„Werde schonungslos vorgehen“ – Me Gaston Vogels Rückblick auf die Affäre Bommeleeër

„Werde schonungslos vorgehen“ – Me Gaston Vogels Rückblick auf die Affäre Bommeleeër

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Vor fünf Jahren begann der Bommeleeër-Prozess. Das Tageblatt blickt zurück – hier im Gespräch mit Me Gaston Vogel, dem Verteidiger eines der beiden Angeklagten.

Am 25. Februar 2013 begann der bislang größte Prozess der Luxemburger Kriminalgeschichte. Das Tageblatt blickt zum Jahrestag mit Me Gaston Vogel, dem Verteidiger eines der beiden Angeklagten, darauf zurück.

Von Laurent Graaff

Tageblatt: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Prozessauftakt am 25. Februar 2013 zurückdenken?

Me Vogel: Ich bin voller Wut in diesen Prozess gegangen. Erstens, weil das Gericht ein total unvollständiges Dossier bekam, um die Sache zu untersuchen. Zweitens, weil ich weiß, dass sehr einseitig ermittelt worden ist und wir gegen einen Berg an Lügen und Hypokrisie zu kämpfen hatten. Das Gericht hat sich sehr viel Mühe gegeben und es nicht bei zehn Sitzungen belassen, wie ein ehemaliger Richter in Interviews empfohlen hatte. Das Gericht ist mit großer Gründlichkeit vorgegangen. Nach den 177 Sitzungen hatten wir zwar viele neue Lügen und unzählige weitere Ungereimtheiten angehäuft, waren aber immer noch nicht am Anfang eines Endes. Es ist ein surrealistischer Prozess. Es ist ein Kafka-Prozess.
Zwei Personen wird der Prozess gemacht, die jede Verantwortung von sich weisen und die, angenommen, sie wären es gewesen – was sie stets formell bestreiten –, dann ja auch unter Diktat gehandelt hätten und nicht aus Witz. Unter Diktat von wem? Und wo wurde diese ganze Sauerei inszeniert? Wann? Und auf welcher Ebene? Wusste die Regierung etwas oder wusste sie nichts? Das sind die Hauptfragen, denen niemals nachgegangen worden ist. Das ist eine unerhörte Sache. Ich kann nicht verstehen, dass ein Staatsanwalt behauptet, „Wahrheitssuche“ betreiben zu wollen, und nichts, aber auch gar nichts im Sinne der höchsten Verantwortung zu recherchieren.

Beim Bommeleeër-Prozess wurde versucht, ein dunkles Kapitel unserer Vergangenheit aufzuarbeiten …

Von wegen aufarbeiten! Prosper Klein hat gesagt, „et ass eng Staatsaffär, déi net däerf opgeklärt ginn“. Das resümiert alles. Eine Staatsaffäre, die nicht aufgeklärt werden darf. Das sagt alles aus! Muss ich noch etwas hinzufügen? Diese Aussage wurde unter Eid gemacht von einem der energischsten und besten Magistraten, die Luxemburg je gekannt hat. Ein Mann voller Ehrlichkeit und voller Kompromisslosigkeit. Und zudem höchst kompetent.

Was macht diese Staatsaffäre aus?

Die Abmachungen, die während des Kalten Krieges getroffen wurden. All das, was der italienische Ministerpräsident Andreotti 1990 unter dem Druck der Öffentlichkeit und vor dem Untersuchungsrichter preisgeben musste: die Existenz des Gladio-Netzes oder besser gesagt von „Stay Behind“. Europaweit mussten die Regierungen mitmachen. Und unser Land und unsere Regierung bilden da wahrscheinlich keine Ausnahmen. Ich kann das aber nicht beweisen. Doch mir ist aufgefallen, dass die Regierung relativ ruhig geblieben war während der Zeit der Attentate. Es gibt Aussagen von Premierminister Jacques Santer, die nicht auf taube Ohren gestoßen sind. Er bedankte sich zudem bei den luxemburgischen Stay-Behind-Mitgliedern für die geleistete Arbeit. Welche Arbeit? Und angesprochen auf die Verantwortung in dieser peinlichen Angelegenheit, hat er mysteriös geantwortet, jede Partei sei impliziert.

Eine Elite lügt, gibt Unwahrheiten zum Besten, und dennoch hat dies keine direkten Konsequenzen …

Der Untersuchungsrichter ist ja dabei, zu ermitteln, und hat sechs weitere Personen im Visier. Der Prozess wurde auf Eis gelegt. Wir, und damit meine ich die Verteidigung, wissen aber nicht, was jetzt dabei herauskommt. Da müssen Sie schon bei der Justiz nachhaken …

Wie beurteilen Sie die Untersuchungsprozedur?

Die Untersuchung wurde auf eine blamable Art und Weise geführt. Das muss jedem zu denken geben. Der Generalstaatsanwalt hat gesagt, dass er noch nie in einer Instruktion so viele Unregelmäßigkeiten habe feststellen müssen. Zum Beispiel wollte der Hauptkommissar Jean Disewiscourt das Ganze mit einer Wünschelrute aufklären. Das sagt ja schon alles aus. Hinzu kommen die ganzen Lügen von diesen und jenen und besonders von den Politikern. Die sich nie ordentlich erklärten und immer mit dem „Holzmaul“ herummuffelten.

Was ist eigentlich mit Ben Geiben, dem Gründer der „Brigade mobile“?

Ben Geiben spukt von Anfang an in der Angelegenheit als Hauptverdächtiger. In einer der letzten Sitzungen wurde er als Zeuge gehört und er hat sehr komische Erklärungen abgegeben im Zusammenhang mit dem Attentat auf den Justizpalast. Es war jedenfalls sehr komisch, was er von sich gegeben hat. Und das Gesagte hat sicher nicht dazu beigetragen, dass man ihm Glauben schenken kann. Ist er unter Schutz? Frage, die ich mir stellte, als ich wahrnahm, dass der Generalstaatsanwalt ihn auf eine mysteriöse Art und Weise in Oberdonven aufsuchte, bei einem der Beamten, die mit der Untersuchung beauftragt waren. Sie tranken Kaffee zusammen und plauderten. Über was plauderten sie? Lamentabel!

Auch wurde Geiben jetzt nicht an den Untersuchungsrichter verwiesen wie sechs andere. Warum? Weil er zu viel weiß von der Staatsaffäre, um an die Aussagen von Klein zu erinnern? Ich kann nichts präzise sagen und wissen. Aber mit all dem, was im Dossier ist, hätte auch er es verdient, angeklagt zu werden. Man kann nicht dauernd behaupten, er sei der Hauptverdächtige, und zur gleichen Zeit unternimmt man nichts. Das ist völlig absurd! Warum wird Geiben total verschont?

Was war für Sie der markanteste Tag?

Der markanteste Tag von allen war der letzte, an dem Ben Geiben gehört wurde. Das Attentat auf den Justizpalast ist voller Informationen. Man sieht, wie der SREL seine Aufgabe nicht macht. So viele Details kamen da zutage, dass man sich fragen muss, mit welcher Unverfrorenheit man lügen kann. Ich komme nicht drum herum, die jüdische Anekdote von Jankel und Sarah noch einmal zu zitieren:

Ein Mann und eine Frau sitzen in einer Hotelbar in Paris am Tresen. Der Mann hat der Frau seidene Unterwäsche gekauft. Wegen des Anrufes eines Freundes muss er sich von der Frau verabschieden. Als er zurückkommt, ist sie verschwunden. Vom Portier erfährt er, dass sie mit einem anderen Mann das Hotelzimmer aufgesucht hat. Er schleicht hoch, beobachtet die beiden durchs Schlüsselloch und sieht, dass die Frau ihren Rock ablegt. Die seidene Unterwäsche kommt zum Vorschein. Und auch die legt die Frau ab … Doch in diesem entscheidenden Moment versperrt ihm etwas die Sicht durchs Schlüsselloch … Gerade in diesem entscheidenden Augenblick. „Immer noch diese Ungewissheit“, entfährt es ihm.

Wie sehen Sie die beiden Prinzen Jean und Guillaume, die als Zeugen gehört wurden?

Die Prinzen interessieren mich nur sehr wenig. Es ist ein Aspekt einer Sache. Ich weiß nichts von diesen Prinzen. Außer dem, was sehr ordentliche Menschen unter Eid und mit viel Courage ausgesagt haben. Sie hatten im Prozess das große Glück, dass der Hauptzeuge tot war. Ich rede von Eugène Beffort. Es ist kaum anzunehmen, dass dieser Mann gelogen hat. Angesichts des Status der Prinzen ist es schwer, anzunehmen, dass man leichtfertig Sachen sagt, die so schwerwiegend sind. Außerdem haben wir nie herausgefunden, welche Schweinekerle Beffort dauernd unter Beobachtung genommen haben. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die zu allen anderen Ungeheuerlichkeiten hinzuzurechnen ist.

Wenn hohe Offiziere wie Guy Stebens vor Gericht sagen, dass es schwer sei, als Erster Namen zu nennen, gibt es also Namen?

Ich muss annehmen, dass alles versucht wurde, um die Affäre gleich bei den Ermittlungen im Keim zu ersticken und zu sabotieren. Pierre Reuland, der ehemalige Polizeichef, hat gesagt, „bis dahin, und dann ist Schluss“. Was heißt das? Heißt das, dass ab einem gewissen Punkt alles so heiß wird, dass man sich die Hände verbrennen würde und die Köpfe, wenn es weitergehen würde? Reuland muss also sehr viel wissen, was er uns nicht sagt. Das hat ja auch den Unmut des Gerichts hervorgerufen.

Wie steht es um die Armee?

Warum hat man keine Durchsuchung bei der Armee gemacht? Der ehemalige Armee-Kommandant Armand Brück hat sich ja mehr als suspekt verhalten. Sein Fahrer musste ihn nachts nach Beidweiler fahren. Und kurze Zeit später finden dort die ersten Attentate auf Hochspannungsmasten statt. Brück war eine der Hauptfiguren der Armee. Wenn die Theorie des Gladio und des Stay Behind zutrifft, dann versteht man, warum er als Armeemann an vorderster Front war. Aber nie wurde bei der Armee perquisitioniert. Wollte man sich die Hände und die Köpfe nicht verbrennen? Oder war irgendwie auf höchster Ebene abgemacht worden, dass man nur über das redet und das zugibt, was überhaupt nicht zu bestreiten ist? Und alles andere bleibt in der Dunkelheit?

Wie gehen Sie mit dem Prozess und dem Dossier Bommeleeër überhaupt um?

„J’ai le coeur qui me remonte à la gorge“, wenn ich daran denke. Die ganzen Lügen und die ganze Hypokrisie. Abscheulich! Was mich zudem zutiefst schockiert hat, ist, dass Doris Woltz, die jetzige Direktorin vom SREL, zuvor als Untersuchungsrichterin gegen den SREL ermitteln musste. Sie war es auch, die immer gesagt hat, dass Stay Behind ein Hirngespinst sei. Ich habe Premierminister Bettel einen Brief geschickt und ihn gefragt, was denn das für eine Nominierung sei …

Wie geht es nun weiter?

Diese Frage müssen Sie der Justiz stellen. Nicht mir! Der beigeordnete Staatsanwalt Oswald und der Untersuchungsrichter Nilles haben hoffentlich Antworten parat. Je länger es dauert, desto konträrer wird der Prozess zur Menschenrechtskonvention. Der sogenannte „délai raisonnable“ ist ja bereits tausendmal überschritten. Mittlerweile sind 850 Seiten Plädoyer zusammengekommen, die nur darauf warten, vorgetragen zu werden. Und wenn Sie mich jetzt fragen, wie lange es dauern wird, um sie vorzulesen, dann werde ich Ihnen antworten, dass es 30 Sitzungen dauern wird. Und dabei werde ich gnadenlos und schonungslos vorgehen und besonders gegen den Staat, der sich den Zynismus erlaubt hat, trotz aller Omertà von den zwei Unschuldigen Geld zu verlangen. Das ist so etwas Widerliches. Und ich erlaube mir, das jetzt an dieser Stelle so zu sagen: Es ist zum Kotzen!

J.C. KEMP
25. Februar 2018 - 20.00

Dem Mann säi Geltungsbedürfnis ass wahrscheinlech bulletproof!

Serenissima
24. Februar 2018 - 17.11

Egal ewéi et war eng Staatsaffär, also ginn mer ni eppes gewuer...oder villäicht an 100 Joer. De Me ass eben e gudden a korrekten Affekot deen d'Wourecht seet an och keng Angscht huet awer mir wäerten ni gewuer ginn wat do gelaf ass...am alen CSV Staat.

Palamunitan
24. Februar 2018 - 14.25

SCHUED datt DIR ären Alter hutt, Me Vogel... MAACHT weider ... vir de Lichen an der Hypocrisie ENDLECH en Enn ze setzen.

Jull
24. Februar 2018 - 12.44

Muss Herr Vogel nicht um sein Leben bangen? Das Netzwerk scheint noch lange nicht bereit zu sein aufzuklären.

Den Pingelechen
24. Februar 2018 - 12.21

Een dén net färt fir ze soen wat hién denkt ! All Respekt dem Me Gaston Vogel,bleiwt hannendrun....

Nomi
24. Februar 2018 - 12.14

Bravo Me : Weinstens een deen ei'erlech ass ! Wan den “délai raisonnable” iwerschratt ass firwaat krit dann di letzeburger Justiz, vum Menschenrechtsgeriichtshaff , keen Fei'er ennert den Aars . . gemeet fir dass et firun geet.

Cold Case
24. Februar 2018 - 11.30

Bei soviel "Omerta" warum nicht einfach aufhören, niemanden beschuldigen, keine Bauernopfer suchen und klar sagen: Dies war eine Staatsaffäre, wird niemals aufgeklärt. Punkt.