Freitag14. November 2025

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ForumWelche Präsenz ist besser? – Michael Jäckel zum Verhältnis von KI und Hochschulbildung

Forum / Welche Präsenz ist besser? – Michael Jäckel zum Verhältnis von KI und Hochschulbildung
 Symbolfoto: dpa/Fredrik von Erichsen

Manchmal erinnert die Diskussion um die Frage, was das Studium heute ausmacht, an eine Passage aus „Americana“. In diesem ersten Roman des US-Schriftstellers Don DeLillo aus dem Jahr 1971 fällt bei einem Lagerfeuer-Dialog der Satz: „Er hat gesagt, alle neuen Universitäten würden nur noch aus einem kleinen Raum bestehen […].“ Damals sollte zu Beginn eines jeden Semesters das Lehrpersonal auf Video und die Studentenschaft ebenso aufgezeichnet werden. Beide sollten sich dann schon finden. Heute würde dort wohl „Irgendetwas mit KI“ passieren. Beides natürlich eine Übertreibung, aber nicht fern jeglicher Realitätsnähe. Neugierde gehörte immer schon zur Wissenschaft, das Fragen und das Antworten auch. Aber so bequem – und deshalb verlockend – war es wohl selten.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Wissenschaft an die „handwerklichen Elemente“ ihres Tuns zu erinnern. Denn ihre Technologie-Verbundenheit hat ein Niveau erreicht, das das Maschinelle mehr und mehr über das Kreative setzt. Die Psychologie lebt von experimenteller Fantasie, die Geobotanik von Beobachtungen in der Natur, die Sprachwissenschaft vom aktiven Umgang mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort. Wir entwickeln Modelle, um uns komplexe Abläufe zu veranschaulichen. Aber gegenwärtig dreht sich im Falle von Wissenschaft sehr viel um maschinelles Lernen. Beim Wettlauf um das Agenda-Setting hat dieses Thema gewonnen.

Lehren und Forschen auf dem Campus

Wer einen Ausflug in die Geschichte des Computerzeitalters macht, stößt dort auf interessante Metaphern. Ein deutscher Informatik-Pionier, Klaus Haefner, sprach in den 1980er Jahren zum Beispiel von dem Computer als „Denkzeug“, um zu veranschaulichen, dass er mehr als ein Werkzeug ist. Ein französischer Philosoph, Jean-François Lyotard, hatte noch etwas früher in einem Gutachten von den „intelligenten Terminals“ gesprochen, die eine neue Ära des wissenschaftlichen Arbeitens einleiten. Die analogen Techniken des Bibliografierens und Durchforstens von wenig benutzerfreundlichen Zettelkästen bekamen erste Komfortelemente zur Seite gestellt. Dazu hatte neben der Universität gleichwohl kaum jemand eine eigene Infrastruktur. Das Lehren und Forschen spielte sich überwiegend auf dem Campus ab. Das Bild der „Anwesenheitsinstitution“ resultierte so gesehen aus einem Muss und einem allgemeinen Grundverständnis des akademischen Alltags. Ich muss da hin.

Dieses Verständnis ist heute alles andere als übereinstimmend und von Konsens getragen. Jedenfalls gibt es den Studierenden heute nicht. Wir beobachten unterschiedliche Ausgangsbedingungen und unterschiedliche Ansprüche. Dabei wird die Erwartung, die Reputation einer Hochschule stünde im Vordergrund der Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Standort, durch die Empirie eher enttäuscht. In aktuellen Befragungen zur Studienwahl steht natürlich das fachliche Interesse an erster Stelle, aber viele suchen dafür einen Standort in der Nähe auf. Die „Nähe zu Familien und Freunden“ ist also nicht nachrangig geworden. Deshalb gehört die Bewerbung der Attraktivität eines Standorts zu jenen Vorzügen, die im Studierendenmarketing nicht fehlen dürfen. Numerus-Clausus-Fächer hingegen sorgen für eine breite Streuung der Nachfrage über die Bundeslandgrenze hinaus.

Aktuell aber beunruhigt ein anderes Phänomen. Es wird zuweilen mit dem Begriff „Campusflucht“ umschrieben und offenbart ein anderes Bild des Studierens. Zunächst erinnert es an die Folgen der Corona-Pandemie für den Universitätsalltag. Die forcierte Umstellung auf digitale Lehre hat zwar nach dem Abflauen dieser Herausforderung zahlreiche Bekenntnisse zur Präsenzlehre ausgelöst. Aber in der Praxis hat sich eine diffuse Mischung aus der Hochschule/Universität als Ort und Nicht-Ort ergeben. Bildschirme bestimmen zunehmend das Studium, zahlreiche Tools leisten dabei Hilfestellung. Vielleicht müsste man sagen: Etwas mehr Begegnung als Entgegnung wäre nicht schlecht.

Aber zunächst muss auch festgestellt werden: Es gibt viele gute Beispiele engagierter Lehre, die das Beste aus beiden Welten (analog/digital) zusammenführen. Trotzdem sollte es auch wieder mehr um die Wiederbelebung von Präsenz im klassischen Sinne gehen. Ebenso steht außer Frage, dass in vielen Bereichen KI einen Fortschritt in der Durchdringung von Problemen – in der Medizin, der Biotechnologie im weiteren Sinne, im Ingenieurwesen usw. – ermöglicht. Aber es muss seinen Grund haben, dass Verbotsforderungen von KI im akademischen Unterricht vorhanden sind, so unlängst in einem Offenen Brief niederländischer Professorinnen und Professoren artikuliert. Die Rede ist von einem Angriff auf die wissenschaftliche Integrität. Basiskompetenzen, die einen kritischen Umgang mit KI-generierten Ergebnissen gewährleisten, werden vermisst. Man weiß, dass zur Kompetenz-Einlasskarte in das 21. Jahrhundert die Fähigkeit zur klugen Begehung des akademischen Territoriums gehört.

Die analoge Welt meldet sich (partiell) zurück

So sorgt sich die Sprach- und Literaturwissenschaft um ein Überhandnehmen des Erstellens von Texten durch Maschinen und den Verzicht auf eigenständig erarbeitete Formulierungen. Die Informatikwissenschaften legen nach wie vor großen Wert auf das eigenständige Erlernen des Programmierens, und zwar kontinuierlich. KI-basierte Assistenzsysteme greifen immer mehr in den Studieralltag ein, unterstützen bei der Vorbereitung von Veranstaltungen und begleiten die Nachbearbeitung durch Tutorsysteme. Das wirkliche Verständnis soll aber unter Ausschluss von KI in Prüfungsformaten nachgewiesen werden. Die analoge Welt meldet sich (partiell) zurück.

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Jäckel war von 2011 bis 2023 Präsident der Universität Trier. Er war und ist in mehreren bundesdeutschen Gremien, die sich mit der Digitalisierung des Hochschulwesens befassen, engagiert. Seit Mai 2024 ist er Sprecher des Leitungsgremiums des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (www.vcrp.de). Der VCRP wurde im Jahr 2000 gegründet und feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum.
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Jäckel war von 2011 bis 2023 Präsident der Universität Trier. Er war und ist in mehreren bundesdeutschen Gremien, die sich mit der Digitalisierung des Hochschulwesens befassen, engagiert. Seit Mai 2024 ist er Sprecher des Leitungsgremiums des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (www.vcrp.de). Der VCRP wurde im Jahr 2000 gegründet und feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Foto: Editpress/Julien Garroy

Daraus ergibt sich wohl auch ein anderes Verständnis von digitalem Analphabetismus. Es kann damit heute nicht mehr nur die fehlende Kompetenz in einer IT-Welt gemeint sein, die jeden Nutzer mehr und mehr umzingelt. Es muss auch bedeuten, dass analoge Kompetenzen verkümmern, weil sie immer seltener praktiziert werden. Dazu gehört das Schreiben, das Didaktische, das Lernen vor Ort. Eine digitale Souveränität macht daher ohne ein analoges Pendant wenig Sinn.

Vielleicht besteht ja in der Überdehnung der digitalen Komponente eine Chance zur Wiederbelebung der Vorort-Erfahrungen. Das entbindet die Hochschulen nicht von gezielten Investitionen in eine KI-Grundversorgung. Die Herausforderungen der Digitalisierung löst man letztlich nicht durch die permanente Zuschreibung eines Projektstatus, sondern durch die Einhegung ihrer Omnipräsenz zum Wohle der Fantasie, für die sie gut sein soll.