London„Was haben Sie zu verbergen?“- Boris Johnson, Covid und kein Ende

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Rishi Sunak verweigert mit dem Hinweis auf die Privatsphäre von seinem Vorgänger Boris Johnson der unabhängigen Covid-Untersuchungskommission die Herausgabe von Kurznachrichten
Rishi Sunak verweigert mit dem Hinweis auf die Privatsphäre von seinem Vorgänger Boris Johnson der unabhängigen Covid-Untersuchungskommission die Herausgabe von Kurznachrichten Foto: AFP

Muss Boris Johnson seine Textnachrichten der unabhängigen Covid-Untersuchungskommission offenlegen? Sehr viele Briten beantworten die Frage mit einem klaren Yes. Der Ex-Premier aber gibt sich „völlig gelassen“.

Was bedeutet „zweifelsfrei unerheblich“? Und können Textnachrichten eines amtierenden Regierungschefs auf Plattformen wie WhatsApp oder Signal jemals in diese Kategorie fallen? Diese Fragen muss demnächst der Londoner High Court beantworten. Die konservative Regierung von Rishi Sunak verweigert nämlich mit dem Hinweis auf die Privatsphäre von Sunaks Vorgänger Boris Johnson der unabhängigen Covid-Untersuchungskommission die Herausgabe solcher Kurznachrichten. Dabei gibt sich der Ex-Premier „völlig gelassen“ und bietet Untersuchungsführerin Heather Hallett seine umfassende Hilfe an.

Was anderswo parlamentarische Ausschüsse erledigen, ist in Großbritannien häufig unabhängigen Kommissionen unter der Leitung pensionierter Höchstrichterinnen oder Spitzenbeamter vorbehalten. Die Ex-Appellationsrichterin Hallett leitete bereits die Untersuchung der Bombenanschläge islamistischer Terroristen in London 2005. Kritiker stoßen sich am langwierigen und kostspieligen Vorgehen vieler Untersuchungsgremien. Beispielsweise hat die Kommission zur Aufklärung der Umstände des katastrophalen Brands im Londoner Grenfell Tower im Juni 2017 bis heute kein Ergebnis vorgelegt. Baronin Hallett will bis 2026 öffentliche Anhörungen durchführen, ihr Schlussbericht dürfte also noch mindestens fünf Jahre auf sich warten lassen.

Es könnte Peinliches zu Tage treten

Warum die Regierung die Sache nun weiter verzögern will, beschäftigte am Freitag viele Medien auf der Insel. „Was haben Sie zu verbergen, Herr Premierminister?“, fragte der Independent an Sunaks Adresse gewandt. Das Magazin Spectator sucht die Schuld eher bei Spitzenbeamtinnen wie dem Kabinettssekretär Simon Case. Denen sei womöglich peinlich, was die umfassende Veröffentlichung der WhatsApp-Nachrichten aus der Anfangsphase der Pandemie im Frühjahr 2020 zutage fördern würde.

Offenbar wollen Beamte und Minister einmal höchstrichterlich klären lassen, wie viel Offenheit ihnen auferlegt ist. Die Chance auf einen Sieg vor Gericht halten die meisten Fachleute für ebenso gering wie Wissenschafts-Staatssekretär George Freeman: „Die Gerichte werden wohl zugunsten von Baronin Hallett entscheiden.“ Das sei schon deshalb wahrscheinlich, glaubt der frühere Leiter der Rechtsabteilung im Kabinettsbüro, Jonathan Jones, weil Hallett ja keineswegs alle Kurznachrichten veröffentlichen will. Ihre Kommission beharrt lediglich darauf, man sei selbst dazu in der Lage zu beurteilen, welche Unterlage sich als „zweifelsfrei unerheblich“ (unambiguously irrelevant) herausstellt.

Johnson selbst spielte diese Woche den Unschuldigen: Er werde sämtliche verfügbare Kommunikation einschließlich seiner WhatsApp-Einlassungen ungeschwärzt übergeben. Wie häufig bei dem begnadeten Selbstdarsteller gab es freilich einen Pferdefuß: Die Offenheit des 58-Jährigen bezieht sich lediglich auf den Zeitraum nach dem April 2021, als die meisten hochumstrittenen Entscheidungen längst gefallen waren. Zuvor benutzte der damalige Premier nämlich ein Mobiltelefon, das er auf Anweisung der Geheimdienste stilllegen musste. Es sei „seither nicht wieder angestellt worden“, erläuterte der Politiker, der offenbar der Speicherung seiner Kurznachrichten auf einer Cloud nicht zugestimmt hatte.

Steht auch Sunaks Ansehen auf dem Spiel?

Die Angehörigen der mehr als 226.000 britischen Covid-Toten finden die ganze Verzögerung jedenfalls ärgerlich. Sprecherin Rivka Gottlieb munkelt bereits, es gehe um Details, „die Rishi Sunaks Ansehen zerstören würden“.

Der damalige Finanzminister galt eher als Skeptiker der strikten Lockdown-Bestimmungen, die aus heutiger Sicht teilweise überzogen wirken. An vielen Entscheidungen war er aber wie die meisten seiner Kabinettskolleginnen gar nicht beteiligt. Vielmehr rang Premier Johnson meist mit seinem Chefberater Dominic Cummings, den beiden Wissenschaftlern Patrick Vallance und Christopher Whitty und dem Gesundheitsminister Matthew Hancock um das beste Vorgehen gegen Sars-CoV-2.

Hancocks vertrauliche Daten sind der Öffentlichkeit bereits bekannt. Im März veröffentlichte der Daily Telegraph die WhatsApp-Nachrichten aus dem Zentrum der Regierung während der schlimmsten Phase der Covid-Pandemie, als Politiker und Wissenschaftler rangen. Seither wissen die Briten nun, dass Johnson nicht zwischen Prozent- und Wahrscheinlichkeitsrechnung unterscheiden konnte und Kabinettssekretär Case sich über jene Reisenden lustig machte, die ihre Quarantäne in winzigen Hotelzimmern verbringen mussten.