Radfahren in Luxemburg (6)Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus

Radfahren in Luxemburg (6) / Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
So große und volle Fahrradparkplätze wie hier bei Amsterdam Centraal gibt es in Luxemburg noch nicht Foto: Qimby.net

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Das Fahrrad boomt und spielt eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende. Warum aber tut sich Luxemburg beim Schaffen einer modernen Radinfrastruktur so schwer? Dieser Frage ist das Tageblatt nachgegangen. Es entstand eine neunteilige Serie, die mit den Zielen der Fahrradpolitik im nationalen Mobilitätsplan 2035 begann. Im sechsten Teil blickt das Tageblatt in die Niederlande. Das Fahrradland gilt weltweit als Musterschüler in Sachen Mobilität. Die Luxemburger Stadtplanerin Sophie Simon lebt in den Niederlanden und weiß, dass die dortige Fahrradinfrastruktur auch im Großherzogtum funktionieren könnte.

 Illustration: Tageblatt
Sophie Simon ist Stadtplanerin bei der Stadt Amsterdam
Sophie Simon ist Stadtplanerin bei der Stadt Amsterdam Foto: privat

„Trennen, wo nötig; mischen, wo möglich.“ Nach diesem niederländischen Motto müssen laut Sophie Simon Fahrradwege designt werden. Heißt: Der Fahrradfahrer benötigt oft einen eigenen Weg. Die 28-jährige Luxemburgerin arbeitet als Stadtplanerin für Amsterdam und kennt das niederländische Mobilitätsmodell durch Studien und Arbeitserfahrung nur zu gut. Simon kommt etwa einmal pro Monat nach Luxemburg, um Familie und Freunde zu besuchen. „Ich fahre in den Niederlanden täglich mit dem Fahrrad, aber in Luxemburg tue ich das auch nicht – ich würde mich dort auch gar nicht wohlfühlen“, sagt die Stadtplanerin. Der Grund: die Fahrradinfrastruktur in Luxemburg sei weder sicher noch attraktiv.

Sophie Simon

Die 28-jährige Luxemburgerin Sophie Simon hat einen Bachelor in Geografie, einen Erasmus und Pre-Master in „Urbanism and Landscape Architecture“.
Sie lebt zurzeit in Rotterdam, arbeitet aber seit April als „Assistant Public Space Designer“ bei der Stadt Amsterdam. Davor war sie drei Jahre als Mobilitätsberaterin bei Mobycon angestellt, einem niederländischen Beratungsbüro, das sich mit nachhaltigen Mobilitätslösungen beschäftigt. Nebenbei macht sie auch einen „Master in Landscape Architecture“ an der „Academie van Bouwkunst Amsterdam“.

Dabei seien diese beiden Aspekte nach niederländischem Prinzip elementar für ein funktionierendes Radnetzwerk. „Das Wichtigste ist Sicherheit – wenn das nicht der Ausgangspunkt ist, hat man schon versagt“, sagt Simon. Nur durch eine sichere Infrastruktur würden sich auch mehr Menschen auf den Drahtesel trauen. In der Praxis heiße das vor allem, dass Fahrradfahrer die Straße nie mit einem Autofahrer teilen müssen, wenn das Tempolimit über 30 liegt. Bei höheren Geschwindigkeiten würde ein Unfall zwischen Auto und Rad oft schwere oder tödliche Konsequenzen tragen.

Tempo-30-Zonen müssten mithilfe von „Speedbumps“, Buchten oder erhöhten Plattformen verkehrsberuhigt werden. „Dann muss man auch nicht unbedingt einen Fahrradweg einzeichnen“, sagt Simon. In den Niederlanden würden in solchen Straßen auch oft Pflastersteine installiert werden, dadurch würden die Autofahrer automatisch langsamer fahren. Beim separaten Weg müsse unbedingt eine physische Trennung vorhanden sein – also nicht nur Farbe. „In den Niederlanden wird die Fahrradstrecke auch oft durch einen Parkstreifen getrennt“, sagt die 28-Jährige. Zwischen Straße und Radweg befinden sich dann geparkte Autos. Dadurch gehe man auch dem Problem des „Dooring“ – wenn ein Fahrradfahrer von einer geöffneten Autotür erwischt wird – aus dem Weg.

Wenn Attraktivität mehr als Grünzonen bedeutet

Das zweitwichtigste Prinzip für die niederländische Fahrradinfrastruktur ist laut Sophie Simon die Attraktivität. Heißt: Die Wege müssen direkt, schnell und komfortabel sein. „Niemand hat Lust, einen riesigen Umweg mit dem Fahrrad zu fahren“, meint Simon. Damit dies funktioniert, sei ein klares Fahrradweg-Netzwerk nötig. „Und wenn man sich Luxemburg anschaut, fehlt das einfach“, sagt Simon. Es sei wichtig, dass die Politik sich für Esch oder für die Hauptstadt ein gesamt umgreifendes Netzwerk ausdenke. „Irgendjemand muss sich diese Gedanken machen und so planen, dass das Netzwerk auch sicher, direkt und komfortabel ist“, sagt die Studentin. Es sei nicht sinnvoll, eine einzige Straße fahrradfreundlich zu gestalten und „dann hört die irgendwo auf“.

Das erkenne man auch an Esch. Die geborene Minetterin ging im Escher „Lycée Hubert Clément“ zur Schule und kennt die Südstadt selbst also gut – auch die viel diskutierte Kanalstraße. Dabei handelt es sich um eine Tempo-30-Zone, die regelmäßig von Fahrradaktivisten wegen mangelnder Fahrradinfrastruktur kritisiert wird. Bürgermeister Georges Mischo meinte im Tageblatt-Interview: „Ich habe mich in Esch auf dem Rad noch nie unsicher gefühlt. Ich habe auch die Diskussion um die Kanalstraße nicht verstanden.“ Das Problem bei der Kanalstraße ist laut Simon allerdings, dass sie als Tempo-30-Zone mit verkehrsberuhigter Infrastruktur ausgestattet werden müsse. Außerdem seien die Fahrradwege zu schmal und durch die geparkten Autos werde auch das „Dooring“ zu einem Problem. „Die Straße kann man definitiv noch verbessern“, meint Simon.

Auch oft kritisiert: die Alzettestraße, in der Drahtesel nicht mehr erlaubt sind. Doch das findet die Stadtplanerin nicht so problematisch. „In den Niederlanden dürfen Fahrradfahrer auch nicht in Fußgänger- und Einkaufsstraßen fahren“, sagt sie. Das seien Straßen, die oft voller Fußgänger seien – das sei also prinzipiell schon verständlich. Dann müssten allerdings auch gute Alternativstraßen vorhanden sein, was in diesem Viertel laut Fahrradaktivisten nur bedingt der Fall ist.

Die Kanalstraße in Esch ist eine lange, gerade Tempo-30-Zone ohne verkehrsberuhigende Elemente. Der Fahrradweg verschwindet plötzlich und „Dooring“ ist laut Sophie Simon auch ein Problem.
Die Kanalstraße in Esch ist eine lange, gerade Tempo-30-Zone ohne verkehrsberuhigende Elemente. Der Fahrradweg verschwindet plötzlich und „Dooring“ ist laut Sophie Simon auch ein Problem. Foto: Editpress/Cédric Feyereisen
In Rotterdam wird oft ein Straßeneinbau zur Verkehrsberuhigung mit Radverkehrsführung eingesetzt. „So etwas könnte man auch prima in der Kanalstraße einführen“, sagt Sophie Simon.
In Rotterdam wird oft ein Straßeneinbau zur Verkehrsberuhigung mit Radverkehrsführung eingesetzt. „So etwas könnte man auch prima in der Kanalstraße einführen“, sagt Sophie Simon. Foto: Sophie Simon

Warum die Politik den ersten Schritt gehen muss

Warum fahren in Luxemburg weniger Menschen mit dem Fahrrad als in den Niederlanden? „Das ist ja normal, wenn man sich anschaut, wie die Situation in Luxemburg momentan ist“, sagt Simon. Zuerst müsse Luxemburg eine bessere Infrastruktur bauen und dann würden die Menschen auch zum Zweirad greifen. Das erkenne man jetzt in Paris und Brüssel. „Wenn man sich den Fahrradverkehr während der Rushhour in Paris anschaut, dann wirkt das fast wie Amsterdam“, sagt die Stadtplanerin. Das Argument, es würden nicht viele Menschen mit dem Fahrrad fahren, sei also eine Ausrede der Politik.

Nach der Erschaffung der Infrastruktur könne man dann auch zusätzliche Aktionen organisieren, um den Verkehrswandel anzutreiben. So etwa die Finanzhilfe beim Kauf eines Fahrrads. Die Primen seien prinzipiell gut, aber ohne eine sichere und direkte Fahrradinfrastruktur müsse man sich fragen, ob die Fahrräder auch wirklich benutzt werden. Auch die Multimodalstraße zwischen Luxemburg-Stadt und Esch, das Vorzeigeprojekt des Luxemburger Mobilitätsministeriums, sei prinzipiell gut, doch: „So etwas ist wichtig, aber meine Frage ist dann: Wie komme ich überhaupt an den Startpunkt von der schnellen Fahrradstraße?“, gibt Simon zu bedenken.

Es wäre also besser, mit den Fahrradwegen in den Städten und Dörfern anzufangen, danach könne man diese Strukturen dann verbinden. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass Luxemburg – und auch andere Länder – für das Fahrrad Prestigeprojekte planen, die sich auch nach außen gut verkaufen lassen“, sagt Simon. Mit kleineren Projekten, die auf ein zusammenhängendes Fahrradnetzwerk hinarbeiten, könne man wesentlich mehr erreichen. Als Testphase könne man auch verstärkt auf Pop-up-Fahrradstraßen setzen. Rotterdam würde das oft machen und das funktioniere sehr gut, da es dadurch möglich sei, auch Zweifler zu überzeugen.

Luxemburg ist nicht mit den Niederlanden vergleichbar

Luxemburger Zweifler würden oft auf das Argument benutzen, dass Luxemburg nicht so flach sei wie die Niederlande. Das ist laut Simon eine Ausrede. „Vor allem flache Länder wie die Niederlande sind sehr windig. Starke Luft ist meiner Meinung nach als Fahrradfahrer wesentlich anstrengender als ein kleiner Hügel.“

Die Niederlande seien vor 60 Jahren auch noch ein Autoland gewesen, aber das Land habe die Entscheidung getroffen, dem Fahrrad die Priorität einzuräumen. „Es ist möglich, aber man muss es eben wirklich umsetzen wollen“, sagt die Stadtplanerin. Dafür müsse der Raum allerdings neu verteilt werden. Heißt: dem Autofahrer Platz wegnehmen. „Man kann das Fahrrad nicht fördern, ohne etwas zu verändern“, meint Sophie Simon.


Radfahren in Luxemburg – die Serie:

1. Auf dem Weg zum vollwertigen Individualverkehrsmittel: Das will der nationale Mobilitätsplan 2035
2. Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
3. Bürgermeister Mischo über Escher Radwege: „Habe kein Problem damit, Parkplätze zu opfern“

4. Hauptstädtischer Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt: „Radfahren in der Stadt ist nicht überall so ohne“
5. Der lange Weg zur Mobilität der Zukunft: Blick hinter die Kulissen
6. Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
7. Mobilitätsminister François Bausch: „Das alte Lagerdenken muss aufgebrochen werden“
8. Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“
9. Das Fazit der Fahrradserie: Von Verkehrskrieg und sicheren Wegen