Jugendschutz-SerieWenn ich belästigt werde – so sieht Luxemburgs Rechtslage aus

Jugendschutz-Serie / Wenn ich belästigt werde – so sieht Luxemburgs Rechtslage aus
Fälschlicherweise besteht die Annahme, bei sexualisierter Gewalt ginge es um die Erfüllung sexueller Lüste. In Wahrheit spielen Kontroll- und Machtfantasien eine größere Rolle. Foto: Pixabay

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Jahrelang konnte ein Lehrer des „Lycée classique de Diekirch“ (LCD) Schüler*innen private Nachrichten schicken. Ähnliche Vorfälle an unseren Schulen machen deutlich, dass Ignoranz schwere Folgen haben kann. Der stellvertretende Oberstaatsanwalt David Lentz will dem entgegenwirken. Teil 5 unserer Jugendschutz-Serie: Ein Annäherungsversuch zur Rechtslage.

„Die Menschen müssen erst mal ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten kennen, um diese auch in Anspruch nehmen zu können“, sagt David Lentz, beigeordneter Oberstaatsanwalt und Leiter der Jugendschutz-Abteilung in Luxemburg. 

Es gibt bereits mehrere Instanzen, Hilfsangebote und Gesetze für den Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt und Belästigungen. Erst recht, wenn es sich bei den Opfern um Kinder oder Jugendliche handelt. Leider wissen die Betroffenen in den meisten Fällen nicht, an wen sie sich wenden können. 

Wo fängt Belästigung an?

Der nun ehemalige Lehrer des Diekircher Lyzeums meinte in seinem Statement an die Öffentlichkeit, ihm sei damals nicht bewusst gewesen, dass sein Verhalten unangemessen sei. Zur Erinnerung: Er hatte also zu dem Zeitpunkt seiner Taten keine Bedenken, Schüler*innen spät nachts und unter Alkoholeinfluss persönliche Nachrichten zu schicken.

Fehlt es den Opfern oder Betroffenen an dem nötigen Wissen, fällt es ihnen schwer, Situationen richtig einzuschätzen. Erst, wenn einer Person bewusst ist, dass es zu einer Grenzüberschreitung gekommen ist, kann sie die richtigen Schritte einleiten. Auch wenn Lentz die aktuellen Vorfälle nicht kommentieren kann, da sich diese noch in Untersuchung befinden, will er über die Rechtslage aufklären.

Eine E-Mail mit der Frage „Wie geht es dir?“ ist noch keine Belästigung, so Lentz. Dafür müsste die Handlung einen repetitiven Charakter haben und von der betroffenen Person als störend empfunden werden. Bittet man die Person darum aufzuhören und es ändert sich trotzdem nichts, greift der Schutz des Privatlebens. Das infrage kommende Gesetz sieht aber vor, dass das Opfer selbst die Anzeige bei der Polizei aufgeben muss.

„Dann gibt es noch den Tatbestand ,harcèlement obsessionnel‘, den man im ,Code pénal‘ findet. Gemeint ist eine Person, die auf irgendeine Art und Weise von einer anderen Person in ihrer persönlichen Ruhe gestört wird“, erklärt Lentz. Das hört sich sehr ähnlich an, aber es geht um ein Verhalten, das man umgangssprachlich als Stalking kennt: ständige Anrufe und Nachrichten, Nachstellung und die direkte Einflussnahme auf das Leben des Opfers. Auch hier muss der oder die Täter*in zuerst darauf hingewiesen werden, dass dieses Verhalten nicht erwünscht ist. Kommt es zu keiner Verbesserung, gilt es als Gesetzesverstoß und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden. 

Es gibt aber auch Fälle, bei denen bereits eine einzige E-Mail oder Nachricht reicht, um dagegen klagen zu können. Dazu gehören unter anderem Beleidigungen und Bedrohungen. Lentz wird an dieser Stelle noch mal sehr deutlich und ergänzt: „Es ist strafbar, sich als erwachsene Person an Minderjährige zu wenden und ihnen Sex anzubieten, sie nach einer sexuellen Beziehung zu fragen, ihnen Bilder der eigenen Anatomie zu schicken oder sie mit Geld zum Sex überreden zu wollen.“ Bereits eine solche Nachricht reicht, damit dies als Straftat gewertet wird. Es muss nicht erst zu körperlichen Übergriffen oder mehrerer solcher Kontaktaufnahmen kommen. 

Unterschiedliche Machtpositionen

Fälschlicherweise besteht die Annahme, bei sexualisierter Gewalt ginge es um die Erfüllung sexueller Lüste. In Wahrheit spielen Kontroll- und Machtfantasien eine größere Rolle.

Besonders gefährdet sind Menschen, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden. Man denke zum Beispiel an die Missbrauchsfälle der Kirche. Auch an Schulen findet man solche Verhältnisse und klare Hierarchien. Während sich die Schüler*innen am Boden der Pyramide befinden, stehen die Lehrer*innen und die Schulleitung an der Spitze. Dieses Machtverhältnis sei auch einer der Gründe, weshalb die Schüler*innen des LCD auf die Nachrichten des Lehrers geantwortet haben und sich nicht getraut haben, etwas zu sagen. 

Lentz kann nachvollziehen, dass sich Betroffene in solchen Fällen nicht sofort trauen zu handeln. Es wäre jedoch am besten, dem oder der Täter*in sofort zu signalisieren, dass ein solches Verhalten nicht erwünscht sei. „Wenn sich dann nichts verändert, sollte man sich an die Klassenlehrer*innen oder an die Schulleitung wenden. Die sind dann eigentlich in der Pflicht einzugreifen“, ergänzt Lentz. 

Eingreifen heißt hier nicht unbedingt, sofort die Polizei zu kontaktieren. Je nach der Art des Vergehens kann auch erst versucht werden, den Fall intern zu regeln: „Sollte sich weiterhin nichts an der Situation ändern, sollte man den Fall zur Anzeige bringen“, so Lentz. Dann wird nämlich die Staatsanwaltschaft informiert und die Polizei muss eine Untersuchung einleiten.

„Wir haben eine Null-Toleranz-Grenze“, sagt Lentz. Er und seine Mitarbeiter*innen würden solche Fälle immer sofort an die Polizei weiterleiten. Wegen der Masse an Vorfällen könnten Untersuchungen aber schon mal etwas länger dauern.  

Bei prekären Situationen, bei denen Kinder oder Jugendliche beteiligt sind, käme ein Team aus Spezialist*innen zum Einsatz, ergänzt Lentz. Diese Einheit der Kriminalpolizei („Section protection de la jeunesse et infractions à caractère sexuel“) besteht aus ungefähr 30 speziell ausgebildeten Beamt*innen, die besonders sensibel im Umgang mit den Opfern sein sollen und für das ganze Land zuständig sind. 

Auf die Frage, weshalb manche Betroffene bei dem Versuch, Anzeige zu erstatten, von der Polizei abgewiesen wurden, sagt Lentz: „Wir versuchen immer, das Bestmögliche zu tun, damit das Opfer sich sicher fühlt, und es liegt sowieso nicht im Ermessen der Polizei, eine Anzeige abzuweisen; diese muss zu Papier gebracht werden und der Staatsanwaltschaft weitergereicht werden, die dann alleine befugt ist zu entscheiden, wie es weitergehen soll.“

Die Verantwortung der Schulen

Die Schulleitung des LCD bestreitet, von den Online-Konversationen gewusst zu haben. Trotzdem beschreibt Lentz, wann Schulen eingreifen müssen: „Wenn wir nur von Belästigungen und nicht von sexuellen Belästigungen sprechen, dann sieht das Gesetz vor, dass prinzipiell das Opfer den Fall selbst zur Anzeige bringen soll.“ Als Leiter der Abteilung „Protection de la jeunesse“ würde er und sein Team Schulen aber auch immer wieder darauf hinweisen, dass es nie schaden kann, sich auch bereits bei Verdachtsfällen an sie zu wenden. 

Sollte sich herausstellen, dass sich der Verdacht nicht bestätigen lasse und dass in gutem Glauben gehandelt wurde, würde man sich auch überhaupt nicht wegen falscher Anzeige strafbar machen. Es gebe sogar eigens dafür erstellte Formulare, mit denen sich alle, auch die Lehrer*innen oder die Schulleitungen, an die Staatsanwaltschaft wenden können. „Liegt eine Straftat vor, dann sind sie dazu gezwungen, etwas zu unternehmen“, ergänzt Lentz, „handelt es sich nicht um eine Straftat, kann auch niemand dafür bestraft werden, nichts gesagt zu haben.“ Nur wer eine Straftat wissentlich nicht der Staatsanwaltschaft meldet, kann sogar unter bestimmten Voraussetzungen dafür belangt werden. 

Abschließend noch der Hinweis zur Verjährungsfrist: „Normalerweise sieht die Strafprozessordnung eine Verjährungsfrist von fünf Jahren für Delikte und von zehn Jahren für Verbrechen beginnend ab dem Tag, wo die Tat begangen wurde, vor. In verschiedenen Fällen, in denen die Opfer minderjährig sind, beginnt die fünf- beziehungsweise zehnjährige Verjährungsfrist sogar erst ab dem 18. Lebensjahr. Sobald aber eine Untersuchung eingeleitet wird, wird der Verjährungsprozess unterbrochen“, so der Staatsanwalt. Man solle sich aber immer schnellstmöglich an die Polizei wenden, da dann vielleicht noch die Möglichkeit bestehe, Beweise zu sichern. Über die Thematik der Verjährung wird momentan auch in der Politik diskutiert. Es wird in Betracht gezogen, die Verjährungsfrist demnächst nochmals zu verlängern.

Zur Autorin

Annick Goergen, geboren 1992 in Esch/Alzette, ging 2014 nach Köln, um dort an der Universität Deutsche Sprache und Literatur sowie English Studies zu studieren. Schnell wurde klar, dass sie im Ausland bleiben will. Sie war zwei Jahre lang im Vorstand des Studierendenradios Kölncampus und hat sich dort als Online-Chefredakteurin engagiert. Außerdem hatte sie die Möglichkeit, an einem Podcast-Projekt des deutschen Bildungsministeriums teilzunehmen und europaweit mit Expert*innen über das Thema Digitalisierung an Schulen zu sprechen. Momentan arbeitet sie als Werkstudentin bei der Produktionsfirma I&U TV und schreibt dort Skripte für das Online-Wissenschaftsformat Breaking Lab. 

Autorin Annick Goergen
Autorin Annick Goergen Foto: privat