt bekommen, dass er als Lehrer bei der Schule angestellt ist

Pressesprecherin des Bildungsministeriums

Chiocci gab sich damit nicht zufrieden. Er schickte Mitte Mai eine weitere E-Mail an besagte Ministerien, erklärte nochmals die Situation und heftete die FAQ des saarländischen Amtes an. Auf diese E-Mail bekam der Lehrer bis heute keine Antwort. Das Tageblatt hat bei der „Santé“ und dem Bildungsministerium nachgefragt. Die Pressesprecherin des Menje antwortete darauf: „Herr Chiocci hat von der Direktion des ’Lycée-Bel-Val’ eine Bescheinigung ausgestellt bekommen, dass er als Lehrer bei der Schule angestellt ist.“ Chiocci sagt, dass er diese Bescheinigung Ende Mai auf eigene Initiative angefragt hatte, und dass sie ihm daraufhin ausgestellt wurde. Nur leider habe dies nichts genützt. Denn das deutsche Amt sagte dem Lehrer, dass der Arbeitgeber selber diesen Antrag auf prioritäre Behandlung in einem Impfzentrum stellen müsse, nicht der Angestellte. Und der Arbeitgeber von Chiocci ist laut Arbeitsvertrag des Lehrers nicht die Direktion seines Lyzeums, sondern das Bildungsministerium. Und dieses hatte ihm auf die zweite Mail keine Rückmeldung mehr gegeben. Zu dieser Tatsache äußerte sich die Pressesprecherin nicht. 

Bildungsministerium beruft sich auf Datenschutz

Weiter schreibt das Menje: „Diese Bescheinigungen müssen individuell beim Arbeitgeber angefragt werden und werden daraufhin auch individuell ausgestellt.“ Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei es nicht möglich, dass das Ministerium einen zentralisierten Antrag bei den deutschen Behörden für sämtliche Lehrkräfte stellt, die in Deutschland wohnen und in Luxemburg arbeiten, weil eine solche Anfrage den Transfer persönlicher Daten implizieren würde. „Darüber hinaus ist es ja an jeder einzelnen Person, zu entscheiden, ob sie geimpft werden möchte oder nicht“, so das Ministerium. 

Da Chiocci über seinen Arbeitgeber nichts erreichen konnte, suchte er sich einen Hausarzt an seinem Wohnort in Perl und setzte sich mit seinem Kardiologen und seinem Hausarzt in Luxemburg in Verbindung. Seit dem 7. Juni hatte Deutschland zudem die Priorisierung von beruflichen Kategorien wieder aufgehoben und die Impfungen für jedermann freigegeben. Nun ging es also darum, einen Impftermin zu bekommen, der nicht in allzu weiter Ferne lag. Weil er bislang immer nur in Luxemburg zum Arzt gegangen war, gab es in Deutschland weder einen Hausarzt noch einen Kardiologen, die seinen Werdegang dokumentieren konnten. Dies erschwerte es, seine Vulnerabilität in Deutschland geltend zu machen. Zuerst bekam er einen Impftermin für Mitte August in einem Impfzentrum im saarländischen Lebach, etwa 60 Kilometer von Perl entfernt. Doch Chiocci versuchte, einen früheren Termin zu bekommen.

So bat er seinen Kardiologen in Luxemburg, ein Dossier zusammenzustellen. Sein Hausarzt in Luxemburg nahm anhand dieses Dossiers Kontakt mit seinem neuen Hausarzt in Perl auf, der dann aufgrund Chioccis Vulnerabilität einen früheren Impftermin bei ihm in der Praxis vereinbaren konnte. Diese Prozedur habe allerdings sehr lange gedauert. Auf diese Weise konnte Chiocci in der vergangenen Woche seine erste Impfung bekommen. „Das hätte alles viel einfacher gehen können, wenn ich damals den Code vom Gesundheitsamt bekommen hätte“, so Chiocci. Der Lehrer sagt, dass seine Ärzte in Luxemburg ihn bereits seit vielen Jahren betreuen würden. Er habe bislang nicht eingesehen, wieso er den Arzt des Vertrauens wechseln sollte, nur weil er jetzt einen Kilometer hinter der Grenze wohnt. „Vielleicht war das ein Fehler“, sagt er.

Der deutsche Teil des Lyzeums hat eine Anfrage beim deutschen Gesundheitsamt für sein gesamtes Personal gemacht, auch für die Luxemburger

Micaele Chiocci, Lehrer und Grenzgänger

Als Grenzgänger sitzt man zwischen den Stühlen

Im Schengener Lyzeum sind laut Chiocci alle Luxemburger Lehrer, die in Deutschland leben, bereits vor zwei Monaten geimpft worden. „Der deutsche Teil des Lyzeums hat eine Anfrage beim deutschen Gesundheitsamt für sein gesamtes Personal gemacht, auch für die Luxemburger“, so der Lehrer. Diese haben in der Folge den Code zur Priorisierung bekommen und konnten sich alle im Saarland impfen lassen, sagt er. Genau dies wollte er eigentlich mit seiner Anfrage bei den luxemburgischen Ministerien auch erreichen: dass man ihm diesen Code nach Hause schickt. Dies sei ihm und vielen anderen Grenzgängern aber verwehrt worden. 

Es sei einfach ein ganzer Teil der Bevölkerung vernachlässigt worden. „Ich bezahle genauso viele Steuern wie jeder andere und auch wenn ich nicht in Luxemburg wohne, bringe ich genauso viel in die Staatskasse wie die anderen. Dafür muss ich nicht unbedingt in Luxemburg wohnen.“ Chiocci hat sich offiziell in Deutschland angemeldet. Das machen aber nicht alle Luxemburger so, die in den Grenzregionen der Nachbarländer wohnen. Tatsächlich hätte der Lehrer seinen Impftermin schneller bekommen, wenn er eine offizielle Adresse in Luxemburg angegeben hätte.

Ich bin Risikopatient und habe Risiken genommen. Am Anfang der Pandemie musste ich nicht arbeiten gehen, habe es aber trotzdem gemacht. Und das hier ist dann der Dank dafür.

Micaele Chiocci, Lehrer und Grenzgänger

„Ich bin Risikopatient und habe Risiken genommen“, sagt er. „Am Anfang der Pandemie musste ich nicht arbeiten gehen, habe es aber trotzdem gemacht. Und das hier ist dann der Dank dafür.“ Als Kunstlehrer habe er stets eine gewisse Nähe zu seinen Schülern. In seinem Lyzeum habe es schon einige positive Fälle gegeben. „Ich kann wirklich von Glück sprechen, dass ich das Virus noch nicht hatte.“ Was ihn zudem ärgert, sind Leute, die auf Facebook ihre Impfeinladung zeigen und diese anschließend zerreißen. „Ich lasse dies zu, weil jeder seine Meinung haben darf. Andererseits gibt es Leute wie mich, die an die Wissenschaft glauben und davon ausgehen, dass das Ganze auch funktionieren kann.“

Zurzeit wird in Luxemburg in Phase 6 geimpft. Sobald die Alterskategorie der 12-Jährigen erreicht ist, werden auch die Grenzgänger eine Impfeinladung bekommen. Jene, die in Gesundheitsberufen arbeiten, hatten bereits in Phase 1 Einladungen bekommen. Micaele Chiocci wird diese späte Öffnung für Grenzgänger allerdings nichts mehr nützen.

Oder
6. Juli 2021 - 19.39

@Vulnérable, wann ech iech mein historique misst erzielen, vun Bypass, Schildrüsenkribs,Oesophaguetumor etc.dann giff der aanescht reagéieren, während all der Zeit duerno no den deenen Operatiounen hunn ech mech och misste déplacéieren, 40 - 50 km vun der Klinik ewéch,hun nie gemeckert an wor trotzdem zefridden.Wees genau vun waat ech schwetzen.

Vulnérable
5. Juli 2021 - 19.56

@ oder. Dir sidd doudsecher net schwéierst krank! All cardiaque, transplanté, dialysé, cancereux... kuckt als 1. Op eng klinik nobei ass, wann en sech déplacéire muss oder plenner oder vakanz plangt...

Oder
5. Juli 2021 - 13.43

@cardiaque Virwaat dann nëtt direkt eng Wunnéng an der Klinik lounen, egaal waat.

HOCH-RISIKOPATIENTIN
3. Juli 2021 - 9.09

Och enseignante, vulnérable sous chimio cancer, krut vaccin direkt op liste 2b, Hochrisikopatient, vum Onkolog. Nom Beruff gouf ni gefrot, irrelevant zu LETZEBUERG. Den Haer muss jo net an Deitschland wunnen a sech selwer Komplikatioune man.

Cardiaque
3. Juli 2021 - 8.57

En cardiaque geet normalerweis net an t´pampa wunnen, ma no bei eng klinik mat super haerzzentrum! All minutt samu zielt bei infarkt mat OP urgente...

Jacques
2. Juli 2021 - 14.23

Zu lesen gestern im Tabeblatt : In Luxemburg leben laut Analyse von STATEC und CAPGEMINI 42800 Millionäre. Es handelt sich um Personen die mehr als 1 Million Euro bei Banken, in Aktien oder in Zweit und Dritt Immobilien in Luxemburg besitzen. Ein INVEST in Immobilien bringt bis zu 16% Zuwachs jährlich. Noch Fragen weshalb Luxemburger sich jenseits der Landesgrenzen niederlassen müssen? Wo sind unsere gewählenen Vertreter die handeln anstadt zu reden ??

Minnie
2. Juli 2021 - 13.24

Ähm, was hat das mit der Höhe des Gehalts zu tun?! Hätte er die Impfung weniger verdient, wenn er weniger Geld hätte?! Dürfen nur arme Luxemburger in Perl wohnen? Ist man weniger wert, wenn man weniger verdient?! Da steckt ne Menge in dem Satz drin ?

Cabernet S.
2. Juli 2021 - 10.15

Lebe in Frankreich seit 6 Jahren.Fester Wohnsitz,französischer Führerschein,Auto mit französischer Immatrikulation und ich habe eine luxemburger Carte d'Identité.Kein Problem die erneuern zu lassen und zwar im Passbüro in Luxemburg. Anruf genügt.Da werden sie geholfen. Und geimpft bin ich auch und zwar mit einem Impfstoff den ich mir aussuchen konnte.Zudem ist "wohnen" hier noch erschwinglich was man für Luxemburg nicht sagen kann.Wer dort nicht erbt oder schon vor 50 Jahren gebaut hat,hat schlechte Karten.

Jaques
2. Juli 2021 - 10.01

Das klingt doch irgendwie komisch. Mein Bruder wohnt auch in Deutschland wurde von seinem lux Spezialist and einen deutschen Arzt-Kollegen weider geleitet . Der hat ihn auf die Prio Gruppe 2 setzen lassen und 2 wochen später hatte mein Bruder seine erste Moderna impfung. Da musse sein lux. Arbeitgeber nicht einmal gefragt werden.

Grenzer
2. Juli 2021 - 9.46

@Claude Oswald, Ett gëtt een Ofkommes mam Saarland an Lëtzebuerg, wann een iwert d'Grenz wöllt wunne goën dann séch mol genau iwert alles informéieren, Carte d'identité kritt een am Passeport-Service zou Lëtzebuerg ausgestallt z.B. als non-résident etc. daat Offkommes ass guer nëtt ësou schlecht wéi daat mol vun Lëtzebuerger durgestallt gëtt. Dofir séch informéieren,alles huet Virdeeler an Nodeeler. Wunnen seit 5 Joër am Dreilännereck,ouni Problem.

Chiocci Micaele
2. Juli 2021 - 9.11

@Perler Wir sind in Deutschland angemeldet. Der Hausarzt hat uns geimpft. Jedoch als Lehrer hätte ich früher eine Impfung bekommen (Cat3). Genau darum geht es hier.

vulnėrable cardio
2. Juli 2021 - 8.40

Selbstverschuldetes Leid in Perl. Sinn och enseignant vulnérable, gouf vum Kardiolog op liste gesat an an 1 Woch geimpft. 2x an 4 Wochen. Ruckzuck. Zu LETZEBUERG. Tiptop.

Perler
2. Juli 2021 - 8.33

Etwas unverständlich, sollte vieilleicht einen deutschen Hausarzt aufsuchen, wir sind auch Luxemburger und wohnen in Perl, haben uns schon lange hier eingebürgert und sind problemlos von unserem Perler Hausarzt geimpft worden. Wenn ich im Ausland wohne dann muss ich mich auch an dieses Land anpassen,egal wie auch immer. Manche Luxemburger die in Deutschland wohnen haben noch immer eine Adresse in Luxemburg und wollen nur die Vorteile in beiden Ländern nutzen.

Chrima
2. Juli 2021 - 8.27

Diese Krise hat uns gezeigt, wie fragil die europäische Verständigung und Koordination ist und hat die Unterschiede zwischen den nationalen Politiken aufgezeigt. In Deutschland wurde eine andere Impfstrategie angewandt, die einige Gruppen gegenüber anderen bevorzugte und manchmal auch auf Vetternwirtschaft beruhte. So wurden 40-Jährige, die in einer Buchhaltungsabteilung der Caritas arbeiten, bereits im März geimpft, während 80-Jährige immer noch auf ihre zweite Dosis warten. Unser Sohn, der in Deutschland studiert, aber von der CNS abgedeckt wird, konnte vor mehr als einem Monat geimpft werden, während Kollegen, die kurz vor der Pensionierung stehen und in Deutschland leben, ihre erste Dosis noch nicht bekommen haben. Generell ist anzumerken, dass in Ländern, in denen sich Impfstoffkandidaten registrieren lassen konnten, vor allem junge Menschen dieses Verfahren nutzten, indem sie eine größere Flexibilität und Agilität im Umgang mit digitalen Werkzeugen zeigten als die Älteren.

Claude Oswald
2. Juli 2021 - 7.26

Souwäit ech weess, kréie Lëtzebuerger déi hannert der Grenz wunnen, och keng Carte d'identité, well dës gi vun de Gemengen ausgestallt. Ech ka mer net virstellen, dass déi däitsch Gemeng Perl befugt ass, fir Lëtzebuerger Cartes d'identité auszestellen.