Luxemburg / Wenn die Schmerzen unerträglich sind – Covid und die Ungleichheiten im Gesundheitssystem
„Santé pour tous“ heißt das Projekt, bei dem Forscher versuchen herauszufinden, wie gerecht oder ungerecht das Luxemburger Gesundheitssystem ist. Erste Ergebnisse zeigen: Menschen mit weniger Einkommen erkranken schwerer an Covid-19. Die Ungleichheiten, die im Gesundheitssystem vermutet wurden, sind real. Der Luxemburger Caritas war dies jedoch schon längst bewusst.
Stellen Sie sich vor, Sie schlafen mit mehreren fremden Menschen in einem Zimmer. Eine andere Wahl haben Sie nicht, denn ansonsten müssen Sie zurück nach draußen in die Nacht. In dem engen Raum kann sich Covid trotz Zwei-Meter-Regel verbreiten – und Ihr Körper ist geschwächt. Für viele Obdachlose ist das Alltag. Aber dort, wo die Hygieneregeln nicht genau eingehalten werden können, wird Angriffsfläche für Infektionen geschaffen.
Sanitäre Maßnahmen sind schlecht einzuhalten, wenn gar kein Badezimmer zur Verfügung steht, erzählt Stéphanie Sorvillo, Direktionsmitglied der Caritas und Leiterin der Obdachlosenhilfe. So seien die öffentlichen Toiletten während des ersten Lockdowns geschlossen worden – dadurch habe die persönliche Hygiene der Obdachlosen gelitten. Dixi-Toiletten können kein Badezimmer ersetzen. Und auch wenn die Toiletten zweimal am Tag gesäubert werden, teilen sich die Bedürftigen sie im Endeffekt dennoch mit vielen anderen Menschen. „Schlechte Hygiene ist immer ein Ausgangspunkt für Krankheiten. Das war schon immer so, seit 100 Jahren werden Krankheiten durch verbesserte Hygiene beseitigt“, ergänzt Caritas-Krankenschwester Sandrine Hocquard-Grimm.
Es sind die Ärmsten der Gesellschaft Luxemburgs, die Covid-19 am härtesten getroffen hat. Das stellt das neue Projekt „Gesundheit für alle“ in seiner Zwischenbilanz fest. Das Gesundheitsministerium hat das staatliche Statistikamt Statec, das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und die Generalinspektion der Sozialen Sicherheit (IGSS) 2020 beauftragt, das Gesundheitssystem während der Pandemie zu bewerten.
Mängel im Gesundheitssystem
Das Ziel des Projekts ist es, Schwächen und Ungleichheiten im Gesundheitssystem des Großherzogtums im Zusammenhang mit Covid-19 aufzudecken. Die Pandemie hätte klare Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem Luxemburgs aufgezeigt, hat das Gesundheitsministerium vergangene Woche in seiner Pressemitteilung angekündigt. Demnach sind Großhaushalte mit mehr als fünf Personen und Sozialhilfeempfänger stärker von Infektionen betroffen. Aber: Familien mit hohem Einkommen sind dennoch nicht unbedingt besser geschützt.
„Die Ansteckung mit dem Virus hängt beispielsweise von den Arbeits- und Wohnbedingungen ab, die mit dem Einkommensniveau einhergehen und sogar von diesem beeinflusst werden“, sagt Philippe Van Kerm vom Forschungsinstitut Liser. Luxemburg habe einen guten Gesundheitssektor. Doch auch wenn der Zugang zu medizinischer Versorgung ausreichend ist – soziale Umstände und Einkommen spielten immer eine Rolle. Bei der Infektionsrate von Covid-19 sei dies nicht anders.
Weniger Einkommen, mehr Vorerkrankung?
Überraschender seien da die Daten zu den Krankenhausaufenthalten, sagt Van Kerm. Die Ergebnisse zeigen, dass Personen mit niedrigerem Einkommen und Empfänger von Sozialleistungen öfter hospitalisiert wurden. Die Gründe hierfür seien momentan allerdings noch reine Mutmaßungen.
Eine plausible Erklärung sei die Kombination von Virus und Vorerkrankungen. Namentlich nennt der Professor hier Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein niedriges Einkommen an sich stelle kein Gesundheitsrisiko dar. Risikofaktoren wurden nämlich bei allen Einkommensschichten beobachtet. Aber: Das Einkommen beeinflusst, was sich mit dem Lebensunterhalt gekauft wird. Laut Van Kerm haben viele wissenschaftliche Studien – auch internationale – ergeben, dass das Risiko für Übergewicht bei Geringverdienern höher sei. Ob das als Fazit gelten kann, könne nicht mit Sicherheit gesagt werden. Aber die Schlussfolgerung könne laut Van Kerm die Ergebnisse des „Santé pour tous“-Projekts wenigstens erklären.
Eins ist allerdings sicher: Die Zwischenbilanz von „Santé pour tous“ zeigt, dass es Ungleichheiten im luxemburgischen Gesundheitssystem gibt. Laut dem Gesundheitsministerium muss zur Weiterführung des Projekts noch die Teilnahme am Impfangebot und die Auswirkung auf die mentale Gesundheit der Menschen untersucht werden.
Hygiene ist das A und O
Die Caritas hat bereits am Anfang des Jahres darauf hingewiesen, dass Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, von der Pandemie am stärksten getroffen werden. „Internationale Studien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit dem Grad der Prekarität zunimmt“, steht im Positionspapier der Organisation vom Februar 2021.
„Das sind Menschen, die nicht die Möglichkeiten haben, die Anweisungen zum Schutz vor Covid-19 zu befolgen“, sagt Stéphanie Sorvillo. Ein Beispiel: Für Menschen, die in Café-Zimmern wohnen, gebe es vielleicht keine Möglichkeit, ein richtiges Waschbecken zu haben. Das Badezimmer müsse dort aber oft mit anderen Personen geteilt werden. Das bringe in der Konsequenz ein höheres Infektionsrisiko.
Den Kontakt suchen gegen Ungleichheiten
„Gesundheit für alle, natürlich, wir setzen uns dafür ein“, sagt Sorvillo. „Wir versuchen, es allen anzubieten – aber hier gibt es auch Menschen, denen es schwerfällt, diese Hilfe anzunehmen. Sie gehen nicht in die Notaufnahme, sie gehen nicht zum Arzt.“ Diese Menschen hätten sich vom Gesundheitssystem entfernt, vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht und das Vertrauen verloren. Manche besäßen nicht mal eine Matrikelnummer.
Dazu kommt, dass eine Drogenabhängigkeit oder eine psychische Erkrankung den Gang in die Notaufnahme erschweren könne. Das Warten in der Notaufnahme ist oft lang und auch wenn der Betroffene geduldig wartet, werde sein Suchtempfinden oder seine Unruhe schlimmer. Die Aufnahme sei schwierig und irgendwann ist die Geduld vorbei. „Die medizinisch-pflegerische Versorgung für diese Menschen ist komplexer und die Systeme reagieren möglicherweise nicht so auf diese Komplexität, wie es notwendig wäre, um auch diesen Menschen Zugang zur medizinischen Versorgung und Pflege zu verschaffen“, sagt Sorvillo. Das Gesundheitssystem biete die Dienste zwar an, aber die Bedürfnisse dieser Menschen seien anders und dem System gelänge es nicht immer, diese Komplexität abzudecken.
Innerhalb der ersten vier Monate nach Ausbruch der sanitären Krise konnten bereits 41 obdachlose Personen mit einem Verdacht auf Covid identifiziert werden, schreibt die Luxemburger Caritas in ihrem Bericht über das „Community Health Nursing“-Projekt. Nach der Entlassung aus der Isolation, bei der die Caritas Obdachlose stellenweise in Hotels untergebracht hatte, wurden sieben von ihnen vom Pflegedienst der Caritas weiter überwacht. Glücklicherweise war es nur eine obdachlose Person, die wegen mehrerer chronischer Krankheiten intensivere Pflege benötigte.
„Es konnte beobachtet werden, dass manche obdachlosen Personen erst dann eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen, wenn die Schmerzen oder Symptome nicht mehr erträglich sind“, schreibt die Caritas. Eine große, offene Eiterwunde am Fuß einer obdachlosen Person konnte nur behandelt werden, weil eine Pflegekraft aus Reflex heraus der Person die Schuhe auszog. Dabei sei der Patient zuvor bereits mehrmals wegen Alkoholintoxikation im Krankenhaus gewesen – und niemand hat seine schwerwiegende Wunde bemerkt.
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An eisem Gesondheetssystem geet et schon länger biergof. Urgencen dei HOFFNUNGSLOOS iwerlaascht sin, e rdv bei engem Spezialist as onmeigleg gin, bei villen as d’Kompetenz an d’Expertise mei ewei zweifelhaft.
Mee ewei oft, hauptsaach et kascht vill hei zu Luxusbuerg. Dann muss et jo gud sin. Froot emol am Ausland waat do Dokteren iwert eisen System denken. Deier Equipementer awer fortement discutabel waat d‘ Effizienz ugeet.
Das Gesundheitssystem gehört auf die Intensivstation.Es ist unheilbar krank!