Wandern über Stock und Stein: Luxemburg abseits der Straße kennen lernen

Wandern über Stock und Stein: Luxemburg abseits der Straße kennen lernen

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Wer das Land abseits der staugeplagten Straßen kennen lernen will, ist bei den Luxemburger Wanderern gut aufgehoben. Jedes Wochenende organisiert einer von mehr als 60 Vereinen eine nationale Tour. Die Kayler Amicale bietet sogar einmal im Monat eine begleitete Tour an.

Die festen Schuhe sind schon etwas abgetragen. Sie tragen noch den einen oder anderen Schlammspritzer. Kappe, Sportjacke und der am Rucksack baumelnde Plastikbecher verraten den hartnäckigen Wanderfreund, den weder widrige Wetterbedingungen noch schwieriges Gelände abschrecken. Während andere sich im Bett noch mal auf die andere Seite drehen, hat er bereits die ersten Kilometer unter die Füße genommen. Er gehört zur Vorhut der Wanderbewegung. Die meisten seiner Gleichgesinnten schlagen erst in späteren Morgenstunden den vorgezeichneten Weg ein. In Gruppen oder solo durchqueren sie zuerst verschlafene Wohnviertel, um dann den Kreidezeichen am Boden folgend den Weg in den Wald oder das Feld einzuschlagen. Für die einen ist es ein gemütlicher Spaziergang in lockerer Freizeitkleidung, für andere eine echte sportliche Herausforderung, oftmals noch mit Nordic-Walking-Stöcken unterstützt.

Jedes Wochenende ist eine nationale Wandertour angesagt, organisiert von einem der über 60 Vereine. Wer das Land abseits der staugeplagten Straßen kennen lernen will, ist bei diesem Wandervölkchen gut aufgehoben. Er entdeckt allmählich, dass auch eine Fläche von 2.586 Quadratkilometern eine fast unendliche Zahl an Wegen und Pfaden mit stets wechselnden Sinneseindrücken bereitstellt.

Zweimal im Jahr sind die Kayler dran

Zweimal jährlich lädt auch die Kayler „Amicale des Marcheurs“ zur Wanderung ein. Die nächste große findet übrigens im November statt. Angeboten werden Strecken von sechs und zwölf Kilometern. Neu im Programm sind seit diesem Jahr die „Marches guidées“. Begleitet, da die Strecke anders als bei den nationalen Wanderungen nicht gekennzeichnet wird. Die Kayler Amicale ist einer der wenigen Vereine, die solche Touren regelmäßig organisieren: jeden ersten Mittwoch im Monat.

An diesem Freitag begleite ich drei Gesellen der Amicale bei der Vorbereitung der nächsten geführten Wanderung am 7. August. „Warum diese Sondertouren?“, frage ich den Präsidenten Leo Gryseleyn. – Man wolle den Ortsansässigen, aber nicht nur ihnen, die schönen Ecken der Gegend zeigen, sagt er. Das Echo hält sich noch in Grenzen. Rund zwei Dutzend Teilnehmer zähle man durchschnittlich.

Neue Wege beschreiten

Das Ganze könnte glatt als lockerer Spaziergang durch die Kulturlandschaft Minette durchgehen, wäre da nicht die zeitaufwändige Vorarbeit. „Streckenmeister“ ist René Jacob. Auf seiner topografischen Karte hat er zu Hause bereits die Route eingezeichnet. Man versuche stets neue Wege zu beschreiten, sagt er. Einmal die theoretische Seite geklärt, geht es ans Praktische. Die Strecke muss „getestet“ werden. Damit alles möglichst ohne schlechte Überraschung verlaufen kann, wird der Weg dreimal begangen. Eine unschätzbare Hilfe leistet René Jacob und seinen Begleitern das Outdoor-GPS. Es leitet den Wanderer sicher durch das ausgedehnte Pfadnetz im Wald, auf wenige Meter genau, präzisiert Guy Antony, Sekretär der Amicale.

Diese Präzision muss sein, insbesondere was die Streckenlänge betrifft. Dass es auf ein paar hundert Meter nicht ankommt, ist klar. Wenn jedoch fünf Kilometer angekündigt sind, es deren dann aber sieben oder acht werden, sei gegenüber den Gästen nicht zu verantworten, sagt Gryseleyn. Immerhin bereiten sich die Teilnehmer ja auf die angekündigte Distanz vor. 7,3 Kilometer lang ist die Strecke diesmal, sagt Jacob. Es geht vom Parking am Rathausplatz Widdem hinab ins Dorf, dann auf den „Gehaansbierg“ zur Ruine der mittelalterlichen Burg.

Zwischenstopp mit 162 Treppenstufen

Der Aussichtsturm auf dem Berg bietet die Gelegenheit für einen Zwischenstopp. Wer im Turm die 162 Stufen hoch schafft, dem bietet sich ein herrlicher Ausblick tief ins Land hinein. Aber der Turm und „Berg“, das sei doch schon Düdelinger Gelände? – Das störe ihn nicht, sagt Gryseleyn. Andere Wanderungen seiner Amicale führten ja auch über Rümelingen. Er sehe das nicht so eng, meint er lächelnd.

Dass man schnell die Grenzen seiner Gemeinde verlässt, wissen auch die anderen Wandervereine, insbesondere wenn sie eine Halbmarathon- oder eine ganze Marathondistanz anbieten. Den Teilnehmern sind kommunale Grenzen ohnehin egal. Sie genießen den Gang durch Wald und Flur. 2018 waren es ihrer 64.154, zählte die Wanderföderation. Die meisten sind regelmäßige Gäste, auch aus dem Ausland. Wie jemand seltene Euro-Münzen sammelt, häuft der eingefleischte Wanderer die Stempel, die ihm am Ende der Tour ein Mitarbeiter des organisierenden Vereins auf seine Wanderkarte aufdrückt. Je nach angehäuften Kilometern gibt es Abzeichen, Zertifikate vom nationalen Wanderverband und internationale Volkssportabzeichen.

Gefährliche Stellen werden umwandert

Zurück zur Amicale und ihrer bevorstehenden geführten Wanderung. Mit dem „Gehaansbierg“ wurde der höchste Punkt der Strecke erreicht. Das Outdoor-GPS gibt einen abschüssigen Pfad durch Bäume und Sträucher vor. Ziemlich rutschig, und dabei ist der Waldboden durch und durch trocken. Gefährlich, meinen die Wanderspezialisten. Wird man berücksichtigen müssen, um die Stelle etwas weiträumiger zu umgehen. Das ist die einzige Stelle, die Jacob am Streckenverlauf abändern wird.

Weiter geht es vom Düdelinger Berg ins Naturreservat Haardt. Die Hälfte des Weges ist geschafft. Ab jetzt geht es nur noch bergab, durch unbekanntes Gelände. Sogar er entdecke auf dieser Wanderung neue Pfade, sagt Gryseleyn. Dabei kennt sich der pensionierte Gendarm mit Wandern aus. Gryseleyn war 13 Jahre lang Präsident der Landesföderation. Heute ist er deren Ehrenpräsident. Dem Kayler Verein steht er seit drei Jahren als Präsident vor. Fast jede Woche ergreift er den Wanderstab, auch in den Nachbarländern, wo es zu befreundeten Vereinen geht.

Zwei Führer begleiten die Gruppe

Verglichen mit der nationalen Wanderung ist die geführte Tour aufwandsmäßig doch ein Klacks. Nur zwei „Gelbwesten“ begleiten jedesmal die Gruppe. Da die Strecke anders als die nationalen Wanderungen nicht mit den an Baumästen, Sträuchern, Pfosten und Bänken befestigten roten Klebestreifen bzw. roten Plaketten des Wanderverbandes ausgezeichnet ist, könnten sich Nichtkundige verlaufen. Ist ein Teil der Gruppe schneller unterwegs, zieht er mit dem ersten Führer los. Der zweite, der eigentlich das Schlusslicht der Gruppe bilden soll, wird dann den Rest der Gruppe leiten, sagt Guy Antony.

Die Organisation der nationalen Wandertage hingegen fordert schon einen kleinen Kraftakt. Da müssen mehrere Streckenlängen angeboten werden: 6, 12, 22 oder mehr Kilometer. Die einmal ausgewählten Wege müssen dem Förster zur Begutachtung vorgelegt werden. Liegt sein Einverständnis vor, werden die Strecken an die Föderation weitergereicht. Mit einer Handvoll Freiwilligen ist es an diesen Tagen nicht getan. Landesweit zählte der Verband im letzten Jahr 3.061 freiwillige Helfer. Bei Start und Ziel, in der Regel in einem Sport- oder Kulturzentrum, muss warmes Essen angeboten, Gebäck gebacken, Kaffee gekocht werden – alles, was den müden Wanderer erfreuen bzw. den startenden Teilnehmer für sein Abenteuer stärken wird. Zwei Dutzend Freiwillige sind an derlei Tagen allein bei der Kayler Amicale verpflichtet. Sie beköstigen die Teilnehmer, stempeln die Karten an den Kontrollpunkten und bei der Zielankunft ab. Über tausend waren es im Juni. Ein großer Erfolg, sagt Gryseleyn.

Ganz so groß wird der Andrang am 7. August wohl nicht sein. Aber Großereignisse sollen geführte Wanderungen ja auch nicht sein – glücklicherweise für die Handvoll Begleiter.

de Schéifermisch
1. August 2019 - 16.14

Warum in die Ferne schweifen, das Schöne liegt so nah? Und das Wandern durch die schöne Natur ist gesund und kostet nichts. Eine äusserst begrüssens- und nachahmenswerte Initiative!