SchwedenWenig Influenza, viel Corona: Staatsepidemiologe macht Grippe für hohe Todeszahl verantwortlich

Schweden / Wenig Influenza, viel Corona: Staatsepidemiologe macht Grippe für hohe Todeszahl verantwortlich
Schwedens Staatsepidemiologe Tegnell überrascht mal wieder mit seinen Aussagen Foto: AFP/Pontus Lundahl

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Anders Tegnell, Schwedens erster Experte in Sachen Pandemie, hat nun eine Erklärung für die hohen Todeszahlen durch Covid-19 in seinem Land – es war die milde Grippewelle im letzten Winter. Schwedens Nachbarstaaten reagieren verwundert.

„Die Grippesaison des vergangenen Jahres führte dazu, dass viele der Gebrechlichen und Kranken, welche die Ersten sind, die bei einer normalen Grippe sterben, zu Recht kamen und stattdessen starben, als sie von Covid-19 erwischt wurden“, erklärte der Staatsepidemiologe gegenüber der Zeitung Dagens Nyheter.

Tegnell verwies auf eine aktuelle Studie des ECDC, des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, dass die Grippesaison in den Nachbarländern Norwegen und Finnland heftiger gewesen sei. In Schweden wurden letzten Winter demnach 8.000 Grippeerkrankungen nachgewiesen, in der Saison zuvor waren es 14.000. In Schweden, einem Land mit rund zehn Millionen Einwohnern, starben bislang 5.865 Personen an Covid-19.

Der 64-jährige Mediziner Tegnell gilt als Architekt des schwedischen Sonderwegs, bei dem im Frühjahr ein Lockdown vermieden wurde und Schulen wie Restaurants offen blieben. Heute verzeichnet das Land geringere Fallzahlen, während es in anderen europäischen Ländern zu neuen Ausbrüchen kommt. Die geringere Infektionsrate führt der Beamte des schwedischen Gesundheitsamts als Beweis für eine teilweise Immunisierung der Bevölkerung an, das schwedische Modell sei vorbildhaft für anderen Staaten.

Wären da nur nicht die hohen Todeszahlen. Und wäre da nicht das Nachbarland Norwegen, wo über fünf Millionen Menschen leben, und die Zahl der Toten bei gerade mal 265 liegt. Diese Woche trat Norwegens erster Virologe Frode Forland erstmals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen SVT auf – und Tegnells Theorie mit der Grippe ist eine Reaktion auf Forland. Der harte Lockdown im März, das Glück mit dem richtigen Timing sowie der effektive Schutz der Alten und Kranken habe zu der relativ geringen Anzahl von Toten geführt, erklärte der Facharzt des norwegischen Gesundheitsamts dem schwedischen Publikum.

Widerspruch von den Nachbarn

Forland sowie Mika Salminen, Chef des finnischen Instituts für Gesundheit und Wohlfahrt, halten Tegnells Argumentation mit der Grippe nicht für überzeugend. Die milde Grippesaison könne einen Einfluss haben, jedoch nicht den großen Unterschied der Todesraten zwischen Schweden und ihren Ländern erklären, so ihre Replik am Freitag. In Finnland wurden bislang 339 Todesfälle mit Covid-19 registriert.

Lange verwies Tegnell auf die schwierigen Verhältnisse in schwedischen Pflegeheimen als Grund für die vielen Toten – so wurden innerhalb von 20 Jahren 30 Prozent der kommunalen Altersheime abgeschafft. Auch sind die Pfleger zu einem großen Teil schlecht bezahlte Migranten, die in beengten Verhältnissen wohnen, wo sich das Virus rasch ausbreiten kann.

Allerdings trägt auch hier das Gesundheitsamt eine gewisse Verantwortung – bislang lehnen die Experten eine Maskenpflicht etwa in den öffentlichen Verkehrsmitteln ab, da sie angeblich ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelten. Eine Maskenempfehlung für das Pflegepersonal wurde erst im Mai erteilt. In Interviews mit ausländischen Medien kündigte Tegnell den baldigen Beweis an, dass der Weg seines Landes der bessere sei. „Letztendlich werden wir sehen, was es bedeutet, eine nachhaltigere Strategie zu haben, die Sie über einen längeren Zeitraum beibehalten können, anstatt einer Strategie, bei der Sie immer wieder herunterfahren, lockern und herunterfahren.“

Bohlen
19. September 2020 - 13.12

Die vielen Toten? Ich dachte der schwedische 'Sonderweg' sei das einzig Wahre obschon sie ein Dutzend Mal mehr Tote als Nachbar Norwegen haben und ein halbes Dutzend mal die Anzahl des Nachbars Dänemark. Wahrscheinlich ist's weil sie etwas weiter vom Äquator weg sind.