Ukraine-Flüchtlinge mit Luxemburger Pass„Wenn es geht, wollen wir hier bleiben!“

Ukraine-Flüchtlinge mit Luxemburger Pass / „Wenn es geht, wollen wir hier bleiben!“
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos: Daniel, Thierry, Veronika, Leslie, Valerija und Milena (v.l.n.r.) Foto: Editpress/Tania Feller

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Lockere Stimmung beim Abendessen im Restaurant. Es wird gelacht und viel geredet. Über den Krieg in der Ukraine, die Daheimgebliebenen und das Leben in Sicherheit. Auch über die Flucht, denn vor rund vier Wochen haben Daniel Porcedda, seine Frau Veronika, Milena und deren Tochter Valerija die Ukraine verlassen. Vertrieben durch Putins Invasion. Die drei ukrainischen Frauen lassen ihr Geburtsland zurück, Daniel seine Wahlheimat. 24 Jahre lang hat der heute 63-Jährige in „Kyjiw“ gelebt. Er ist Luxemburger, das Tageblatt hat in den vergangenen Wochen mehrmals über ihn berichtet. Auch über seinen Sohn, Thierry, der die Gruppe in Moldawien abholte und nach Belval brachte. Dort leben Daniel und Veronika nun im Appartement von Thierry und dessen Freundin Leslie. Ein Gespräch – auch über den Wunsch, für immer hier zu bleiben.

Tageblatt: Am 7. März seid ihr in Luxemburg angekommen. Wie geht es euch heute?

Daniel: Durchwachsen. Einerseits ist es eine große Erleichterung, dem Krieg in der Ukraine entflohen zu sein. Dazu freue ich mich ungemein, nun viel Zeit mit meinem Sohn verbringen zu können. Andererseits fühle ich mich entwurzelt, aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Und wir mussten alles in Kyjiw zurücklassen. Jeder hat bloß einen Koffer und einen Rucksack mitnehmen können.

Veronika (auch sie besitzt die Luxemburger Nationalität): Ich mache mir Sorgen. Um unsere Zukunft hier in Luxemburg. Und um meinen Vater, der in der Ukraine, in der Stadt Tscherkassy lebt und nicht wegwollte.

Thierry und Leslie scheinen froh über die neuen „Untermieter“ zu sein …

Thierry: (lacht) Kein Problem!

Daniel: Sie haben uns äußerst herzlich aufgenommen. Sie unterstützen uns sehr – obwohl wir deren Tagesablauf etwas durcheinanderbringen. Allerdings ist die Wohnung recht klein für vier Erwachsene und drei Haustiere, weshalb dies kein Dauerzustand sein kann.

Milena und deren Tochter Valerija sind mit euch geflüchtet. Sie sind bei Verwandten untergekommen. Wie sehen sie das Leben in Luxemburg?

Daniel: Milena war bereits vor rund 25 Jahren in Luxemburg. Obwohl das Land sich in einem Vierteljahrhundert sehr verändert hat, kennt sie es doch ein wenig. Für die Tochter Valerija, die letzten Monat 15 wurde, ist das Ganze ein Abenteuer. Sie ist überhaupt zum ersten Mal in ihrem Leben im Ausland. Alles ist neu und völlig ungewohnt für sie. Da sie aber stets für neue Erlebnisse offen ist, genießt sie bislang das Leben in Luxemburg. Aber sie vermisst ihren Vater, ihre Großeltern, ihre Freundinnen – und ihr Zimmer in Kyjiw. In dem hat sie nicht bloß viele Bücher sowie Mal- und Bastelzeug zurücklassen müssen, sondern auch noch ihre akustische Gitarre plus Verstärker, Effektgerät und Mikrofon. Und bald wird es noch eine grundlegende Änderung für sie geben: Schule in Luxemburg.

Wie sieht euer Tagesablauf aus?

Veronika: Ich habe zurzeit noch dringende Übersetzungsarbeiten aus der Ukraine zu erledigen. Dafür erhalte ich weiterhin meinen Lohn. Wie’s weitergeht, weiß ich nicht.

Daniel: Ich arbeite gerade einige Projektmöglichkeiten die Ukraine betreffend aus, die eventuell das eine oder andere luxemburgische Unternehmen interessieren könnten. Als jahrelanger Unternehmensberater war dies für mich Routine. Ab und zu schreibe ich Artikel für Zeitungen. Ansonsten versuchen wir einfach bloß, ein normales Leben zu führen, soweit es möglich ist.

Ihr redet viel über die Daheimgebliebenen.

Ja. Und deshalb ist es auch schwierig, abzuschalten.

Kontakt zu ihnen?

In Kyjiw organisierte ich, bis Corona ausbrach, einen wöchentlichen „deutschen“ Stammtisch, wobei mit Deutsch hier die Sprache gemeint ist, nicht die Nation. Der Stammtisch hat auch eine Facebookgruppe. Der überwiegende Anteil der fast 700 Mitglieder sind Ukrainer. Ich habe während der beiden ersten Wochen in Luxemburg alle weiblichen ukrainischen Mitglieder als auch die Männer über 60 einzeln kontaktiert, um in Erfahrung zu bringen, ob sie in Sicherheit sind. Viele sind es nicht. Ich leite ihnen entsprechende Informationen über die Möglichkeiten, Zuflucht in Luxemburg zu finden, weiter und stehe jedem als Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung.

Wie seht ihr eure Zukunft in Luxemburg?

Unsere Idealvorstellungen hierzu werden wohl mit den Realitäten kollidieren. Von den kommenden Wochen erhoffen wir Klarheit, aber bisher ist unsere Zukunft in Luxemburg noch mit vielen Fragezeichen versehen.

Bleiben oder zurück?

Veronika: Eigentlich gerne bleiben, permanent, ich hege den Gedanken schon seit längerem, aber die Basis hierzu muss geschaffen werden können.

Daniel: Ja, bleiben! Mein Wunsch wäre allerdings, zwischen Luxemburg und Kyjiw pendeln zu können, wenn ich dies mit einer geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit verbinden könnte.

Klappt es mit den Behördengängen in Luxemburg?

Wir haben, wie von staatlichen Stellen empfohlen, das betreffende Anmeldeformular zum „Statut de protection temporaire“ ausgefüllt und zugestellt. Das war am 11. März. Bislang noch keine Reaktion erhalten. Nun ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Behörden überlastet, gar überfordert sind. Das ist kein Vorwurf. Außerdem haben wir die Unterlagen zur Anerkennung der Diplome meiner Frau, die promovierte Philologin ist, im zuständigen Ministerium eingereicht. Das verlief äußerst freundlich und zuvorkommend. Mehr wissen wir aber noch nicht.

Wie steht’s mit der Krankenversicherung?

Da wir bislang zu unserem Statut noch keinen Bescheid erhielten, ist der Aspekt der Krankenversicherung für uns nicht geklärt. Wir müssten beide unsere erste Booster-Impfung bekommen und bräuchten ärztliche Konsultationen. Ich zum Beispiel wegen meines Bluthochdrucks. Ohne Krankenversicherung ist das alles schwierig.

Gibt es Unterstützung vom Staat?

Bislang nicht. Hilfe wurde uns vor allem aus dem privaten Umfeld in Aussicht gestellt.

Du kommst als Flüchtling ins eigene Land. Etwas komisch?

Es mutet schon arg grotesk an. Zumindest kennen wir dadurch aber einige Leute hier.

Wie informiert ihr euch über die Entwicklung in der Ukraine?

Nachrichtensendungen. Diverse Quellen, verschiedene Sprachen. Zudem persönlich von Freunden und Bekannten, die sich weiterhin in der Ukraine befinden. Vor allem die Meldungen bezüglich Versorgungsengpässen mit Nahrungsmitteln sowie dem Ausfall von Strom und Wasser machen uns zu schaffen. Man hört/liest/sieht es, und man ist völlig hilflos.

Zeit für Freizeit?

Ja, auch wenn man sich dabei ab und an unwohl fühlt. Man denkt unweigerlich an Menschen in der Ukraine, zu denen man ein enges Verhältnis hat, und die unter dem Krieg leiden, während man selber versucht, sich zu entspannen oder sich geistig abzulenken. Das Abschalten muss man manchmal erzwingen, es ist ein wichtiges psychologisches Durchpusten der Gehirnwindungen, die mit dem Leid unserer ukrainischen Mitmenschen verstopft sind. Da mein Sohn Musiker ist, finden wir auch ein wenig Zeit, uns auf diese Art auszutoben. Und das tut einfach gut.

Wenn ihr einen Wunsch freihättet?

Sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen in der Ukraine, eine Welt ohne Putin, sowie westliche Politiker, die ihre langjährige Lernresistenz endlich ablegen würden, damit sie in Zukunft diplomatisch besser gewappnet sein würden, sollte der nächste Putin auf die Weltbühne treten.

Filet de Boeuf
1. April 2022 - 16.43

Ich freue mich auch schon aufs Pendeln, vom Arbeitsplatz in Luxemburg-Stadt zu meiner Wohnung in Koblenz.

ARM
1. April 2022 - 16.34

All animals are equal, but some are more equal than others. George Orwell 1945

J.C. Kemp
1. April 2022 - 14.54

@Russia (äh, Romain) Today: Warum soll Selensky kapitulieren? Wohl eher sollte der Aggressor Putin seine Invasionstruppen schleunigst abziehen.

HTK
1. April 2022 - 9.03

Alle Flüchtlinge wollen bleiben wenn es geht. Oder wer will zurück nach Afghanistan,Syrien,oder zu den afrikanischen Warlords usw. Sogar geflüchtete Russen können gar nicht zurück weil sie sonst im Gulag verschwinden. Es bleibt viel zu tun. Solange es nicht gelingt diesen Ländern auf die Beine zu helfen,sieht es schlecht aus.

Romain Today
1. April 2022 - 8.37

Ich würde mir wünschen dass Selenskyj kapituliert damit Frieden einkehren kann.....