FilmbesprechungWer hat Angst vorm schwarzen Mann (mit dem Haken)?

Filmbesprechung / Wer hat Angst vorm schwarzen Mann (mit dem Haken)?
„Candyman“ ist ein „spirituelles Sequel“ des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1992

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Der Horrorfilm hat den immensen Vorteil, hervorzuheben, um was es im Kino grundsätzlich geht. Und zwar um lebende Körper und wie sie sich in einem gegebenen Raum verhalten und bewegen. Zusätzlich bietet das Horrorgenre seinen Filmemachern eine einladende Arbeitsfläche, mehr oder weniger verschleierte politische Kommentare formulieren zu dürfen.

„Candyman“ der amerikanischen Regisseurin Nia DaCosta reiht sich nicht nur in diese Tradition ein, sondern ist sogar eine Fortsetzung des Films mit dem gleichen Titel aus dem Jahre 1992. Von einem „spirituellen Sequel“ ist die Rede, wenn man den künstlerischen Verantwortlichen des Films Glauben schenken darf.

Den Namen fünfmal hintereinander ausgesprochen und einen Blick in den Spiegel oder aufs Fenster geworfen reichen, um den titelgebenden Antagonisten heraufzubeschwören und von ihm mit seiner Hakenhand gemeuchelt zu werden.

Seit Jahrzehnten geht der Süßigkeitenmann als urbane Legende durchs Gemüt der Einwohner von Cabrini Green, einem sozialen Brennpunkt, in dem Afroamerikaner ghettoisiert wurden.

„Candyman“ anno 2021 setzt seine Handlung aber nicht in den 90ern an, sondern im Hier und Jetzt. Das Ghetto hat schon längst luxuriösen Wohnanlagen Platz gemacht und es ist auch in einer dieser Hochglanzwohnungen, in der wir unsere Hauptprotagonisten Anthony und Brianna kennenlernen.

Er ist Maler, der auch mit Talent zwei Jahre lang keinen Pinsel in der Hand gehalten hat, sie ist eine aufstrebende Kunstkuratorin, deren Durchbruch nicht mehr lange auf sich warten lässt. Die Abendunterhaltung in der neuen schicken Wohnung des Paares liefert der Bruder von Brianna. Er erzählt die Geschichte vom Candyman – die Handlung des Originalfilms aus den 90ern – und wie dieser heute noch durch die Gemüter der Einwohner düstert.

Den Neuankömmlingen vor Ort ist die Geschichte so weit nicht bekannt, doch Anthony scheint die Figur für seine Kunst zu inspirieren. Auf Feldforschung trifft er auf den langjährigen Einwohner William, der mit seiner perfekt gekerbten Erzählerstimme die Geschichte von Candyman weiter erläutert. Es dauert nicht sehr lange, bis Anthony seine neue Kunstinstallation mit dem Namen „Say his name“ fertig hat. Und es dauert noch viel weniger lange, ehe es die ersten Tote gibt.

Eines vorweg: Den Original-„Candyman“ von vor fast 30 Jahren muss man nicht gesehen haben, um diesen „Candyman“ vollends genießen zu können. Interessant ist im direkten Vergleich nur, wie und wohin sich das Augenmerk der Dramaturgie gewendet hat. War bei Bernard Rose – dem Regisseur und Drehbuchautor des Originals – noch eine weiße Figur im Mittelpunkt des Geschehens, sind die Weißen nun komplett an den Rand der Erzählung gewichen. Respektive in die Opferrollen.

Die Tragödie kalibrieren

Vom Kultstatus des Films abgesehen, können einem schon gewisse rassistische Stereotypen bitter aufstoßen, deren sich der Regisseur und sein Drehbuch ihrerseits schon bewusst waren. Nia DaCosta und ihre Koautoren Win Rosenfeld und vor allem Jordan Peele – der mit seinen Filmen „Get Out“ und „Us“ den amerikanischen Horrorfilm im Alleingang erneuert hat – greifen die Gelegenheit beim Schopf, mit der Candyman-Schablone die systematische Ausbeutung der Afroamerikaner durchzukauen.

Die Figur des Künstlers formuliert die Intention des Films mit seinen eigenen – natürlich jenen der Drehbuchautoren – Worten. Es gehe darum, die „Tragödie in eine zielgerichtete Linie zu kalibrieren“.

Überhaupt wird sehr viel geredet in diesem Film. Das Drehbuch müht sich bis zu einem gewissen Punkt ab, seine soziopolitischen Botschaften klar durchzugeben. Zur Sicherheit wird es noch einmal über einen explikativen Dialog unterstrichen. Dieses Explikative rührt jedoch nicht nur aus dramaturgischer Unsicherheit her. Genauso ist es das Storytelling-Element in der Narrative, welches von ausschlaggebender Wichtigkeit ist.

Anthony macht Kunst, hält mit seiner Kunst seinem Publikum einen Spiegel (sic!) vor die Nase – denn auch die Kunst ist eine Art des Storytellings. Und dieses sich immer und immerwährende Neuerzählen der immergleichen Grusel- und Geistergeschichte bestätigt die nicht zu Ende gehen wollende Spirale der Ausbeutung – sei es nun Sklaverei, prekäre Arbeitsverhältnisse, Gentrifizierung oder Polizeigewalt.

„Candyman is how we deal with the fact that these things happen. That they’re still happening“, so die Erzählerfigur William seinem Gegenüber Anthony, für den diese Einsicht wahrscheinlich schon zu spät kommt. Die Didaktik, die das Drehbuch zu gewissen Momenten ausatmet, lässt sich auch in der Kunst des Malers wiederfinden. Brianna wirft Anthony eine simple Eins-zu-eins-Vorgehensweise in seiner Kunst vor.

Doch trotz allem weiß sich Nia DaCosta den sterilen urbanen Raum anzueignen, sodass Chicago plötzlich einer großen Geisterstadt gleichkommt, in der das Verdrängte, das, was nicht aufgearbeitet wurde, zubetoniert wurde.

Natürlich hätte „Candyman“ schon vor über einem Jahr das Licht der Kinosäle erblicken sollen. In dieser Hinsicht ist der Film Artefakt und Erinnerung zugleich gegenüber den Themen, die die Vereinigten Staaten – und bei weitem nicht exklusiv dort – vor Covid-19 und Afghanistan beschäftigt hatten. Der Film stolpert jedoch in seinem letzten Akt über seine eigenen Ambitionen mit den Codes eines gewöhnlichen Slasher-Films. Aber auch dieses dramaturgische Chaos lässt offene Fragen im Raum stehen – Fragen, auf die die „Black Lives Matter“-Bewegung bisweilen keine Antworten liefern konnte.