Mittwoch12. November 2025

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Analyse von außenWas ein Klimaabkommen zwischen China und der EU für die Welt bedeuten könnte

Analyse von außen / Was ein Klimaabkommen zwischen China und der EU für die Welt bedeuten könnte
Ein Arbeiter fertigt in einer Fabrik in der Provinz Jiangsu Teile für Windkraftanlagen. 2024 hat China rund 400 Gigawatt an Solar- und Windenergie installiert – mehr als die Hälfte der weltweiten Gesamtleistung. Foto: AFP/China OUT

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In der Regel hört man zwei Geschichten über China und den Klimawandel. Die erste besagt, dass China bei den Treibhausgasemissionen weltweit führend ist, da es immer mehr Kohlekraftwerke baut. Die zweite besagt, dass China weltweit führend bei der Entwicklung sauberer Technologien ist, die es allen Ländern ermöglichen werden, ihre Volkswirtschaften zu weitaus geringeren Kosten zu dekarbonisieren, als dies noch vor fünf oder zehn Jahren möglich schien.

Beides stimmt, und die öffentliche Politik in China und der übrigen Welt muss diese Realität widerspiegeln. Im Jahr 2022 lagen Chinas Treibhausgasemissionen bei 15,7 Gigatonnen, also weit über den sechs Gigatonnen der USA oder den 3,6 Gigatonnen der Europäischen Union. Auch wenn diese absoluten Zahlen Chinas viel größere Bevölkerung widerspiegeln, liegen Chinas Pro-Kopf-Emissionen mit elf Tonnen weit über denen der EU (8,1 Tonnen) und des Vereinigten Königreichs (6,3 Tonnen); zudem sind die beiden Letztgenannten auf dem besten Weg, ihre Emissionen bis 2040 auf unter zwei Tonnen pro Kopf zu senken.

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Etwa 5,9 Gigatonnen der jährlichen Emissionen Chinas entstammen einem nach wie vor von Kohle dominierten Energiesystem

China hat zugesagt, dass seine Emissionen ab 2030 nicht mehr steigen, sondern sinken werden und dass es bis 2060 nettoemissionsneutral sein wird; dies freilich bedeutet immer noch, dass sich seine kumulierten CO2-Emissionen bis 2060 auf rund 250 Gigatonnen belaufen könnten. Im Gegensatz dazu hätten die derzeitigen Selbstverpflichtungen des Vereinigten Königreichs und der EU etwa 4,5 bzw. 45 zusätzliche Gigatonnen zur Folge. Allein diese 250 Gigatonnen würden einen Großteil des verbleibenden weltweiten „Kohlenstoffbudgets“ aufbrauchen, das noch emittiert werden kann, um die globale Erwärmung, wie im Pariser Klimaabkommen von 2015 vereinbart, auf „deutlich unter 2 °C“ zu begrenzen. Das bedeutet, dass die Durchschnittstemperaturen auf dem Planeten im Jahr 2100 in hohem Maße davon beeinflusst werden, was China tut, und nur in geringem Maße von der EU oder dem Vereinigten Königreich.

Etwa 5,9 Gigatonnen der jährlichen Emissionen Chinas entstammen einem nach wie vor von Kohle dominierten Energiesystem und China plant, bis 2029 insgesamt 280 Gigawatt an Kohlekraftwerkskapazitäten hinzuzufügen. Darüber hinaus belaufen sich die Emissionen seiner riesigen Stahl- und Zementindustrie auf mehr als 50 Prozent des weltweiten Gesamtausstoßes, auch wenn sie mit dem Rückgang der Bautätigkeit allmählich sinken.

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Elektrofahrzeuge machen in China inzwischen fast 50 Prozent aller Pkw-Verkäufe aus, gegenüber 23 Prozent in der EU und gut 10 Prozent in den USA

Von Fotovoltaik bis Wärmepumpen

Aber China ist zugleich weltweit führend bei fünf „grünen“ Schlüsseltechnologien – Fotovoltaik, Windturbinen, Batterien, Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen –, deren Einsatz drei Viertel des weltweiten Verbrauchs fossiler Brennstoffe und der damit verbundenen Emissionen ersetzen könnte. Elektrofahrzeuge machen in China inzwischen fast 50 Prozent aller Pkw-Verkäufe aus, gegenüber 23 Prozent in der EU und gut 10 Prozent in den USA. 32 Prozent des Endenergiebedarfs werden mit Strom gedeckt, gegenüber 24 Prozent in Europa und den USA.

Im Jahr 2024 hat China rund 400 Gigawatt an Solar- und Windenergie installiert; das ist mehr als die Hälfte der weltweiten Gesamtleistung. Während seine Kohlekapazitäten weiterhin wachsen, werden diese Anlagen zunehmend als flexibles Back-up für erneuerbare Energien genutzt, sodass die Gesamtemissionen des Stromsektors in der ersten Hälfte dieses Jahres um 3 Prozent gesunken sind.

Der massive Einsatz sauberer Technologien in China hat zu enormen Kostensenkungen und Leistungsverbesserungen geführt. Die Fotovoltaikkosten pro Watt sind in nur 15 Jahren um 90 Prozent gesunken, während die Produktionserträge gestiegen sind. Auch die Batteriekosten pro Kilowattstunde sind drastisch gesunken, während sich Energiedichte und Ladegeschwindigkeit kontinuierlich verbessert haben. Diese Fortschritte ermöglichen nicht nur in China, sondern weltweit eine deutlich schnellere Emissionsreduzierung.

Schon jetzt sind Solaranlagen mit Batteriespeicher in den meisten Ländern des globalen Sonnengürtels der billigste Weg, um rund um die Uhr Strom bereitzustellen. Vor allem Afrika kann nun die Stufe der fossilen Energieträger weitgehend überspringen und seine Kapazitäten an billigem, sauberem Strom rasch ausbauen, um das Wirtschaftswachstum voranzutreiben.

Überkapazitäten bei Eisen und Stahl

In einer Welt ohne geopolitische Spannungen würde Chinas Vorreiterrolle im Bereich der sauberen Technologien als Segen für die Menschheit begrüßt werden. Angesichts der aktuellen politischen Realitäten jedoch hat sie stattdessen Ängste um Arbeitsplätze und Sicherheit geschürt. Schlimmer noch: In Reaktion auf Chinas Dominanz in der Produktion eingeführte Zölle und sonstige Handelsbeschränkungen könnten die Kosten in die Höhe treiben und das Tempo der globalen Energiewende verzögern.

Ein weiterer Grund für die Spannungen sind Chinas Überkapazitäten bei Eisen und Stahl. Da diese wichtigen Vorprodukte noch immer kohlenstoffintensiv hergestellt werden, drohen sie Europas Selbstverpflichtung zur Dekarbonisierung seiner Schwerindustrie zu untergraben. Während der CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU eine berechtigte Reaktion auf diese Bedrohung ist, sah China ihn zunächst als protektionistisch an.

Um die globale Erwärmung „deutlich unter 2 °C“ zu halten, sind daher koordinierte Maßnahmen aller im November an der UN-Klimakonferenz in Brasilien (COP30) teilnehmenden Länder erforderlich. Und da die USA ihre globale Führungsrolle – insbesondere beim Klimawandel – aufgegeben haben, ist die chinesisch-europäische Zusammenarbeit noch wichtiger geworden.

Fokus auf vier Prioritäten

Vor diesem Hintergrund sollten sich die politischen Führungen in China und Europa auf vier Prioritäten konzentrieren. Erstens muss sich China selbst ehrgeizigere Ziele für die Emissionsreduzierung setzen. Tut es dies nicht, dürften die europäischen Populisten, die Klimaschutzzusagen als kostspielig und sinnlos abtun, noch mehr Wählerstimmen erhalten. Wenn China jedoch seine Ziele verschärft, sollte Europa seine eigenen mittelfristigen Ziele und Maßnahmen ausweiten, um sicherzustellen, dass es seine langfristigen Verpflichtungen einhält.

Zweitens sollte China mehr zur Dekarbonisierung der Schwerindustrie tun, indem es die Innovation in der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie fördert. Dies erfordert eine stetige Erhöhung der Kohlenstoffpreise in allen Industriesektoren, die sich idealerweise dem europäischen Niveau annähern sollten.

Drittens sollte Europa Chinas Vorreiterrolle im Bereich der sauberen Technologien begrüßen und in Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und der Sicherheit einen faktenbasierten Ansatz wählen. In Anlehnung an die Empfehlungen der Energy Transitions Commission würde dies bedeuten, dass man sich offen zeigt für die Einfuhr von Produkten, die ein minimales Risiko für europäische Arbeitsplätze darstellen (wie zum Beispiel Solarpaneele) und für chinesische Investitionen in Sektoren wie Batterien und Elektrofahrzeuge.

Und schließlich sollten Europa und China mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um die Finanzströme freizusetzen, die zur Beschleunigung des Wachstums im Bereich der sauberen Energien in Afrika und in anderen einkommensschwachen Ländern erforderlich sind.

Die chinesische Vorreiterrolle im Bereich der grünen Technologien hat eine Chance geschaffen, die die Welt nicht ungenutzt lassen darf. Europa muss mit China zusammenarbeiten, um dieses Potenzial zu nutzen.

* Adair Turner ist Vorsitzender der Energy Transitions Commission.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2025.

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