Mittwoch12. November 2025

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„Kachkéis-Kultur“Wie ein 15-Jähriger die Luxemburger Musikszene dokumentiert

„Kachkéis-Kultur“ / Wie ein 15-Jähriger die Luxemburger Musikszene dokumentiert
Leidenschaftlicher Kulturreporter: der Jugendliche Charel Schiltz moderiert mit 15 Jahren bereits seine eigene Radioshow Foto: Carole Theisen

Kulturjournalismus hat es schwer: Redaktionen schrumpfen, das Publikum wandert ab, Klickzahlen diktieren Themen und junge Menschen gelten oft als desinteressiert. Doch es gibt Ausnahmen – und Hoffnung. Eine davon heißt Charel Schiltz.

Während Kulturberichterstattung vielerorts zurückgefahren wird, zeigt ein Jugendlicher aus Luxemburg, dass es auch anders geht. Charel Schiltz ist 15 Jahre alt, Schüler, und der Kopf hinter „Kachkéis-Kultur“, einer Radiosendung des Radio ARA, die seit 2023 durch die luxemburgische Musikszene reist.

Über 60 Interviews hat er bereits geführt, mit Indiebands, Jazzmusiker*innen, Rapper*innen, Metal-Gruppen oder Festivalveranstalter*innen. „Mein Ziel ist es, die Vielfalt der Musik hier im Land sichtbar zu machen – von Untergrundbands bis zu großen Festivals“, sagt er. Und das tut er, mit einer Ruhe, die man bei jemandem erwartet, der mindestens doppelt so alt ist wie er.

Vom Kinderzimmer ins Studio

Doch sein Weg hinters Mikrofon war eigentlich nicht direkt geplant, sondern entstand aus einem Mangel heraus. „Ich habe einfach unheimlich viele Podcasts gehört“, erzählt Schiltz. „Irgendwann war alles durchgehört. Also dachte ich: Warum nicht selbst was machen?“ Im Mai 2023 geht die erste Folge online, aufgenommen „in meinem Zimmer mit einem kleinen Mikrofon“. Thema: ein Gespräch mit dem Jazzgitarristen Claude Pauly – „der wohnt bei mir in der Straße“, zwinkert Schiltz.

Die ersten Aufnahmen entstanden im Jugendzimmer, jetzt nimmt Charel Schiltz in den Studios von Radio ARA auf
Die ersten Aufnahmen entstanden im Jugendzimmer, jetzt nimmt Charel Schiltz in den Studios von Radio ARA auf Foto: Carole Theisen

Die musikalische Prägung kommt jedoch nicht von ungefähr: Er wächst in einem kulturellen Umfeld auf. Beide Eltern haben in mehreren Bands gespielt, der Onkel ist Theaterregisseur. „Ich komme aus einer Familie, in der Kultur einfach dazugehört“, sagt er. „Das hilft natürlich. Und die Mikrofone lagen schon zu Hause rum.“

Was als Experiment begann, wird bald ernst. Nach wenigen Folgen meldet sich das Radio: „Ich habe dann plötzlich eine Nachricht des ,Graffiti‘-Formates von Radio ARA bekommen. Ob ich meine Sendung nicht dort weitermachen will.“ Seit August 2023 produziert Charel Schiltz dort regelmäßig – ehrenamtlich, aber mit vollster Überzeugung. „Ich nehme im Studio auf, schneide zu Hause und schicke dann alles zurück an die Redaktion. Das meiste bringe ich mir selbst bei.“

Struktur, Technik, Stimme

Er spricht mit der Gelassenheit, die man nicht unbedingt von einem Teenager erwarten würde. Dass seine Stimme heute so klingt, war jedoch viel Arbeit. „Wenn man sich selbst dauernd hört, lernt man automatisch. Ich habe keine Kurse gemacht, aber viele Tipps vom Radioteam bekommen. Beim Schneiden hört man dann, wie man klingt, und verbessert sich.“

Charel Schiltz brachte sich den Großteil seiner Skills selbst bei
Charel Schiltz brachte sich den Großteil seiner Skills selbst bei Foto: Carole Theisen

Was ihn antreibt, ist kein Ehrgeiz nach Reichweite, sondern ein Bedürfnis nach Sichtbarkeit – für andere. „Ich will, dass Leute Bands entdecken, die sie sonst nie gehört hätten. Wenn drei, vier Menschen nach einer Folge sagen: ,Das hör ich mir an‘, ist das schon ein Erfolg.“

Nervös ist er heute kaum noch, aber: „Am Anfang war ich das schon. Vor allem, wenn jemand Bekannteres kam – wie beim Interview mit Chaild. Das war mein drittes oder viertes Gespräch überhaupt. Ich wusste: Jetzt darf nichts schiefgehen. Aber es lief super. Da habe ich gemerkt: Das ist genau das, was ich machen will.“

Er erzählt von absurden, charmanten Momenten, denn nicht alle Interviews finden im Studio statt. „Ich habe mal im Zigarrenladen im Auchan aufgenommen – mit Freshdax. Das war mein zweites Interview.“ Oder im Tattoo-Studio mit der Metalband Blanket Hill. „Der Sänger wurde während des Interviews tätowiert. Man hört im Hintergrund ständig die Nadel brummen. Ich dachte, die Aufnahme ist ruiniert – aber irgendwie hat’s funktioniert. Das war echt besonders.“

Kulturjournalismus als aussterbende Art

Luxemburg ist klein, und die Szene, über die Charel Schiltz spricht, noch kleiner. „Viele wissen gar nicht, wie viel Musik es hier gibt und in der Schule sprechen wir kaum darüber.“ Was ihm fehlt, ist kulturelle Bildung, die lebendig ist. „Es geht darum, zu zeigen, was da ist.“

Dass jemand in seinem Alter freiwillig journalistisch arbeitet, überrascht viele. „Klar, am Anfang haben manche gestaunt“, sagt er. „Aber eigentlich sind alle offen. Die meisten sind neugierig, warum ich das mache.“ Auch in der Schule weiß man, was er macht. „Ein Lehrer hat mir mal erzählt, dass mein Podcast abends plötzlich bei ihm im Algorithmus auftauchte. Seine Kinder sind zu meiner Stimme eingeschlafen.“ Er lächelt. „Ein anderer Lehrer hat sogar einen Sticker von meinem Podcast auf seiner Tasse.“

Eindrücke aus dem Studio
Eindrücke aus dem Studio Foto: Carole Theisen

Dass Kulturjournalismus ein Nischengenre bleibt, sieht er nüchtern. „Es gibt immer weniger Leute, die das machen wollen. Aber wenn niemand mehr Geschichten erzählt, verschwindet irgendwann auch die Szene dahinter.“ Trotzdem glaubt er an eine Zukunft. „Man muss neue Wege finden. Podcasts, soziale Medien, Videoformate – alles gehört dazu. Wichtig ist, dass jemand hinschaut.“

Er selbst will nach der Schule Journalismus studieren. „Ich weiß noch nicht wo, aber in die Richtung geht’s auf jeden Fall.“ Luxemburg will er jedoch nicht verlassen. „Ich bleibe lieber da, wo ich mich auskenne. Über amerikanische Musik zum Beispiel sollen andere reden. Ich mache das hier.“

„Kachkéis-Kultur“ ist also längst mehr als ein Schülerprojekt. Seine Pläne für die nahe Zukunft? „Ich möchte mehr recherchieren, auch ein bisschen Musikgeschichte machen – Luxemburger Musikgeschichte. Da gibt’s so viel, was noch niemand kennt.“