Freitag14. November 2025

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RusslandWenn ein Kinderbild Vater und Tochter trennt

Russland / Wenn ein Kinderbild Vater und Tochter trennt
In Russland diktiert längst wieder der Kreml den Menschen im Land, wie sie zu denken haben Foto: AFP/Yuri Kadobnov

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Weil eine 13-Jährige ein „unpatriotisches“ Bild malte, geriet eine Familie in der Nähe von Moskau in die Fänge des russischen Staates, der nur eine Haltung zum Krieg in der Ukraine duldet. Die Repressionen machen in Russland auch vor Kindern nicht Halt.

Sie hatte eine russische Fahne gemalt und eine ukrainische. Hatte „Nein zum Krieg“ geschrieben und „Ruhm der Ukraine“, mit einem schwarzen Stift eine Frau und ein Kind gezeichnet, auf die aus Richtung der russischen Fahne Bomben fallen. Die 13-jährige Maria Moskaljowa, genannt Mascha, aus der Kleinstadt Jefremow, knapp 320 Kilometer südlich von Moskau, hatte sich aus der Sicht ihrer Schule und Russlands Sicherheitsbehörden mit solch einer Infragestellung von allem, was der Staat seit seinem Überfall der Ukraine am 24. Februar 2022 als „rechte Sache“ zu verkaufen versucht, quasi als „Verräterin“ offenbart. Und solche Kritiker – Präsident Wladimir Putin bezeichnet „Verräter“ als „Abschaum, den es zu vernichten gilt“ – können sich der Unterdrückungsmaschinerie kaum mehr entwinden. Auch nicht, wenn sie Kinder sind.

Mascha ist mittlerweile im Heim, ihrem alleinerziehenden Vater Alexej Moskaljow droht wegen der „Diskreditierung der russischen Armee“ eine dreijährige Haftstrafe. Derzeit befindet er sich unter Hausarrest. Am Mittwoch wollte ein Bezirksgericht in Jefremow über eine Einschränkung des Sorgerechts entscheiden. Am Nachmittag teilte die Richterin mit, es habe sich lediglich um ein Gespräch gehandelt, die Verhandlung finde am 6. April statt. Damit bleiben Vater und Tochter weiter getrennt. Die örtliche Kommission für Minderjährige hält weiterhin an ihrer Überzeugung fest, Moskaljow bringe seiner Tochter eine „falsche Vaterlandsliebe“ bei und sei deshalb nicht befähigt, sich um Mascha „adäquat“ zu kümmern.

Die Mutter des Kindes hatte die Familie bereits verlassen, als Mascha drei war, andere nähere Verwandte hat die Sechstklässlerin nicht. Der Vater, ein 54-jähriger Vogelzüchter, kümmerte sich allein um seine Tochter. In seinen sozialen Netzwerken hat er nie einen Hehl um seine kritische Haltung zum Krieg in der Ukraine gemacht. „Die Armee Russlands – die Gewalttäter sind neben uns“, hatte er kurz nach der Invasion Russlands in der Ukraine geschrieben. Es folgte eine Ordnungsstrafe wegen der „Diskreditierung der russischen Armee“, zwei solcher Geldbußen führen zum Strafverfahren und womöglich zur Haft.

Kurze Zeit später malte Mascha ihr Bild im Kunstunterricht ihrer Mittelschule Nummer 9, die auf ihrer Homepage Kinder in Uniformen und allerlei Z abbildet, dem Symbol für Russlands Krieg in der Ukraine. Maschas Lehrerin fand die Zeichnung „unpatriotisch“, die Direktorin rief die Polizei. Für Mascha und ihren Vater begann eine Odyssee von Verhören, Hausdurchsuchungen, Anklagen. Das Jugendamt führt die Familie nun als „benachteiligt“ und beanstandet die „ärmlichen Verhältnisse“, in dem Vater und Kind gelebt haben sollen. Der Anwalt der Familie spricht von einem „normalen Vater, der seine Tochter liebt“.

Staat greift immer mehr in Erziehung ein

Mascha hat seit zwei Wochen keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Das „soziale Reha-Zentrum“ der Stadt, ein Heim für Kinder in Krisensituationen, hat mitteilen lassen, das Kind sei nach der Festnahme des Vaters in sich gekehrt und spreche mit niemandem. Aktivisten, die die Freilassung des Mädchens aus dem Heim fordern, haben ebenfalls keinen Zugang zu Mascha. Die hohen grünen Zäune der Einrichtung bleiben für unabhängige Beobachter verschlossen. Eine lokale Abgeordnete, die vor Gericht wartete, sagte Beobachtern vor Ort, das Mädchen gehöre zu seinem Vater, um weiteren psychischen Schaden vor ihm abzuwenden. Die regionale Kommission für Minderjährige, in der auch die Heimleiterin des „Reha-Zentrums“ sitzt, will das Kind vor „falschen Einflüssen“ schützen.

Der Staat greift immer mehr in die Erziehung ein und betrachtet jede abweichende Meinung als staatsfeindlichen Akt. Der Fall Mascha ist drastisch, aber kein Einzelfall. Es gibt immer wieder Lehrerinnen, die ihre Schülerinnen bei den Sicherheitsbehörden melden – weil diese etwa ein Profilbild im Klassenchat in ukrainischen Nationalfarben benutzen, weil sie den Soldaten an die Front schreiben, sie mögen doch bitte zurückkehren und keine Mörder mehr sein, weil sie sich weigern, in den Patriotismus-Stunden mitzumarschieren. Den Behörden geht es dabei weniger um das Wohlergehen der Kinder, sondern vielmehr um die Gesinnung der Eltern. Der Staat duldet nur eine Meinung zur Ukraine: die der Bedrohung Russlands durch vermeintlich nationalistische Kräfte, die vom Westen angeheizt würden. Mit der Drohung an die Eltern, ihnen ihre Kinder wegzunehmen, verschärft der Staat die Atmosphäre der Angst und der Unsicherheit und verlangt Treue und Gehorsam, selbst von den Kleinsten.