FeatureWie der Krieg Serbiens Präsident Vucic vor den Wahlen am Sonntag entgegenkommt 

Feature / Wie der Krieg Serbiens Präsident Vucic vor den Wahlen am Sonntag entgegenkommt 
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic ist auf bestem Wege, auch die nächste Wahl für sich zu entscheiden Foto: AFP/Oliver Bunic

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Der Krieg in der Ukraine erleichtert Serbiens allgewaltigem Staatschef Aleksandar Vucic und seiner SNS bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die anvisierte Wiederwahl. Die zersplitterte Opposition findet mit ihren Klagen über Korruption und Machtmissbrauch nur schwer Gehör.

Über die Großleinwände flimmern in der Sporthalle von Pozarevac die Ansichten neuer Brücken, Gleise und Autobahnen. „Gott beschütze unser Serbien“, stimmt ein Frauenchor in weißen Blusen vielstimmig die Nationalhymne an. „Erst Gott, dann Vucic“, ist auf einem Plakat auf den Oberrängen der vollbesetzten Tribünen zu lesen.

Der Beifall der rund 4.000 Anhänger der regierenden SNS steigert sich zum Orkan, als ihr wie der Erlöser gefeierter Hoffnungsträger mit in die Höhe gereckten Armen die Bühne betritt. Er sei „immer froh“, wenn er in der Stadt der „fleißigen Leute“ sei, „die Serbien lieben“, verkündet der hochgewachsene Staats- und Parteichef Aleksandar Vucic seinem begeisterten Publikum: „Alles, was wir in Serbien erreicht haben, ist nicht mein, sondern Euer Verdienst!“

Vucic ist bereits seit zehn Jahren an der Macht

Seit einem Jahrzehnt teilt der Mann mit der Hornbrille im Balkanstaat die Karten aus. Und die Chancen sind groß, dass Serbiens nationalpopulistischer Dominator auch nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag die Geschicke beim zwischen West und Ost lavierenden EU-Anwärter lenkt: Ausgerechnet der Krieg in der Ukraine erleichtert dem autoritär gestrickten Putin-Freund die anvisierte Wiederwahl.

Eigentlich sei ein „emotionaler, dynamischer und polarisierender“ Stimmenstreit zu erwarten gewesen, doch der Krieg habe dessen Verlauf „völlig geändert“, konstatiert der Analyst Bojan Klacar in der Belgrader Zeitung Blic: „Es ist einer der ruhigsten Wahlkämpfe, praktisch ohne Zwischenfälle.“

„Frieden. Stabilität. Vucic.“, verkündet die Losung auf dem Rednerpult. Fast vor jedem Urnengang der letzten Jahre hatte sich Vucic für ein Wahlkampffoto mit dem Kremlchef nach Moskau aufgemacht. Doch in Pozarevac erwähnt der 52-Jährige weder Putin noch dessen Invasion oder die Kriegsleiden der Ukrainer.

„Ihr habt gesehen, dass es nun auch in Berg-Karabach rumort“, warnt der Sanktionsgegner stattdessen dunkel vor einer Ausweitung der „großen Krise“. Umso wichtiger sei es, dass eine „verantwortungsvolle Führung“ den Frieden bewahre. „Wir sind stark genug und werden noch stärker sein, um unseren Luftraum zu schützen“, schließt er einen NATO-Beitritt erneut kategorisch aus. Im Gegensatz zu manchen EU-Staaten verfüge das Land über genügend Mehl und Speiseöl: „Niemand wird in Serbien hungrig sein!“

Die zersplitterte Opposition hat zu Kriegszeiten hingegen noch mehr Mühe, mit ihren Klagen über Korruption, Machtmissbrauch und Umweltsünden Gehör zu finden. Nur einige Dutzend Anhänger des Oppositionsbündnisses „Vereint für den Sieg Serbiens“ haben sich in Erwartung ihres Spitzenkandidaten Zdravko Ponos in der 140 Kilometer nordwestlich von Belgrad gelegenen Provinzstadt Bac am Wahlstand der früheren Regierungspartei DS eingefunden.

„Ihr wisst, wie ich denke“, sagt Vucic: In Belgrad hält ein Mann eine russische Fahne während einer Kundgebung zur Unterstützung Russlands
„Ihr wisst, wie ich denke“, sagt Vucic: In Belgrad hält ein Mann eine russische Fahne während einer Kundgebung zur Unterstützung Russlands Foto: dpa/Darko Vojinovic

„Die Leute trauen sich nicht zu kommen“, sagt schulterzuckend ein rotbäckiger Rentner: „Sie haben Angst, dass es Kameras gibt – und dass nachher der Bruder, Ehemann oder Enkel Ärger bei der Arbeit erhalten.“ Das größte Problem der von 21.000 auf 10.000 Einwohner geschrumpften Kommune sei die Emigration: „Die Jungen ziehen weg – und kommen nicht zurück. Denn es gibt hier weder Perspektiven noch Jobs.“ Früher habe es in der Stadt drei Hotels gegeben, „nun kein einziges mehr“. Das Ackerland werde nicht mehr richtig bearbeitet: „Stattdessen holen sie die schmutzige Industrie der Chinesen und Billiginvestoren mit 300-Euro-Jobs ins Land.“

Vucic komme es gelegen, „dass alle Aufmerksamkeit nun dem Krieg gewidmet ist“, seufzt der DS-Ortsvorsitzende Bojan Jaric. Während die SNS auf ihre „sicheren Wähler“ im Staatsdienst bauen könne, falle es der Opposition wegen der „Medienblockade“ schwer, die eigenen Sympathisanten zu erreichen und zu mobilisieren. „Die Leute hier können nur von der SNS kontrollierte TV-Sender sehen“, klagt sein Mitstreiter Tomislav Bogunovic: „Und wenn sie fünfmal dasselbe hören und sehen, glauben sie das irgendwann.“ Seine Wahlhoffnung hat der frühere Bürgermeister von Bac ganz auf die auch am Sonntag steigenden Kommunalwahlen in der Hauptstadt gesetzt: „Wenn die Opposition in Belgrad gewinnt, wird sich das Blatt bald in ganz Serbien drehen.“

Sie wollen, dass wir Bambus und Erdnüsse anbauen. Aber wer gibt uns den Strom, wenn der Winter kommt?

Aleksandar Vucic, Serbiens Präsident

Doch von Wechselstimmung ist auch im 200 Kilometer weiter östlich gelegenen Pozarevac nichts zu spüren. Von Beifall umtost gelobt Vucic ein neues Hallenbad, Krankenhaus, einen Autobahnanschluss, die Ansiedlung eines Großinvestors – und höhere Löhne. Wegen der Protestwelle gegen ein geplantes Lithium-Bergwerk hatte sich der Dauerwahlkämpfer zu Jahresbeginn noch genötigt gesehen, das Großprojekt vorläufig auf Eis zu legen. Nun zieht er vollmundig gegen die „vom Ausland finanzierten“ Kritiker von Serbiens altersschwachen Braunkohlekraftwerken vom Leder: „Sie wollen, dass wir Bambus und Erdnüsse anbauen. Aber wer gibt uns den Strom, wenn der Winter kommt?“

Schneller Wechsel in den vertrauten Nationalistenpelz

Er werde nicht zulassen, dass die Bergleute im nahen Braunkohlebergwerk „ihre Arbeit verlieren“, wettert Vucic: „Alle, die uns kluge Vorträge halten, kehren nun selbst zur Kohle zurück. Alle bauen nun Atomkräfte. Nur beim kleinen Serbien wollen sie, dass wir Entscheidungen gegen unsere eigene Zukunft treffen.“ „Stolz“ sei er, dass Serbien ein „freies Land“ sei, in dem man TV-Sender aus Amerika, Russland und Deutschland schauen könne, verkündet der einstige Informationsminister: „Sie halten uns Vorträge über Medienfreiheit. Aber was ihnen nicht gefällt, kann man bei ihnen nicht schauen.“

Gegenüber den EU-Partnern mimt das wandlungsfreudige Politchamäleon gerne den proeuropäischen Reformer. Doch in der Geburtsstadt von Ex-Autokrat Slobodan Milosevic streift sich dessen früherer Minister willig den vertrauten Nationalistenpelz über. Er könne „nicht alles sagen, aber ihr wisst, wie ich denke“, deutet Vucic bereits vor Serbiens fernem EU-Beitritt erbitterten Widerstand gegen die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik an. Wie das Gallier-Dorf von Asterix und Obelix habe sich Serbien „in Europa die Freiheit bewahrt“: „Das Wichtigste ist, dass wir eine unabhängige Politik führen. Schämt Euch nicht, für Euer Land zu kämpfen! Wir werden sie am 3. April überzeugender als jemals zuvor besiegen. Es lebe Pozarevac, es lebe Serbien!“