Vor dem Abriss: Künstler toben sich in altem Escher Haus aus

Vor dem Abriss: Künstler toben sich in altem Escher Haus aus

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Bereits zum vierten Mal hat sich das Künstlerkollektiv Cueva eines abrissreifen Gebäudes in Esch angenommen, um diesem ein letztes Mal Leben einzuhauchen. Knapp zwei Wochen vor der Vernissage herrscht im baufälligen Gebäude reges Treiben. Neun der insgesamt 39 Künstler gewähren einen Einblick in ihre Kunst und erzählen, was „Lankelz“ von anderen Ausstellungen unterscheidet.

Grotte der Erinnerung

Marc Soisson ist selbst ein „Lallenger Bouf“, seine Kindheit hat er knapp 50 Meter entfernt vom „Lankelz“-Gebäude verbracht. Sein Kunstwerk im Untergeschoss des alten Hauses trägt ebenfalls die Handschrift des Escher Ortsteils, denn hier präsentiert er wortwörtlich einen Kubikmeter Lallingen – direkt aus seinem Garten. Zwischen Erde und Graswurzeln versteckt sich so manches Fundstück früherer Tage in der Ausgrabung – der Boden als Zeitzeuge also. „Hauptsächlich habe ich Minett- und Sandstein gefunden, dann noch Betonreste, Schlacken und einige Keramikscherben aus den 30er und 50er Jahren. Neben einem Clay-Pipe-Fragment war meine interessanteste Entdeckung allerdings ein Abzeichen der Hitlerjugend“, verrät der Installationskünstler. Seit sechs Wochen schon verwandelt er mithilfe von Pappmaschee und Farbe den Kellerraum in eine unterirdische Grotte. Die gefundenen Objekte will Marc später an Fäden von der Decke baumeln lassen. Im Gegensatz zur Arbeit in einem normalen Kunstatelier waren die Bedingungen im Gebäude allerdings nicht immer ideal, wie Marc verrät: „Am Anfang waren es draußen minus zehn Grad. Ich habe noch nie gesehen, wie Lackfarbe friert, bis ich angefangen habe, hier zu arbeiten.“

Die Farbe der Frau

Reiny Rizzi hat für „Lankelz“ ganz besondere Fundstücke ausgegraben. Für ihre „rosa Welt“ in der Küche des ehemaligen Einfamilienhauses hat die Künstlerin Objekte zum Thema Haushalt gesammelt. „Ich habe den halben Troc aufgekauft, die schlimmsten und ältesten Dinge“, so Reiny. Eine Oma-Küche, daran soll der Raum später erinnern. An den Wänden hängen Kunstwerke mit Textil- und Broderieelementen, hier und da werden noch „Stiefmutterpflanzen“ platziert und für das gewisse Etwas sorgen ein paar „creepy“ Objekte, wie Reiny sie nennt. „Ich arbeite viel zu Frauenthemen, deshalb auch rosa als feministische Farbe. Die Idee dahinter ist, dass auch heute noch Hausarbeit als Frauenarbeit angesehen wird. Bei mir ist das zwar anders, dafür ist mein Mann zuständig“, verrät die Künstlerin schmunzelnd. Die Arbeit mit „Cueva“ gefällt ihr persönlich sehr: „Die Projekte bieten dir totale Freiheit. Im alten Haus hier zu arbeiten ist etwas ganz anderes als in einer Galerie. Hier kannst du Sachen außerhalb des Normalen machen.“

Über den Rand hinaus

Wenig Ton in Ton sieht es in einem der Räume im Erdgeschoss aus. Hier pinselt seit einiger Zeit Christiane Lohrig. Beim Werk der Saarbrücker Künstlerin dreht sich alles um den Dschungel, Dinosaurier und Chaos. Die Motive erstrecken sich über zwei Leinwände und entfalten sich über deren Rahmen hinaus auf Mauer und Decke. „Hier kann ich mich voll austoben, ich habe Platz und bin weniger eingeschränkt als normalerweise“, erklärt Christiane. Doch die scheinbar unendlichen Möglichkeiten im Raum des alten Gebäudes haben auch ihre Tücken, wie die Künstlerin verrät: „Ich muss immer wieder drei Meter von der Wand wegtreten, um zu sehen, ob das, was ich da mache, überhaupt passt. Es macht Spaß, ist aber auch schwierig.“ Wie ihr Kunstwerk schließlich aussieht, ist bei Christiane Stimmungssache: „Wenn ich nächste Woche wieder herkomme, bin ich vielleicht voll progressiv drauf oder eher ruhig gestimmt. Das kann viel ausmachen. Hauptsächlich muss ich aber aufpassen, dass ich nicht alles vollklatsche.“

Die westliche Ergötzung

Chiara Dahlem hat sich persönlich für einen Raum im Untergeschoss des Gebäudes entschieden. Der Titel „War Bar 7/7 24/24“ lässt ahnen, um was es bei ihrem Kunstwerk geht. „Der Grundgedanke war, dass wir uns am Krieg in Syrien ergötzen. Vor Ort hat sich seit Jahren nichts geändert und wir schauen uns das Ganze nur in den Medien an“, erklärt Chiara. Mit Graffiti, Tape und Schwarzlicht hat die Künstlerin die Umrisse eines Mädchens geformt, das in einem Martiniglas von einem Zahnstocher durchbohrt wird. „Während andere jeden Tag im Krieg überleben müssen, gehen wir in Bars und feiern. Das Bild zeigt quasi den Schrecken des Krieges im Kontrast zum Luxus unseres Lebens“, so Chiara. Den Raum hat sie nicht zufällig ausgewählt: „Hier drin ist es bedrückend und unangenehm, die erste Reaktion des Körpers ist es, zusammenzuzucken. Das vermittelt die Message sehr gut.“ Auch für die Künstlerin selbst war die Arbeit im feuchten Keller nicht immer angenehm: „Anfangs hat es reingeregnet. An den Wänden hat durch die Feuchtigkeit das Tape nicht gehalten, also musste ich mit einer Leinwand arbeiten. Das hier ist ganz anders als im Atelier, wo es bequem und geheizt ist. Hier muss man sich andauernd an die Bedingungen und den Raum anpassen.“

Zurück zur Natur

Für Katarzyna Kot-Bach ist es bereits die zweite Zusammenarbeit mit „Cueva“. „Ich liebe die Interaktion mit dem Ort, an dem wir ausstellen. Das zwingt einen dazu, seine herkömmlichen Arbeitsweisen zu überdenken und neue Orientierungspunkte zu finden. Man kann aus dem gewöhnlichen Rahmen heraustreten“, verrät die Künstlerin. Für sie ist die Natur das erste Atelier, in dem man arbeitet. „Ich versuche, die Verbindung zwischen Natur und dem vom Menschen Geschaffenen darzustellen. Hier hinten zum Beispiel befindet sich ein versteckter Schrank, zu dem nur ein roter Faden führt. Neugierige werden ihn entdecken und können sich in ihm einschließen, für andere bleibt er versteckt“, so Katarzyna. An der Wand hängen gigantische Nester aus Zweigen, dahinter blickt immer wieder die von der Zeit gezeichnete Mauer durch. Ein wichtiges Element in Katarzynas Augen: „Sie ist ein Zeuge von allem, was hier war. Das ganze Projekt erlaubt es ja, dem Gebäude noch einen letzten Atemzug zu gewähren, bevor es irgendwann abgerissen wird. Die Leute sind neugierig, sie wollen wissen, was hier passiert ist, bevor das Gebäude für immer verschwindet.“

Kleinbürgerliche Welt

Jeanine Unsens letzte Ausstellung ist bereits sechs Jahre her, „Lankelz“ hat daher für sie eine ganz besondere Bedeutung. „Ich bin froh, in einem Kollektiv arbeiten zu können. Es herrscht sehr viel Offenheit zwischen uns Künstlern und man erhält neue Impulse“, so Jeanine. Für sie gehören die Projekte von „Cueva“ mittlerweile zur Agenda der Escher Kunstszene fest dazu: „Das Ganze hat sich zu einem fixen kulturellen Event entwickelt.“ Ihr Raum ist der erste im oberen Stockwerk. Direkt springt einem die Retro-Tapete mit auffälligen Muster ins Auge. „Es ist eine kleine intime Arbeit mit Fotografien und alten Lampenschirmen. Ich will eine durchgängig feminine Atmosphäre schaffen, generell befasse ich mich gerne mit der Kondition der Frau“, erklärt Jeanine. Darstellen soll ihr Werk den luxemburgischen Konformismus – eben so, wie man sich hierzulande ein anständiges Leben vorstellt.

Eine Liebesgeschichte

Gegenüber von Katarzynas Werk wuchern Eleonora Pastis Blutgefäße und Herzen aus Filz. Die Installation soll die Liebe eines Pärchens darstellen, wie die Künstlerin verrät: „Da es sich hier um ein ehemaliges Familienhaus handelt, habe ich direkt daran gedacht, dass dies einer der typischen Orte ist, an denen zwei Menschen als Paar zusammenleben können. Das Gebäude ist zwar verlassen, aber eigentlich zeigt es doch, dass es egal ist, wo man wohnt, um sich zu lieben. Eine kleine Hütte genügt.“ Im Zusammenspiel mit Spiegeln unterschiedlicher Größe ist das kleine Zimmer von den Adern und Venen durchwachsen und versetzt den Betrachter direkt ins Werk hinein. Ein Unendlichkeitseffekt, der nicht so einfach zu erreichen war. „Die Challenge bei diesem Projekt war es, einen komplett leeren Raum zu füllen. Im Atelier ist man allein, wenn man da Fehler macht, sieht es keiner. Hier im Haus sind noch viele andere Künstler, daran muss man sich erst gewöhnen“, so Eleonora.

Gegen den Strich

Organisch geht es im Flur des ersten Stockes weiter. Hier pinselt der gelernte Designer Lionel François wellenförmige Linien an die Wände, alles in schwarz-weiß. „Das Leben ist doch eigentlich wie ein Strich. Jeder muss seinen Weg finden. Ich arbeite allgemein gerne mit organischen Linien, da ich mich sehr mit der Natur verbunden fühle“, erklärt Lionel. Inspiration findet er teilweise bei seinem Vater, der ebenfalls künstlerisch veranlagt ist, generell ist Lionel aber ein Autodidakt. Auch bei seinen Werken hat er eine ganz eigene Herangehensweise: „Das kommt alles spontan, je nachdem wie ich mich in dem Moment fühle. Ich arbeite auch nicht gerne mit Farben, das Leben ist bunt genug, da muss man nicht noch mehr Farbe benutzen.“ Seine Werke stellt der Designer eher selten bis gar nicht aus, er bewegt sich lieber „underground“ und skizziert seine Ideen mit dem Bleistift von Zuhause aus. Projekte wie „Lankelz“ sind da genau das Richtige, denn hier sind dem kreativen Ausdruck der Künstler keine Grenzen gesetzt.

Von Mauern und Farbe

Als Graffer ist es Spike gewohnt, auf unkonventionellen Untergründen zu arbeiten. Die ihm zugeteilte Mauer auf der Hinterseite des Gebäudes ist perfekt für seine urbane Kunst. „Mir gefällt das Grobe, Verlassene, beinahe Hässliche. Deswegen bin ich ganz zufrieden damit, eine Mauer bekommen zu haben, die gelebt hat und Struktur aufweist“, verrät der Graffiti-Künstler. Sein Werk besteht diesmal nur aus schwarzen und weißen Formen, die von transparenten geschnitten werden. Wie sein Name es verrät, sind die meisten seiner Motive spitz. „Ich wollte das Ganze aufs Grafische reduzieren, nur essenzielle Formen benutzen. Das ist quasi mein Markenzeichen, meine trade mark“, erklärt Spike. Der Hintergrund ebenso wie herausstehende Elemente des Gebäudes werden immer in seine Kunst miteinbezogen. Spike „chamäleonisiert“ gerne, wie er es selbst nennt. Anders als sonst ist sein Werkzeug dieses Mal allerdings nicht die Spraydose, sondern der Pinsel. „Das ist aber aus reiner Sparsamkeit. Die Mauern hier schlucken die Farbe wie verrückt, sie sind sehr durstig“, so Spike. Sein Plan ist es, an einem Tag alles fertigzustellen – er arbeitet nach seinem ganz persönlichen Timing. „Ankommen, machen, gehen“, lautet seine Devise, in acht Stunden soll alles aus und an sein.

Von Laura Tomassini