Markus ReisnerWas jetzt geschehen muss, um Russland zurückzuschlagen – Ein Militärexperte im Interview

Markus Reisner / Was jetzt geschehen muss, um Russland zurückzuschlagen – Ein Militärexperte im Interview
Schwarzer Rauch über einem beschossenen Treibstofflager in Lyssytschansk – die russische Offensive im Osten der Ukraine hat begonnen Foto: AFP/Ronaldo Schemidt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die russische Armee holt im Osten der Ukraine zur zweiten großen Offensive aus. Gleichzeitig scheuen westliche Staaten vor weiteren Waffenlieferungen an Kiew zurück. Markus Reisner, Oberst an der Theresianischen Militärakademie in Österreich, analysiert als Militärexperte im Interview die Lage. 

Tageblatt: Russland hat seine Strategie in der Ukraine geändert und eine Offensive zur Einnahme des Ostens gestartet. Was braucht die Ukraine vom Westen an Waffen, um den Angriff auf den Donbass zurückzuschlagen?

Markus Reisner: Die Waffen, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für sein Land fordert, müssten jetzt schon da sein, um rechtzeitig zum Kampf gegen die russische Offensive zum Einsatz kommen zu können. Das sind sie aber nicht. Die Ukrainer stehen im Donbass fast genauso da wie am 24. Februar zu Beginn der russischen Invasion – nur sind sie abgenutzter. Sie haben zwar Waffensysteme bekommen, darunter amerikanische Switchblade-Drohnen, diese sogenannten Kamikaze-Drohnen, von denen alle hoffen, dass sie wieder für Überraschungen sorgen, aber sie brauchen vor allem schwere Waffen – und damit genau jene Waffensysteme, die in den vergangenen Wochen zerstört worden sind: alles, mit dem Gegenangriffe durchgeführt werden können. Dazu zählen Panzer und Artilleriegeschütze, aber auch Luftabwehrsysteme.

Warum sind die Luftabwehrsysteme so wichtig?

Die russischen Streitkräfte haben seit dem 24. Februar rund 1.600 Marschflugkörper und ballistische Raketen gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt und Depots, Kasernen, Treibstoff- und Munitionslager usw. zerstört. Sie sind in der Lage, alle Ziele in der Ukraine zu beschießen, die sie auch treffen wollen. Wenn die Russen wollen, schicken sie morgen zehn Iskander-Raketen auf das Regierungsviertel in Kiew. Einfach so, weil sie es können. Diese Angriffe sind nur möglich, weil die Ukrainer kaum mehr eine funktionierende Luftabwehr haben. Und ohne Luftabwehr, das ist die bittere Wahrheit, lässt sich dieser Krieg für die Ukraine langfristig nicht gewinnen.

Wie lange halten die Ukrainer noch durch? Sie verschießen ja offenbar viel mehr, als sie geliefert bekommen.

Die Ukraine hat die stärkste Streitkraft Europas: fast 260.000 Mann, fast 2.500 Panzer. Zu Beginn der russischen Invasion hatten sie alles, was nötig ist, um einen Luftraum nachhaltig zu verteidigen. Aber in den letzten Wochen haben wir eine Abnutzung der ukrainischen Seite gesehen. Ich habe schon von Beginn an von vier Kernproblemen gesprochen. Das erste, Kiew, haben die Ukrainer für sich entschieden. Jetzt sind wir beim zweiten Problem, dem Donbass. Heute (Dienstag) ist der 55. Tag des Krieges und wir sehen eine Abnutzung auf beiden Seiten, die aber bei den Ukrainern massiver ist. Jeder Einschlag russischer Marschflugkörper und Raketen zerstört ukrainisches Gerät.

In welche Richtung wird sich der Krieg die kommenden Tage entwickeln?

Im Donbass haben sich die Ukrainer seit 2014 auf einen solchen Konflikt vorbereitet. Es gibt Verteidigungslinien in drei Stellungssystemen in der Tiefe gestaffelt, darunter betonierte Bunker und alles, was man eigentlich noch aus dem Ersten Weltkrieg kennt. Das hilft, den russischen Angriff zu ertragen. Aber wenn die Russen jetzt massiv angreifen, mit massivem Artillerieeinsatz wie in Verdun 1916, dann kann man ihren Vormarsch zwar verzögern, aber der Artillerie kann man kaum etwas entgegensetzen, wenn nicht die richtigen Waffensysteme geliefert werden. Die schweren Waffensysteme haben es bisher nicht bis in den Donbass geschafft, sie wurden spät angekündigt und teils noch nicht geliefert.

Kraterlandaschaften: Ukrainische Positionen nahe der Kontaktlinie im Donbass
Kraterlandaschaften: Ukrainische Positionen nahe der Kontaktlinie im Donbass Foto: Screenshot/Telegram

Können Waffen wie die amerikanischen Switchblade-Kamikaze-Drohnen etwas ändern?

Es kann sein, dass die Switchblade-Drohnen den Unterschied machen. Sie sind leicht hineinzubekommen und können versteckt geliefert werden. Die Straßen sind ja noch frei. Eine Switchblade-Drohne kann in relativ kleinen Kisten verpackt auf einen zivilen Lkw geladen werden. Wenn sie zu Tausenden und kombiniert mit anderen Waffen zum Einsatz kommen, können sie zu einem Abwehrerfolg beitragen – von Rückeroberung ist da aber nicht die Rede, denn dazu braucht man schwere Waffen. Schweres Gerät wie Panzer müssen aber per Eisenbahn transportiert werden. Und die Russen versuchen seit zwei Wochen gezielt, die Eisenbahnlinien und andere Versorgungslinien abzuschneiden, damit die Ukrainer nichts mehr in den Osten ihres Landes bekommen. Das war die Vorbereitung der Donbass-Offensive. Jetzt sehen wir den Übergang zur Entscheidungsphase mit dem Versuch, Schritt für Schritt vorzukommen.

Wollen wir als westliche demokratische Wertegemeinschaft akzeptieren, dass sich ein autoritäres Regime einfach ein Stück des Kuchens nimmt, oder nicht? Wenden wir uns ab oder ziehen wir eine Grenze und verteidigen diese?

Das klingt alles sehr pessimistisch. Kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen?

Dazu müsste man einen „Sieg“ exakt definieren. Wenn er bedeutet, dass die Ukraine die Russen vollständig aus dem Land zurückdrängt, dann wäre das ein totaler Sieg und eine totale Niederlage für die Russen. Selenskyj definiert den Sieg genau so. Das wird sehr schwer werden. Aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen kann man aber für den Donbass sagen: Es steht 50/50, dass es der Ukraine gelingt, den Vormarsch der Russen dort zu stoppen.

Besonders Deutschland wird ein zögerliches Handeln vorgeworfen. Was kann Europa bei den Waffenlieferungen leisten?

Es gibt in Europa zwei Lager. Die Briten, Balten, Polen und Niederländer sagen, wir müssen die Ukraine massiv unterstützen, koste es, was es wolle. Das andere Lager zweifelt immer noch daran, dass die Ukraine den Krieg für sich entscheiden kann, denkt schon an die Nachkriegsordnung und will nicht alle wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abbrechen. Dazu gehören die Deutschen, aber auch Frankreich zählt dazu. Die zieren sich, diese Waffen zu liefern. In Deutschland heißt es auch, die Marder-Schützenpanzer kämen ohnehin zu spät, denn es müssten ja noch Leute ausgebildet werden. Und sogar die Briten, die zurzeit vorpreschen, tun sich schwer. Bis man eine britische Panzerhaubitze mit dem Schiff nach Polen und dann über Land bis in die Ukraine gebracht hat und schließlich in den Donbass, sind Wochen, wenn nicht Monate vergangen.

Aber der Westen hat schon viele Waffen geliefert. Helfen sie nicht?

Wir haben eine hohe Anzahl an Waffen kleinerer Bauart wie Fliegerabwehrlenkwaffen und Panzerabwehrwaffen geliefert, die man relativ leicht und unerkannt ins Land bringen kann – auch wenn die Russen uns schon gezeigt haben, dass sie das unterbinden können. Zahlreiche Länder waren bereit, viel von diesen Waffen herzugeben. Die ersten Stimmen mahnen aber schon: Wir sollten nicht zu viel an die Ukraine liefern, weil wir dann selbst nichts mehr haben – und wer weiß, was noch kommt.

Und die schweren Waffen? Die Slowakei hat S-300-Luftabwehrsysteme geliefert, die Tschechen haben Panzer geschickt – kamen die bereits zum Einsatz?

Es ist noch kein einziges Kampfflugzeug in der Ukraine gelandet. Die Tschechen haben einen Zug mit etwa zehn Panzern und nochmal so viele Schützenpanzern in Bewegung gesetzt, der angekommen sein soll, aber über die Ankunft in der Ukraine wissen wir nichts – und irgendwer sollte eigentlich bereits ein Video davon gemacht haben. Artilleriesysteme wurden bisher auch nicht in großen Stückzahlen geliefert. Wenn es auch die Absicht gibt, im Einsatz haben wir das noch nicht gesehen. Ein Fliegerabwehrsystem, also etwa das S-300-System, das die Slowaken geliefert haben sollen, haben wir auch nicht im Einsatz gesehen – auch, wenn die Russen behaupten, dass sie einen Teil davon zerstört hätten. Dazu muss man wissen: Vor Kriegsbeginn hatten die Ukrainer knapp 250 Stück dieser S-300-Systeme. Das eine slowakische macht keinen großen Unterschied. Trotzdem: Das Ausmaß der Unterstützung ist vor allem eine moralische Frage. Wollen wir als westliche demokratische Wertegemeinschaft akzeptieren, dass sich ein autoritäres Regime einfach ein Stück des Kuchens nimmt, oder nicht? Wenden wir uns ab oder ziehen wir eine Grenze und verteidigen diese?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: an der Seite der Ukraine in den Krieg eintreten – oder zuzuschauen, bis eine der Seiten eine Entscheidung für sich herbeiführt

Was können wir tun, um Putins Truppen zu stoppen?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten. An der Seite der Ukraine in den Krieg eintreten – doch das will keiner, weil es verheerend wäre. Oder zuzuschauen, bis eine der Seiten eine Entscheidung für sich herbeiführt oder es zu einer Wende kommt. Wir nennen das im Militär „Catch 22“: Es ist eine Situation, die man kaum auflösen kann. Dazu kommt, dass Russland über Nuklearwaffen verfügt. Das war in Afghanistan, im Irak und in anderen Konflikten nicht so. Saddam Hussein hätte maximal chemische Waffen einsetzen können.

Die Russen haben von Beginn an versucht, die Ukrainer im Donbass einzukesseln. Das ist bisher nicht gelungen. Stehen die Chancen jetzt mit dem Fokus auf den Osten höher?

Am Beginn hatten wir vier Fronten: Kiew, Sumy/Charkiw im Nordosten, den Süden sowie den Osten an der Kontaktlinie. Im Süden hatten die Russen Erfolg. Im Osten gibt es aus russischer Sicht das Problem, dass sie massiv in die Verteidigungsstellungen der Ukrainer hineingelaufen sind. Am Anfang haben sie durch kurze Zangenbewegungen versucht, die Ukrainer einzukesseln. Das hat im Süden funktioniert, wo sie sich in Mariupol verbissen haben, aber nicht im Osten. An der Nordfront bei Kiew und östlich davon in Sumy und Charkiw gab es zwei massive Rückschläge: Die Luftlandung in Kiew ist nicht gelungen und Charkiw hat sich nicht ergeben, wie man erwartet hatte. Die Russen haben erkannt, dass das nicht funktioniert und alle Kräfte in den Donbass im Südosten verlegt. Die Truppen aus Kiew sind innerhalb weniger Tage tausend Kilometer von Kiew in den Donbass verlegt worden. Jetzt wird alles auf eine Karte gesetzt. Die Russen brauchen einen Erfolg im Donbass. Sonst tun sie sich bald schwer, zu argumentieren, dass sie starke und fähige Streitmächte haben. Diese Bild haben sie ja nun in den letzten zwanzig Jahre entstehen lassen. Es steht auf der Kippe.

Eine Einkesselung ist also wahrscheinlicher geworden?

Die russischen Streitkräfte stehen in einer guten Position. Ich warne davor, den Gegner kleiner zu machen, als er ist. Das ist auch nicht im Sinne der Ukraine, denn wenn wir die Russen für dilettantisch halten, sind wir weniger bereit, die Ukrainer zu unterstützen. Der Kampf um Mariupol ist vorbei, da geht es nur noch um das Stahlwerk und das bindet kaum russische Kräfte. Vor zwei Wochen haben die Russen begonnen, ihr schweres Gerät von Mariupol abzuziehen und in den Norden zu verlegen, um sich auf die Süd-Zangenbewegung vorzubereiten. In Mariupol sind jetzt Tschetschenen unterwegs, die im Häuserkampf mit Unterstützung der russischen Luftwaffe die letzten ukrainischen Soldaten niederkämpfen. Jetzt fallen dort Bomben mit 1.500 Kilogramm Sprengstoffgewicht. Die räuchern die Menschen dort, entschuldigen Sie die Formulierung, einfach aus. Sie haben ja alle Zeit der Welt. Irgendwann geht den Ukrainern die Munition aus. Die Einnahme von Mariupol werden die Russen als großen Sieg verkaufen.

Wie viele ukrainische Soldaten sind in dem Gebiet, das die Russen einkesseln wollen?

Da dürften sich 30.000 bis 35.000 Soldaten im Donbass verschanzt haben. Das größte Problem ist aber, dass in diesen Gebieten, die wir hier so technisch beschreiben, Hunderttausende Zivilisten leben, die alle eingekesselt wären. Das ist eine humanitäre Katastrophe. Die Bevölkerung wurde bisher schon durch den schnellen Vormarsch der Russen in ihren Städten eingekesselt, etwa in Mariupol, zum Teil auch in Charkiw. Dieses Szenario droht nun erneut, nur in einem noch größeren Maßstab.

Muss Putin, um so viele ukrainische Soldaten in einer Verteidigungsposition zu besiegen, nicht ein Vielfaches an eigenem Militär einsetzen?

Es wird ein Abnutzungskampf, dessen Ausgang von mehreren Faktoren beeinflusst wird. Der Kampfgeist der Ukrainer ist inzwischen legendär. Aber wie stark kann deine Kampfmoral ausgeprägt sein, damit du bereit bist, auch unter dem größten Leiden weiterzukämpfen? Da hat jeder einfach irgendwo einen Moment, an dem er einbricht. Sie sehen das zurzeit bei den Angehörigen des Asow-Bataillons und der ukrainischen Marineinfanterie in Mariupol, die sich zu Hunderten ergeben, wie man in russischen Propaganda-Videos sieht. Irgendwann kann der Mensch nicht mehr, selbst die größte Tapferkeit und Moral lassen das nicht zu. Das wird das Problem der Ukrainer. Doch auch die russische Seite hat eines: Wenn die Russen diese Soldaten im Donbass einkesseln, muss die Zangenverbindung nach außen wie nach innen gesichert werden. Das ist, militärisch gesehen, das klassische Problem von Kesseln: dass es einen möglichen Ausbruch gibt oder einen Angriff von außen auf die Umzingelung.

Die Russen dürften aber jetzt besser vorbereitet und auf gewisse Art auch vorgewarnt sein.

Beides stimmt. Das sieht man in der Kampfführung. Nachdem sie am Anfang im Raum Kiew schwere Verluste erlitten haben, sind sie verbittert. Und sie wissen, dass die Ukrainer nicht zu unterschätzen sind. Wir erkennen das klar am Einsatz der Waffensysteme. Dieses massive Artillerie- und Mehrfachraktetenwerfer-Feuer, das der Abnützung des Gegners dient, haben wir in den ersten Wochen des Krieges so massiv nicht gesehen. Das hätten die Russen damals schon machen können. Auch die Art, wie die Kräfte eingesetzt werden, hat sich verändert: Am Anfang sind sie sehr schnell reingefahren, weil sie dachten, das funktioniert, lieferten damit aber ihre Versorgung Hinterhalten aus. Aus rein militärischer Sicht schätze ich die Russen in ihrer Angriffsweise jetzt stärker, da überlegt vorgehender ein. Aber die Ukrainer haben uns bereits ein paar Mal überrascht – es könnte also durchaus sein, dass sie auch diesen Kampf um den Donbass wieder für sich entscheiden. Das wird sich alles bald zeigen. Würde zum Beispiel der russische General Alexander Dwornikow, der alle Einheiten führt, von einer Switchblade-Drohne in seinem Gefechtsstand getroffen und getötet, könnte Chaos entstehen. Die Russen, immer sehr zentralistisch organisiert, wissen nicht, was zu tun ist, die Ukrainer nützen das und die Geschichte ist erledigt und es werden in Zukunft Bücher darüber geschrieben werden. Oder die Russen schaffen einen Durchbruch und auf der ukrainischen Seite entsteht Panik und alle rennen davon. Das kann von einem Moment auf den anderen kippen – aber jetzt schauen wir in einen Nebel hinein und wir wissen es nicht.

Wie lange werden wir über diese Kesselschlacht sprechen?

Der 9. Mai, der Tag der russischen Militärparade, bleibt ein wichtiger Termin. Die Russen könnten dann die Befreiung Mariupols und die Inbesitznahme des Donbass feiern. Daraus ließe sich ein Narrativ aufbauen, in dem man behauptet, das wären immer die vorrangigen Ziele gewesen, und jetzt beginne man gnädigerweise zu verhandeln. Wenn sie das nicht schaffen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es wird verheerend für die russische Armee und dann bin ich mir nicht sicher, wie es weitergeht, dann sind auch Auflösungserscheinungen nicht mehr auszuschließen. Oder die extreme Leidensfähigkeit der Russen kommt zum Tragen und auch enorme Verluste werden akzeptiert. Darauf zielt zurzeit ein Teil der innerrussischen Propaganda ab. Ich betone es immer wieder: Schauen sie sich die russischen Medien an, da sind wir im Narrativ des Großen Vaterländischen Krieges. Wir sehen es auf den Bildern von Russen, die in eroberten Gebieten wie jüngst in Cherson eine sowjetische Flagge hissen – das ist nicht irgendeine Flagge, sondern die von jener Einheit, die den Reichstag in Berlin 1945 eingenommen hat. Das machen sie nicht aus Zufall oder Jux und Tollerei. Das sind auch keine verkappten Kommunisten. Das ist ein Zeichen, ein Zeichen an die eigene Bevölkerung: Wie damals gegen Nazi-Deutschland geht es um alles, wir müssen das tun!

Flaggen-Propaganda: Russische Soldaten hissen die Flaggen von jener Einheit der Sowjetarmee, die 1945 den Reichstag in Berlin eingenommen hat
Flaggen-Propaganda: Russische Soldaten hissen die Flaggen von jener Einheit der Sowjetarmee, die 1945 den Reichstag in Berlin eingenommen hat

Wie geht es also weiter?

Wenn Sie sich die Videos vom Beschuss im Donbass der letzten Tage anschauen: Wir haben keine Vorstellung davon, was das für die Zivilbevölkerung bedeutet. Ich hoffe demnach vor allem, dass es irgendwann eine Verhandlungslösung gibt. Das würde den Zivilisten Luft zum Atmen geben. Die ukrainische Armee würde dann über die kommenden Wochen wieder hochgerüstet und es könnte den nächsten Waffengang geben. Dafür wären die schweren Waffen möglicherweise rechtzeitig da. Jetzt, für den Donbass, sehe ich das wie bereits gesagt nicht. Ich hoffe auf die Kampfmoral der Ukrainer. Wenn sie das für sich entscheiden würden, könnte es sein, dass sich die Russen zurückziehen und ein neues Narrativ streuen: Wir haben die Entnazifizierung durchgezogen und ziehen uns jetzt zurück. Aber es wurde schon so viel Schaden angerichtet, dass niemand weiß, wie es danach weitergehen könnte.

Militärexperte Markus Reisner im Zoom-Gespräch mit dem Tageblatt
Militärexperte Markus Reisner im Zoom-Gespräch mit dem Tageblatt Foto: Screenshot

Ist bei einer Niederlage der Russen im Donbass mit weiteren Massakern an Zivilisten zu rechnen, wie wir sie in Butscha gesehen haben?

Sie sprechen das Unaussprechliche aus. Wenn die Russen noch einmal verheerende Verluste bekommen, befürchte ich Schlimmes … Die Ukrainer sind verzweifelt, die Russen sind verbittert. Und Verbitterung und Verzweiflung sind eine toxische Mischung, das hat uns die Geschichte gelehrt. Die Russen können auf ihrem Rückzug verbrannte Erde hinterlassen, wie das die deutsche Wehrmacht in Russland getan hat. Sie können eine Ortschaft nach der anderen dem Erdboden gleichmachen. Das Leid ist ihnen mittlerweile komplett egal. Sie haben kein Mitleid. Aus ihrer Sicht hatten die Ukrainer eine Chance, sich zu fügen. Diese Zeit ist nun vorbei.