Madrid im AusnahmezustandVor dem NATO-Gipfel wird Spaniens Hauptstadt zur Festung

Madrid im Ausnahmezustand / Vor dem NATO-Gipfel wird Spaniens Hauptstadt zur Festung
Auch in Spanien hat die NATO nicht nur Freunde: Demonstrant mit Wasserpistole in Madrid Foto: AFP/Oscar del Ponzo

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Militär sichert den Luftraum. Mehr als 10.000 Polizisten machen die Stadt zur Festung. Es gibt Sperrzonen um Hotels, Scharfschützen liegen auf den Dächern und Bombenexperten durchkämmen den Untergrund. Vor dem NATO-Gipfel ist Madrid im Ausnahmezustand.

Aus der beschaulichen Bergwelt im deutschen Elmau in Spaniens laute Hauptstadt Madrid: Der einwöchige Politikmarathon, der mit dem EU-Gipfel in Brüssel begann und bis diesen Dienstag mit der G7-Runde in Bayern Station macht, steuert mit dem dann in Madrid startenden NATO-Gipfel auf seinen Höhepunkt zu. Für die Metropole ist dieses Treffen, an dem ab Dienstagabend 40 Staats- und Regierungschefs teilnehmen, ein Albtraum – die Stadt befindet sich praktisch im Ausnahmezustand.

Spaniens einflussreichste Zeitung El País bereitete die knapp sieben Millionen Einwohner des Großraums Madrid auf den NATO-Gipfel mit der Schlagzeile vor: „Wie man in einer belagerten Stadt überlebt“. Auch Bürgermeister José Luis Almeida warnte die Bürger vor dem, was der Hauptstadt bis zum Gipfel-Ende am Donnerstag blühen wird: „Wir werden zwar das Epizentrum der Welt sein, aber Madrid wird sich in diesen Tagen in eine gesperrte Stadt verwandeln.“

Von 40.000 auf 300.000: NATO will schnelle Eingreiftruppe massiv aufstocken

Die schnelle Eingreiftruppe der NATO soll laut Generalsekretär Jens Stoltenberg massiv ausgeweitet werden. „Wir werden die NATO-Eingreiftruppe umgestalten und die Zahl unserer schnellen Eingreifkräfte auf weit über 300.000 aufstocken“, sagte Stoltenberg am Montag im Vorfeld des NATO-Gipfels in Madrid. Bisher umfasst die sogenannte „NATO Response Force“ rund 40.000 Soldaten. Stoltenberg kündigte zudem eine Neudefinition der Beziehungen zu Russland an. Er erwarte, dass die Bündnispartner deutlich machten, „dass Russland eine direkte Bedrohung für unsere Sicherheit, unsere Werte und die auf Regeln basierende internationale Ordnung darstellt“.
Nach Angaben von Stoltenberg hat der Schutz der Ostflanke oberste Priorität des Bündnisses mit derzeit 30 Mitgliedstaaten. Die künftig mehr als 300.000 schnellen Eingreifkräfte sollen in Friedenszeiten in der Regel unter nationalem Kommando stehen, könnten dann aber im Ernstfall vom Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa (Saceur) angefordert werden. Für die Truppen würden zudem feste Zeiten für die Einsatzbereitschaft vorgegeben. Im Gespräch ist, dass manche Einheiten innerhalb von höchstens zehn Tagen verlegebereit sein müssten, andere in 30 oder 50 Tagen. (Reuters, dpa)

Mehr als 10.000 spanische Polizisten haben die größte Stadt Spaniens zur Festung gemacht. Militär sichert mit Kampfflugzeugen und Flugabwehrbatterien den Luftraum. NATO-Aufklärungsflugzeuge vom Typ Awacs kreisen über der Stadt. Scharfschützen liegen auf den Dächern, Bombenexperten durchkämmen den Untergrund. Rund um die in der City liegenden Luxushotels, in denen US-Präsident Joe Biden und die anderen Top-Politiker logieren, wurden Sperrzonen eingerichtet.

Hinzu kommen diverse Tagungsorte, die weiträumig abgeschirmt werden. Etwa das am Stadtrand liegende Konferenzzentrum auf dem Messegelände. Oder der mitten in der Altstadt liegende Königspalast, in dem Spaniens Staatsoberhaupt Felipe VI. am Dienstagabend zum Essen lädt. Auch das weltberühmte Prado-Museum, in dem am Mittwoch Spaniens Premier Pedro Sánchez zu Tisch bittet. Genauso wie das Reina-Sofía-Museum für moderne Kunst und die Oper „Teatro Real“, wo sich Königin Letizia mit den Ehefrauen und Ehemännern der Spitzenpolitiker umsieht.

„Bitte bleiben Sie an diesen Tagen zu Hause“, appellierten die Behörden an die Bewohner. Die 500.000 Menschen, die üblicherweise jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fahren, sollen im Home-Office bleiben. „Es wird sehr schwierig sein, sich in der Stadt zu bewegen“, sagte Bürgermeister Almeida. Viele Polizeikontrollen, viele Straßensperren, geschlossene Tourismusattraktionen – auch jene, die in diesen Tagen als City-Urlauber in die Stadt kommen, werden nach den Worten Almeida vor allem zwei Dinge aufbringen müssen: „Geduld und Verständnis.“

Allein die US-Delegation zählt 1.000 Personen

Allein die von US-Präsident Biden angeführte amerikanische Delegation zählt mehr als 1.000 Personen, darunter mehrere Hundert Bodyguards. Jeder Ortswechsel Bidens innerhalb der Stadt gleicht einer militärischen Operation: Eine Karawane von 50 Fahrzeugen begleitet ihn, wenn er im schuss- und bombensicheren Präsidenten-Cadillac, genannt „die Bestie“, unterwegs ist.

Auch sonst sind die Zahlen des NATO-Gipfels, auf dem vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs die Weichen für die Verteidigungszukunft gestellt werden sollen, rekordverdächtig. Die Kosten werden allein von spanischer Seite auf 50 Millionen Euro geschätzt.

Mit den insgesamt 40 Delegationen reisen annähernd 5.000 Personen an. Neben den Vertretern der 30 NATO-Staaten sind zum Beispiel auch Schweden und Finnland dabei, die angesichts der wachsenden russischen Bedrohung die Aufnahme ins Verteidigungsbündnis beantragten. Die Ukraine ist ebenfalls vertreten. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird – nach bisherigem Stand – allerdings nur per Videoschalte dabei sein.

Das alles nur für ein Jubiläum

Warum tagen die Staatsspitzen in Madrid und nicht in Brüssel, wo die NATO ihr Hauptquartier hat? Und wo die EU-Staats- und Regierungschefs bereits vergangene Woche zusammentrafen? Mit diesem Umzug nach Madrid kam NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor allem dem Wunsch der Spanier nach, die mit dem Gipfel in Europas Süden den spanischen NATO-Beitritt vor 40 Jahren feiern wollen.

Stoltenberg kündigte bereits im Vorfeld an, dass in Madrid vor allem zwei Themen im Vordergrund stehen werden: Die Beitrittsgesuche von Schweden und Finnland, die derzeit allerdings noch vom NATO-Mitglied Türkei blockiert werden. Und die Konsequenzen aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Es wird erwartet, dass die NATO in Madrid eine erhebliche Verstärkung ihrer Abschreckungs- und Verteidigungskapazitäten beschließt.