Jugendschutz-Serie / Wenn kein anderer Weg mehr bleibt: Der Ombudsmann für Kinder und Jugendliche
Jahrelang konnte ein Lehrer des LCD ungestört seinen Schüler*innen private Nachrichten schicken. Die Schule streitet ab, von den Vorwürfen gewusst zu haben, und die Betroffenen berichten von ergebnislosen Bitten nach Hilfe. Teil 7 unserer Jugendschutz-Serie: Charel Schmit erzählt über seine Arbeit als Ombudsmann für Kinder und Jugendliche: Er hat turbulente Monate hinter sich.
Noch zu Beginn dieses Jahres bestand das Team des Ombudsmann für Kinder und Jugendliche (OKaJu) aus nur 1,5 Personen: Dem Ombudsmann und einer Juristin, die dort eine Halbtagsstelle besetzte. Zählt man die beiden Verwaltungskräfte noch mit hinzu, kann man hier immer noch von einer sehr überschaubaren Größe sprechen. Dabei ist das OKaJu eine Kontaktstelle für die Sicherung von Kinder- und Jugendrechten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wurde letztes Jahr beschlossen, das Team im Sommer 2021 aufzustocken. Besonders der Bereich des Beschwerdemanagements soll ausgebaut werden.
„Das OKaJu muss eine nationale Anlaufstelle sein, die immer dann einspringt, wenn alle anderen Institutionen und Hilfsangebote nicht infrage kommen“, sagt Ombudsmann Charel Schmit. So soll sichergestellt werden, dass wirklich jeder Fall Gehör findet, auch wenn es für diesen speziellen Bereich keine eigene Anlaufstelle geben sollte. Trotzdem dürfen sich Kinder und Jugendliche auch bereits viel früher bei ihnen melden und um Hilfe oder Beratung bitten. Durch das gemeinsame Netzwerk der nationalen Hilfsangebote soll dafür gesorgt werden, dass jede*r Hilfesuchende die richtige Betreuung erhält.
Ein Drittel der Fälle, die bei ihnen auf den Schreibtischen landen, stammen von Personen, die sich in Folge einer Scheidung oder einer Trennung in einer Konfliktsituation befinden. Häufig geht es um Sorgerechtsfragen, die Unterbringung des Kindes oder um das Besuchsrecht. Es melden sich aber auch immer wieder andere Familienmitglieder, die sich um das Wohl der Kinder oder Jugendlichen sorgen.
Außerdem setzt sich das OKaJu für die Rechte und das Wohl von Kindern mit Migrationshintergrund ein. Minderjährige, die beispielsweise als Geflüchtete nach Luxemburg gekommen sind und oft durch die Raster der üblichen Institutionen fallen oder denen eine Ausweisung droht. Ziel ist es, eine Anlaufstelle für alle Kinder- und Jugendrechtsfragen zu sein, egal, um welchen Kontext es sich dabei handelt. Kinder oder Jugendliche melden sich laut Schmit leider viel zu selten bei ihnen. Hier müsste in Zukunft noch viel Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden.
Beschwerde – und was nun?
In allen Fällen gilt, dass nur der oder die Hilfesuchende entscheiden kann, was nach der Kontaktaufnahme mit dem OKaJu passiert. „Es gibt Personen, die wollen sich einfach bei uns über ihre Möglichkeiten informieren“, so Schmit. „Andere wollen eine Beschwerde einreichen, aber selbst noch nicht aktiv werden. Und wiederum andere wollen die ersten Schritte einleiten, um gegen ein Unrecht anzukämpfen.“ Das alles seien zulässige Gründe, um sich bei der Kontaktstelle zu melden.
„In der Regel führen die einzelnen Beschwerden dazu, dass wir in unserem jährlichen Bericht an die Chamber allgemeine Empfehlungen formulieren können“, erklärt Schmit. Durch die Vielzahl an Beschwerden könne man Tendenzen und mögliche Baustellen erkennen. Wenn der Ombudsmann aktiv werden soll, werden die betroffenen Personen oder Institutionen um eine Stellungnahme gebeten. Sollte sich dann nichts ändern, könne auch die Polizei eingeschaltet werden. Diese solle dann eine Untersuchung starten, um den Fall notfalls über den Rechtsweg zu klären.
Schmit darf sich nicht zu laufenden Schul-Dossiers äußern. Das OKaJu hätte aber die jüngsten Fälle an den Schulen aufmerksam verfolgt. Es sei erneut deutlich geworden, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
„Es gibt eine institutionelle Verantwortung gegenüber der/den Schüler*innen, dafür zu sorgen, dass es eine strukturelle Prävention gibt“, so Schmit. Das bedeute zum einen, dass das Schulpersonal durch Weiterbildungen sensibilisiert und informiert werden müsse, und zum anderen, dass es Strukturen geben müsse, an die sich die Schüler*innen und Lehrer*innen wenden könnten, falls es zu einer Grenzüberschreitung gekommen sei. Und obschon es bereits einige solcher Strukturen gibt, seien sie nicht in den Köpfen der meisten Schüler*innen und Eltern präsent. Auch eine einmalige Aufklär-Aktion würde nicht reichen. Es gäbe zwar zum Beispiel eine Broschüre, die Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen thematisiere und wie man sie erkennen könne, aber diese sei schwer verständlich und hätte bei Weitem nicht jede*n erreicht. Außerdem sei die Broschüre auch nicht ausführlich genug. Bereiche wie „Harcèlement moral“ und „Harcèlement sexuel“ würden fehlen und es werde nicht genügend über andere Faktoren gesprochen, die den Schulalltag negativ prägten. Ein Beispiel sei gewaltfreie Kommunikation.
Frustration und Veränderungen
Schmit betont immer wieder, wie wichtig es sei, dass sich junge Menschen trauen, ihrer Frustration Luft zu machen. Auch wenn das, wie im Fall der Autorinnen des offenen Briefes am Diekircher Lyzeum (LCD), erst nach der eigenen Schulzeit passiere. Optimal wäre, wenn sich auch die jetzigen Schüler*innen trauen würden, über ihre aktuellen Probleme zu reden, und nicht das Gefühl hätten, dies nur in geschlossenen Gruppen online zu können. Denn auch, wenn er es begrüßt, dass sich die Schüler*innen des LCD überhaupt getraut haben, über ihre Erfahrungen zu sprechen, sei es sehr schade, dass sie dachten, das wäre ihre einzige Möglichkeit.
Besonders wichtig sei es deswegen, auch die Selbstwirksamkeit der Kinder und Jugendlichen zu fördern. „Man soll nicht über Kinder, sondern mit Kindern sprechen und sie zum Beispiel dazu ermutigen, auch an den Lehrer*innen-Eltern-Gesprächen teilzunehmen“, wünscht sich Schmit. Auf diese Weise würde man die Schüler*innen aktiv am Dialog teilhaben lassen. Hier muss sich aber auch gesellschaftlich noch einiges tun, damit man den Stimmen von Minderjährigen das gleiche Vertrauen entgegenbringt wie Erwachsenen.
Die Anzeichen für einen möglichen Fortschritt stehen jedoch laut Schmit recht gut. Seit einigen Jahren habe sich schon manches getan. Beispielsweise seien die unterschiedlichen Formen von Mobbing auch in den Köpfen der Lehrer*innen und Eltern präsenter geworden. Flogen früher noch Bücher und Hefte durch die Klassenzimmer, ohne dass deswegen eine Augenbraue nach oben schnellte, sind zumindest solch offensichtliche Gewaltakte weniger geworden und inzwischen verpönt. „Es herrscht auch ein besseres Verständnis dafür, welche Auswirkungen beispielsweise Standgerichte auf die Psyche der Kinder und Jugendlichen haben“, erzählt Schmit. Gemeint sind damit solche Sätze wie „Aus dir wird doch nie was“. Wenn das Selbstwertgefühl des Kindes so untergraben wird, kann das langfristige Folgen und sogar Traumata auslösen.
- Zugverkehr auf der Linie 10 zwischen Luxemburg und Dommeldingen unterbrochen - 18. April 2024.
- Chris Leesch: „Wir wollen in jedem Rennen ums Podium fahren“ - 18. April 2024.
- Petition fordert Ende der Jungfräulichkeits-Zertifikate - 18. April 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos