Dan Lorang„Wenn meine Athleten dopen sollten, würde ich sie als Erster verklagen“

Dan Lorang / „Wenn meine Athleten dopen sollten, würde ich sie als Erster verklagen“
Für Dan Lorang (r.) ist sein Schützling Emanuel Buchmann (l.) der Beweis, dass man auch sauber um einen Podiumsplatz bei der Tour de France mitfahren kann Foto: Bora-hansgrohe/Ralph Scherzer

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Dan Lorang gehört zu den weltweit renommiertesten Trainer im Ausdauersport. Aussagen, dass man es im Hochleistungssport nur mit Doping schaffen kann, bringen den Luxemburger auf die Palme. Im Interview mit dem Tageblatt warnt er vor Pauschalisierungen, zeigt aber Verständnis für Leute, die nicht an einen sauberen Sport glauben.

Der österreichische Radprofi Stefan Denifl gehörte zu Kunden des Dopingarztes Mark Schmit, dessen Machenschaften durch die „Operation Aderlass“ offengelegt wurden. Denifl hat nun im Rahmen eines Gerichtsverfahrens erklärt, dass Topleistungen ohne Doping nicht möglich seien. Eine Äußerung, die Dan Lorang verärgert. Der Cheftrainer des Radrennstalls Bora-hansgrohe um den Luxemburger Jempy Drucker und den Deutschen Emanuel Buchmann sowie den Siegern des Hawaii-Ironman, Jan Frodeno und Anne Haug, findet Denifls Äußerungen respektlos gegenüber sauberen Athleten.

Tageblatt: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sie Aussage hören wie „ohne Doping geht es nicht im Hochleistungssport“?

Dan Lorang: Ich tue mich schwer mit Pauschalisierungen dieser Art. Wenn ein Fahrer wie Stefan Denifl vor Gericht aussagt, dass 90 Prozent der Fahrer im Radsport gedopt sind, dann frage ich mich, wo er an diese Zahlen kommt. Hat er Informationen, die wir nicht haben? So eine Behauptung kann man nicht ohne Beweise tätigen. Solche Aussagen führen dazu, dass Leute, die nicht so nah am Geschehen dran sind, den Eindruck bekommen, es hätte sich über die Jahre im Radsport nichts geändert. Und das kann man den Leuten nicht einmal übelnehmen. 

Hat sich die Situation denn geändert?

Nehmen wir das Beispiel von Emanuel Buchmann. Ich sehe, wie hart er Tag für Tag arbeitet und sich über die Jahre entwickelt hat. Da ist nichts Suspektes zu erkennen. Seine Leistungen bei der Tour de France waren auch nicht unmenschlich und er hat das Podium nur knapp verpasst. Es ist also durchaus möglich, sauber vorne mitzufahren. Wenn wir mit dem Aufwand, den wir betreiben, nur um Platz 15 fahren würden, dann würde ich auch sagen, dass es keinen Sinn hat und wir besser hätten, aufzuhören.

Ich würde nie behaupten, dass es kein Doping mehr gibt. Das gilt nicht nur für den Radsport. Überall, wo Menschen sind, gibt es auch Betrug. Ob das nun im Sport, in der Politik oder in der Wirtschaft ist. Das wird man auch nie ganz abschaffen können.

Dan Lorang, Sportwissenschaftler

Sehen Sie manchmal Leistungen, die Sie skeptisch stimmen?

Einfach nur durch Zuschauen kann ich keine Leistungen bewerten. Ohne die Daten und Entwicklung eines Sportlers zu kennen sowie die Gegebenheiten, in denen die Leistungen erzielt wurden, ist es unmöglich zu sagen, ob eine Leistung sauber erzielt wurde oder nicht.

Der ehemalige Radprofi und geständige Doper Jörg Jaksche hat kürzlich erklärt, dass sich seiner Meinung nach im Radsport nicht viel geändert hat. Er begründete es unter anderem damit, dass die Durchschnittsgeschwindigkeiten immer noch ähnlich sind wie vor zehn, 15 Jahren.

Vielleicht hat er Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass sich etwas verändert hat. Da wäre zum einen das Material. Wenn Sie mit einem 15 Jahre alten Rennrad fahren und ich Sie dann das neue Specialized Venge ausprobieren lasse, dann werden Sie auch feststellen, dass Sie damit schneller fahren. Aus dem Grund sind Durchschnittsgeschwindigkeiten kein Indiz. Wenn, dann müsste man die Wattzahlen als Referenz nehmen. Dabei muss man allerdings bedenken, dass es vor 15 Jahren noch kaum Trainer im Radsport gab. Die einzige Bedingung der Teams war, dass ihre Fahrer in Top-Form zu den Rennen kommen. Wie sie das anstellten, interessierte keinen. Das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Durch moderne Trainingswissenschaft können die Sportler ihr Potenzial wesentlich besser ausschöpfen.

Die „Operation Aderlass“ hat allerdings stark an den Fall Fuentes aus dem Jahr 2006 erinnert. 

Ich würde nie behaupten, dass es kein Doping mehr gibt. Das gilt nicht nur für den Radsport. Überall, wo Menschen sind, gibt es auch Betrug. Ob das nun im Sport, in der Politik oder in der Wirtschaft ist. Das wird man auch nie ganz abschaffen können. Allerdings habe ich ein Problem damit, wenn jemand behauptet, dass 90 Prozent der Athleten in einer Sportart dopen. Ich weiß, wie wir arbeiten und das tun wir in aller Transparenz. Wir legen Wert auf individuelle Trainingspläne, Erholungszeiten und Ernährung. Wir versuchen nicht einmal, alle legalen Mittel auszuschöpfen, da es bedeuten würde, dass wir bis an die Grenzen der Legalität gehen würden. Das tun wir aber nicht. Wir bewegen uns nicht in Grauzonen.

Dan Lorang reagiert mit Unverständnis auf die Aussagen des ehemaligen Radprofis Stefan Denifl zum Thema Doping
Dan Lorang reagiert mit Unverständnis auf die Aussagen des ehemaligen Radprofis Stefan Denifl zum Thema Doping Foto: Johann Groder/APA/dpa

Wie ist es für Sie, dass Sie sich eigentlich immer wieder für Ihre Arbeit rechtfertigen müssen?

Damit habe ich kein Problem. Ich hatte sogar schon die Situation, dass Triathleten mir den Vorwurf machten, dass ich auch im Radsport aktiv bin. Und das, obwohl ich noch nie im Geringsten mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Da merkt man schon, wie der Radsport teilweise wahrgenommen wird. Ich kann nur für mich beziehungsweise mein Team sprechen: Wir arbeiten sauber. 

Wenn ein Sportler wie Denifl sagt, dass er ohne Doping keinen Vertrag mehr erhalten hätte und deshalb habe dopen müssen, dann ist das eine billige Ausrede.

Dan Lorang, Sportwissenschaftler

Ohne Ihnen jetzt zu nahe treten zu wollen, aber Sie sind nicht der Erste, der das behauptet.

Das stimmt und ich kann auch verstehen, dass die Leute skeptisch sind. Der Radsport hat einfach eine dunkle Vergangenheit. Wir kontrollieren die Daten unserer Athleten sehr genau und würde uns eine unnatürliche Entwicklung auffallen, wären wir sofort in Alarmbereitschaft. Ein positiver Dopingfall kann die Existenz eines ganzen Teams gefährden. Würde einer meiner Athleten des Dopings überführt werden, ich würde ihn sofort verklagen. Immerhin stehen mein Ruf und meine Zukunft mit auf dem Spiel.

Wie können Sie denn sicherstellen, dass Ihre Fahrer nicht dopen?

Vor allem kann ich ihre Trainingswerte und ihre Langzeitentwicklung beobachten. Ich bekomme oft zu hören, dass Jan Frodeno oder Anne Haug (Sieger des Ironman Hawaii, die beide von Lorang trainiert werden; d.Red.) unmenschliche Leistungen abrufen würde. Ich kenne ihre Daten und habe sie über Jahre betreut. Deshalb weiß ich, dass ihre Leistungen sehr wohl menschlich sind. Wir versuchen aber, unsere Athleten davon zu überzeugen, dass es am Ende nicht ausschließlich auf die Ergebnisse ankommt.

Das ist im Hochleistungssport aber nicht einfach.

Wenn ein Sportler wie Denifl sagt, dass er ohne Doping keinen Vertrag mehr erhalten hätte und deshalb habe dopen müssen, dann ist das eine billige Ausrede. Wie lange dauert eine Karriere als Sportler? Vielleicht zehn bis 15 Jahre. Die allermeisten müssen sich anschließend ohnehin nach einer anderen Arbeit umsehen. Also kann ein Sportler sich auch zu dem Zeitpunkt nach einer neuen Arbeit umsehen, in dem er zu Dopingmitteln greifen muss, um das Niveau zu halten. Ich sage meinen Sportlern, dass sie ihre aktive Karriere genießen sollen. Sie haben die Möglichkeit, ihren Traum zu leben. Als Profisportler muss man viele Entbehrungen in Kauf nehmen, aber man lernt auch viel für das spätere Leben. Aus dem Grund ist der Weg wichtiger als die eigentlichen Ergebnisse. Wenn ein Sportler das verstanden hat, ist das Risiko, dass er zu Dopingmitteln greift, kleiner.

Sie setzen also auf Präventionsarbeit?

Sportler sind keine Sklaven. Es ist ihre Karriere. Wenn ein Radfahrer in einem Team gesagt bekommt, leer jetzt diese Trinkflasche, dann sollte er sich Fragen stellen. Es gibt keinen Grund, wieso er das tun soll. Jeder Sportler sollte sich gewissenhaft informieren, was er zu sich nimmt und wenn er Zweifel hat, dann auch Nein sagen.

Dennoch bleibt die Versuchung groß. Wenn man hart arbeitet und dennoch nicht mithält, dann greift man irgendwann vielleicht doch auf unerlaubte Mittel zurück, um seinen Traum zu verwirklichen.

Es bringt eben nicht jeder die Voraussetzungen mit, um Profisportler zu werden. Genau wie nicht jeder ein talentierter Musiker oder erfolgreicher Unternehmer werden kann. Dann muss man sich eben anderweitig orientieren. Nicht jeder Traum geht in Erfüllung. Wenn ich eine Bank überfalle, um mir einen Ferrari zu kaufen, dann wird es dem Richter wohl ziemlich egal sein, ob es schon immer mein Traum war, einen Ferrari zu fahren.

Apropos Ferrari: Zu Beginn der Woche wurden die beiden Astana-Profis Jakob Fuglsang und Alexej Lutsenko mit dem lebenslang gesperrten Dopingarzt Michele Ferrari in Verbindung gebracht. Die zuständige Anti-Doping-Kommission hat die Fahrer wenige Tage später entlastet. Denken Sie, dass Ärzte wie Michele Ferrari oder Eufemiano Fuentes immer noch aktiv sind?

Das weiß ich nicht. Sollte es so sein, dann ist den Sportlern, die mit solchen Personen zusammenarbeiten, nicht mehr zu helfen. Es gibt mittlerweile sehr viele gute Sportwissenschaftler, die sehr viel Ahnung von Leistungsdiagnostik haben und einem mit sauberen Methoden zu Höchstleistungen verhelfen. Es gibt also keinen Grund, mit einem Ferrari oder Fuentes zusammenzuarbeiten. Es sei denn, man will auf verbotene Mittel und Methoden zurückgreifen.

Mein Bauchgefühl sagt, dass jemand, der einmal gedopt oder Doping organisiert hat, lebenslang gesperrt werden sollte. Aber es gibt halt Grenzfälle

Dan Lorang, Sportwissenschaftler

Der Radsport hat unter anderem mit seiner Glaubwürdigkeit zu kämpfen, weil immer noch viele Leute aus der Hochdopingzeit als Manager oder sportlicher Leiter aktiv sind. Haben diese Leute noch ihren Platz im Sport?

Ich würde es vermeiden, zu pauschalisieren. Mein Bauchgefühl sagt, dass jemand, der einmal gedopt oder Doping organisiert hat, lebenslang gesperrt werden sollte. Aber es gibt halt Grenzfälle. Was, wenn jemand wirklich aufgrund von verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln positiv getestet wurde? Hat der nicht doch eine zweite Chance verdient? Genau wie jemand, der seine Fehler eingesehen hat und es als Teammanager besser machen will.

Eine Personalie sorgte kürzlich für reichlich Gesprächsstoff. Was halten Sie von der Rückkehr von Bjarne Riis in den Radsport?

Auch hier würde ich aus dem Bauch heraus sagen, dass jemand, der selbst gedopt hat und als Teammanager zumindest nicht konsequent gegen Doping vorgegangen ist, besser gehabt hätte, sich nach einer anderen Tätigkeit umzuschauen. Andere Leute wiederum sagen, dass er ein hervorragender Taktiker ist und so den Radsport bereichern würde. Ich frage mich aber, wie junge Athleten auf ihn reagieren und was sie von ihm annehmen werden. Setzen sie im Training das um, was er verlangt oder nicht, weil sie sich sagen, „was weiß der schon, der ist ja selbst nicht sauber gefahren“?

Dan Lorang wehrt sich gegen Pauschalisierungen beim Thema Doping
Dan Lorang wehrt sich gegen Pauschalisierungen beim Thema Doping Foto: Bora-hansgrohe

Zur Person

Der 40-jährige Dan Lorang gehört zu den erfolgreichsten Trainer im Ausdauersport. 2019 haben mit Anne Haug und Jan Frodeno gleich zwei seiner Schützlinge den Ironman auf Hawaii gewonnen, etwas, was noch keinem Trainer zuvor gelungen ist. Der diplomierte Sportwissenschaftler begann seine Trainertätigkeiten auch im Triathlon. Erste Kontakte mit dem Profiradsport bekam er zu seiner Zeit in Basel. Hier war er in der Crossklinik tätig, einer Klinik für Orthopädie und Sportmedizin. Damals begann Lorang für das schweizerische Profiradteam Cervélo. Seit 2016 arbeitet der gebürtige Beleser für das Radteam Bora-hansgrohe, wo er mittlerweile die Funktion des „Head of innovation“ übernommen hat. Im vergangenen Jahr schloss sein Schützling Emanuel Buchmann die Tour de France auf Platz vier ab.