Rede zur Lage der NationWas am Dienstag von Premierminister Xavier Bettel erwartet wird

Rede zur Lage der Nation / Was am Dienstag von Premierminister Xavier Bettel erwartet wird
Premierminister Xavier Bettel bei seiner Rede zur Lage der Nation vor der Chamber im vergangenen Jahr Foto: Editpress-Archiv/Isabella Finzi

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Nach der Krise wird nichts mehr sein wie zuvor. Die oftmals zu Beginn der Pandemie geäußerte Floskel war wohl eher ein Ausdruck von Ratlosigkeit oder gar von Panik angesichts des unbekannten Virus als Einsicht in eine notwendige politische Kursänderung. Mehr als ein halbes Jahr nach Ausbruch der sanitären Krise in Luxemburg deutet vieles auf ein Weitermachen wie bisher.

Dabei hat Covid den Blick auf die sozialen Ungerechtigkeiten geschärft oder, um die Metapher vom Brennglas zu gebrauchen, sie noch deutlicher zum Vorschein gebracht. Doch einen radikalen Kurswechsel wird Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag bei seiner Rede zur Lage der Nation kaum ankündigen. Denn einen solchen sieht das Koalitionsprogramm nicht vor, um auf die regierungsseitig wiederholte Begründung für den Unwillen nach größerer Steuergerechtigkeit zurückzugreifen.

Luxemburgs Probleme sind längst bekannt: Wer bereits vor der Krise wenig hatte, dem wird es nach der Krise noch schlechter gehen. Wer sich vor Covid keine eigene Wohnung leisten konnte, sieht den Traum vom Eigenheim in noch weitere Ferne entschwinden. Im ersten Halbjahr 2020 sind die Preise erneut noch schneller gestiegen als zuvor. Wer sich eine Immobilie zulegen wollte, musste im Schnitt satte 13,4 Prozent mehr Geld auf den Tisch legen als ein Jahr zuvor, so Tageblatt.lu am 25. September 2020.

Wer die Covid-Quarantäne in einer kleinen Wohnung verbringen muss, verkraftet sie schlechter als der stolze Bewohner einer geräumigen Bleibe mit Garten und Rasen. Wer während des Lockdowns Telearbeit verrichten konnte, riskierte weniger als jene Beschäftigten, die trotz Corona zur Arbeit mussten. Und dabei gehörten Letztere oftmals zu jener Schicht von Beschäftigten, die sich an der unteren Einkommensskala befinden. Studenten, Interimsarbeiter, kleine Handwerker und Horeca-Betreiber rutschen in die Prekarität oder riskieren den sozialen Abstieg. Vor wenigen Tagen noch wies die Caritas auf zunehmende Armut im Land hin.

Wichtigste Frage blieb ungeklärt

Covid hat allzu deutlich die Grenzen des Luxemburger Gesundheits- und Pflegesystems aufgezeigt. Dank schneller politischer Entscheidungen, einer klugen Reorganisation der medizinischen Dienste konnte sich der Sektor überraschend schnell auf den sanitären Notfall einstellen. Weiteren Covid-Wellen kann er gelassener entgegenblicken. Nur die wichtigste Frage, die der sogenannten Humanressourcen, bleibt weiterhin ungelöst. Das Personal müsse aufgestockt werden, hatte u.a. die Gewerkschaft OGBL im Juli gefordert: um 10 Prozent in allen Gesundheits- und Betreuungseinrichtungen. Die Ausbildung müsse verbessert werden, um die Gesundheitsberufe attraktiver zu gestalten, fordern die Gesundheitsberufler. Zwar sind diese Fragen Thema des von Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Sozialminister Romain Schneider (beide LSAP) initiierten Gesundheitstischs zwischen den Akteuren des Sektors, doch könnte Premierminister Bettel am Dienstag andeuten, in welche Richtung seine Mannschaft diesbezüglich schaut.

Als die Pandemie zum Lockdown führte, ergriff die Regierung die einzig richtige Entscheidung: Sie pumpte massiv Geld in die Arbeitswelt, um Tausenden Beschäftigten ein Einkommen zu garantieren, wenngleich ein etwas reduziertes. Das war kein Geschenk der politischen Führung, sondern eine zu erwartende Reaktion der aktuellen Verwalter der öffentlichen Gelder – eine Solidaritätsgeste der Gesellschaft. Im Oktober waren noch 20.000 Personen, rund fünf Prozent der Beschäftigten, in Kurzarbeit, so das nationale Statistikinstitut Statec im September-Flash. Wie lange wird das Land diesen Ausnahmezustand noch durchhalten können?

Während Kurzarbeit eine vorübergehende Erscheinung ist, sind Hunderte abgebaute Jobs für immer verloren. Vor einigen Jahren noch sorgte der Konkurs eines mittelständischen Unternehmens und die Entlassung von einigen Dutzend Beschäftigten für mediale Aufregung. Wenn heute große Unternehmen den Abbau von gleich hunderten Arbeitsstellen verkünden, löst dies in der Öffentlichkeit kaum mehr als einen müden Seufzer aus. Ob Unternehmen die sanitäre Krise bloß als Vorwand nutzen, um sich wirtschaftlich zu sanieren, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Großbetriebe, die bisher das Rückgrat der Luxemburger Industrie bildeten, schrumpfen und dabei hunderte Arbeitsplätze opfern. ArcelorMittal baut 570 Stellen ab, Luxair, eine der Luxemburger Erfolgsgeschichten und Stolz etlicher Urlaubergenerationen, streicht 600 Jobs. Zuvor hatte der Glasproduzent Guardian angekündigt, auf die Hälfte seiner Luxemburger Belegschaft verzichten zu wollen. Und dabei wird in den Medien nur von Luxemburgs Big Players am Arbeitsmarkt groß berichtet. Soll dieser Abbau von Industriejobs kompensiert werden? Sind andere denn Finanz- und IT-Unternehmen überhaupt noch eine Option für diese Regierung?

Sorge um die öffentlichen Finanzen

Über all dem thront die Sorge um die öffentlichen Finanzen. Zwar weist Statec auf eine wirtschaftliche Erholung hin. Die Mehrbelastungen für den öffentlichen Haushalt sind dennoch schwindelerregend. Allein die Kraftanstrengungen zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts sind enorm. „In einem normalen Jahr chiffrieren sich die Ausgaben des Beschäftigungsfonds auf etwa 700 Millionen. In diesem Jahr werden es schätzungsweise 1,9 Milliarden Euro sein“, sagte Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) in einem rezenten Wort-Interview. Dabei dürften die finanziellen Auffangnetze für die Beschäftigten von ArcelorMittal und Luxair noch nicht mit einbezogen sein.

Wer das Ganze schlussendlich bezahlen soll, beschäftigt das ganze Land.

Wird die Regierung den Schritt wagen und weitere Anleihen aufnehmen oder wird sie sich weiterhin an die selbst auferlegte und damit politisch begründete Verschuldungsobergrenze von 30 Prozent halten? Diese dürfe keine Rolle spielen, meint Nora Back, OGBL-Präsidentin, am 10. Oktober in einem Interview bei Radio 100,7.

Soll weiter beim Staat gespart werden? Die Bedeutung eines gut aufgestellten Staatsapparats zeigte sich in dieser Covid-Krise. Das öffentliche Gesundheitswesen überstand den Covid-Schock. Der Schulbetrieb konnte trotz durchaus zu kritisierenden Entscheidungen nach dem Lockdown aufrechterhalten werden. Kulant und ohne allzu großen bürokratischen Aufwand konnten die staatlichen Hilfen an die Beschäftigten in Kurzarbeit und an notleidende Betriebe fließen.

Oder sollen die Steuern angehoben werden? Eine Erhöhung der Solidaritätssteuer und der Mehrwertsteuer komme für die LSAP nicht infrage, sagte Kersch im Wort-Interview. Eine höhere Besteuerung der Kapitaleinkünfte und eine Vermögenssteuer für physische Personen schlägt jedoch u.a. OGBL-Chefin Nora Back vor. Eine gerechtere Besteuerung fordert auch Caritas, etwa durch eine Senkung der Einkommenssteuer in den unteren Steuerklassen und eine Erhöhung in den höheren Klassen.

CSV fordert Abschaffung des Stock-Options-Regimes

Sogar die CSV spricht sich für gezielte Anpassungen des Steuersystems aus. So fordert sie die Abschaffung des Stock-Options-Regimes. Es könne nicht sein, dass die einen munter 45 Prozent Spitzensteuersatz zahlen, andere, die gut verdienen, weniger als die Hälfte, empört sich der CSV-Deputierte Gilles Roth in einem Videobeitrag seiner Fraktion. Das ungerechte Stock-Options-Regime müsse bis Ende des Jahres abgeschafft werden. Allein diese Maßnahme könnte zusätzliche Einnahmen von bis zu 200 Millionen Euro jährlich zeitigen.

Abgeändert werden müssten laut CSV-Parlamentarier Laurent Mosar die Besteuerungsregeln für die „Fonds d’investissement spécialisés“ (FIS). Das sei ein sozial ungerechtes Steuersystem, sagt er, erlaube es doch Immobilienfonds, fast ohne Besteuerung hunderte Millionen schwere Transaktionen auf Immobilien zu tätigen. Auch hierzu sollte die Regierung bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen, fordert die CSV, die Partei jenes Finanzministers, der mit dem FIS-Gesetz von 2007 dieses Steuerschlupfloch erst ermöglichte. Entsprechende Motionen der Oppositionspartei, zum 1. Januar 2021 das Stock-Options-Regime abzuschaffen und das FIS-Besteuerungsmodell abzuändern, wurden jedoch von den Mehrheitsparteien abgelehnt. Aber vielleicht wollte sich Premierminister Bettel entsprechende Vorschläge für seine Rede am Dienstag vorbehalten. Immerhin sieht das Koalitionsprogramm vor, das aktuelle Stock-Options-Modell schrittweise abzubauen und den Missbrauch des FIS-Besteuerungsregimes zu bekämpfen.

Ob sich Bettel angesichts der gravierenden innenpolitischen Herausforderungen einen außenpolitischen Exkurs erlauben wird, wie ihn seine Amtsvorgänger regelmäßig unternahmen? Angebracht wäre er schon. Der außenpolitische Konsens auf EU-Niveau, auf den sich Luxemburg traditionell berief, bröckelt zusehends. Nicht dass Luxemburg allein etwa die Migrationsfrage lösen oder mit seinem außenpolitischen Gewicht gewaltig zur Entspannung in Krisengebieten beitragen könnte. Interessant wäre es dennoch zu hören, wie sich Luxemburg in aktuellen Dossiers positioniert. Schließt es sich den Hardlinern an, die noch strengere Sanktionen gegen Moskau und die Minsker Führung fordern? Wie steht es mit ähnlichen Maßnahmen gegenüber Erdogans Türkei, die in Sachen Menschenrechte Lukaschenko in nichts nachsteht und derzeit den Konflikt in Bergkarabach befeuert? Auch wenn Bettel die Detailarbeit Außenminister Jean Asselborn (LSAP) überlässt, könnte er die globale Ausrichtung der Luxemburger Außenpolitik nochmals umreißen.

Die Erklärung zur Lage der Nation? Erwarten dürfte man sich Aussagen darüber, wie Bettel mit seiner Regierung das Land in den kommenden Monaten steuern will. Auch wenn weiterhin ungewiss ist, wie sich die Covid-Krise in den kommenden Monaten entwickeln wird, wünscht man sich von ihm klare Handlungsoptionen und mutige Schritte zu mehr soziale Gerechtigkeit hin durch eine stärkere Belastung der „breiten Schultern“. Auch wenn dies, wie die Covid-Krise auch, nicht im Koalitionsprogramm steht. Eine bloße Bestandsaufnahme reicht dieses Mal nicht.