Musik und CoronaVon Rockhal bis Steinzeit: Der Luxemburger Musikbranche auf den Zahn gefühlt

Musik und Corona / Von Rockhal bis Steinzeit: Der Luxemburger Musikbranche auf den Zahn gefühlt
Als es noch Konzerte gab: Rockhal-Generaldirektor Olivier Toth während einer Pressekonferenz im November 2019 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Am Dienstagmorgen lud die Rockhal zu ihrer Pressekonferenz im Club-Saal und stellte das voraussichtliche Programm und die Projekte der kommenden Monate vor. In diesem Zusammenhang hat sich das Tageblatt mit einigen Luxemburger Musikern sowie dem Musik-Programmierer der Kulturfabrik Marc Scheer zum Telefoninterview verabredet.

Die Rockhal war zu Anfang der Pandemie eines der ersten Kulturhäuser, das seine Schotten dicht machen musste und kurzerhand sogar zur Gesundheitseinrichtung für (mögliche) Covid-19-Patienten umfunktioniert wurde. Noch zeigt man sich besorgt und frustriert darüber, dass man keine genauen Angaben zur Wiederaufnahme der regulären Funktionen des Konzerthauses machen kann. Umso wichtiger sind nun die zukünftigen Projekte, welche die Rockhal in der Pipeline hat. Präsident Luc Henzig und Direktor Olivier Toth unterstreichen, wie schwierig die Programmierung sich im Laufe der letzten Monate gestaltet habe. Nach einigen Zurückweisungen der ausgearbeiteten Hygienekonzepte durch das Gesundheitsministerium kam nun endlich die langersehnte Zusage und die Planung kann, wenn auch zögerlich, wieder aufgenommen werden. Vor allem die nächsten Tage werden Aufschluss darüber geben, wie es in der kommenden Woche mit den kulturellen Aktivitäten in Luxemburg weitergeht. Entspannt sich die Lage, so kann man sich bereits im Dezember auf erste Konzerte unter dem Motto „Because Music Matters“ in der Rockhal freuen.

Die Rockhal als Gesundheitseinrichtung für (mögliche) Covid-19-Patienten
Die Rockhal als Gesundheitseinrichtung für (mögliche) Covid-19-Patienten Foto: Editpress/Julien Garroy

Kreation einer (neuen) Identität

Die Rockhal befindet sich im Umbruch und möchte sich mithilfe des neuen Konzeptes neu erfinden. Vor allem das Rocklab spielt bei der Kreation der (neuen) Identität eine wichtige Rolle. So gab es beispielsweise den Aufruf „We want your sound“, aus dem der (recht) simple Jingle des Gewinners Florian Sundas hervorgegangen ist, der nun der Rockhal eine akustische Identität verleiht. Des Weiteren erscheinen die im Sommer aufgezeichneten Live-Konzerte der „Pop-up Sessions“ im Rocklab in regelmäßigen Abständen auf den Online-Kanälen und sollen den Geist des Konzerterlebnisses wenigstens zum Teil wiederbeleben. Den Anfang machte hier Francis of Delirium. Ein weiteres Projekt kündigt sich unter dem Namen „The Qwest Challenge“ an und bietet jungen Freestyle-Talenten der Hip-Hop-, Rap- und Slam-Musik erstmals die Gelegenheit, sich unter Beweis zu stellen.

Neue Offenheit wird begrüßt

Im Rahmen der Pressekonferenz der Rockhal haben wir uns mit fünf Musikern unterhalten und sie angesichts der neuen Projekte des Konzerthauses um ihre persönliche Einschätzung gefragt. Allgemein wird die neue Offenheit des Rocklabs den Musikgenres gegenüber (neuerdings soll auch eine Plattform für DJs gegründet werden) und die Tatsache, dass vor allem junge Luxemburger Talente mehr Unterstützung und Sichtbarkeit erfahren sollen, begrüßt. „Es klingt nach einer Initiative, die der Musikszene in Luxemburg wirklich helfen könnte. Ich hoffe, das wird eine Unterstützung für jedes Musikgenre und dass jeder die gleiche Möglichkeit bekommt, sich weiterzuentwickeln“, meint Patrick Miranda von Pleasing.

Tatsächlich hat man häufiger das Gefühl, dass die Energie des Rocklabs und der Rockhal zum größten Teil in dieselben, immer wiederkehrenden Bands und Künstler fließt. Dies revidiert Scott Kutting von Fusion Bomb allerdings: „Ja, sie konzentrieren sich auf verschiedene Künstler, was aber auch daran liegt, dass diese Künstler sich extrem engagieren und viel Input geben. Du bist nicht die Pflanze und sie die Gärtner.“ Es bleibt demnach zu hoffen, dass die ambitiösen Pläne des Kulturhauses künftig weiterhin Früchte tragen und uns noch zahlreiche (auch gerne weniger kommerzielle) Jungtalente bescheren werden. Die Auswahl ist allemal ebenso riesig wie qualitativ hochwertig.

„Wer hat das Recht zu bestimmen, was für den anderen wesentlich und relevant ist?“, meint Marc Scheer von der Kulturfabrik
„Wer hat das Recht zu bestimmen, was für den anderen wesentlich und relevant ist?“, meint Marc Scheer von der Kulturfabrik Foto: Editpress/Isabella Finzi

Programmieren trotz Pandemie

Um einen Einblick in den Ablauf der Programmierung eines Kulturhauses während der Pandemie zu bekommen, haben wir mit Marc Scheer von der Kulturfabrik gesprochen. Die Kulturfabrik fiel vor allem durch ihr abwechslungsreiches Programm auf, das größtenteils in der Kufa Summer Bar und in der Squatfabrik für Begeisterung beim Publikum sorgte. Eine Programmierung war also trotz Einschränkungen möglich.

Marc Scheer betont, dass auch die Kulturfabrik enorm unter den Folgen der Pandemie leidet. Der Großteil der geplanten Konzerte musste verschoben und Hygienekonzepte ausgearbeitet werden. „Am Anfang herrschte Panik, wir wussten nicht genau, was wir machen sollten. Als dann die Auflockerungsphase begann, waren wir uns sehr schnell einig, dass wir wieder aktiv werden würden. Wir haben die Kufa Summer Bar ins Leben gerufen, die Idee hatten wir schon seit längerer Zeit und haben dann von Mai bis September ein komplettes Programm ausgearbeitet.“

Für den Herbst hat die Kulturfabrik dann ein weiteres Programm zusammengestellt, das aber nun aufgrund der neuen Restriktionen nach und nach wieder auseinanderfällt. Die Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Gesundheitsministerium bezeichnet Marc Scheer als unkompliziert: „Auf jede Frage bekam man eine Antwort.“ Marc Scheer erzählt außerdem, es sei gerade jetzt interessant, kleinere, eher unbekannte Bands in die Kulturfabrik einzuladen, um den erlaubten Publikumskapazitäten gerecht zu werden. Hier wird ganz klar der uneingeschränkte Wille und die Hingabe deutlich, mit welcher sich die Kulturfabrik als gesellschaftliches und kulturelles Triebwerk versteht.

Kultur und Lockdown

Wir haben die Gelegenheit genutzt und die Musiker nach ihren Sorgen, Ängsten und Einschätzungen zu den Konsequenzen eines erneuten Lockdowns gefragt. „Es ist unlogisch, dass die Aktivitäten der Kulturbranche wieder heruntergefahren würden. Vor allem wenn man beispielsweise sieht, wie die Menschen in Metros aneinandergepresst sind oder im Flugzeug dicht nebeneinandersitzen. Andererseits ist es allerdings auch verständlich, dass man momentan drastische Maßnahmen ergreifen muss“, sagt Priscila Da Costa (Ptolemea, Judasz & Nahimana, The Grund Club). Jede der Gesprächspersonen sieht sich in der gleichen Ambivalenz gefangen. Auf der einen Seite kann man das drastische Durchgreifen der Regierung verstehen, auf der anderen Seite stellt man sich jedoch die Frage, wieso gerade die Kulturbranche eine solch große Gefahr darstellen soll, wird hier doch überall minutiös auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen geachtet.

Etwas Optimismus, sollte es erneut zu einem Lockdown kommen, ist bei den Musikern dennoch übrig: „Ich hoffe, dass die Luxemburger Künstler es als erneute kreative Pause betrachten können, und ich bin der Meinung, dass wir stärker zurückkommen werden als je zuvor. Ich hoffe, dass es vielleicht als Aufmunterung dient, danach wieder Konzerte geben zu können, und die Menschen dann viel motivierter sind, die Konzerte zu besuchen“, so Billy Kauffmann von Only 2 Sticks und The Kooters. Auch Yann Dalscheid (Scarred, Kitshickers) äußert sich zuversichtlich: „Die Leute brennen darauf, Konzerte zu besuchen. Wir Musiker sind ja auch extrem flexibel, wir sind kreativ genug, um den Leuten trotz gegebenen Umständen etwas zu bieten.“

Ist Kultur relevant?

Bei dieser Frage sind sich alle Beteiligten einig: Ja, Kultur ist relevant. Sie ist sogar essenziell. Sie gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Die Schließung von kulturellen Einrichtungen sorgt bei Marc Scheer und seinen Arbeitskollegen beispielsweise für Empörung: „Wer hat das Recht zu bestimmen, was für den anderen wesentlich und relevant ist? Geschäfte mit Bohrmaschinen bleiben zum Beispiel geöffnet, das ist wesentlich. Das Büchergeschäft muss schließen, weil irgendjemand entschieden hat, das wäre nicht systemrelevant.“

Fakt ist, dass Kultur in allen Bereichen und Schichten der Gesellschaft konsumiert wird, und wir müssen gerade jetzt damit anfangen, uns für sie starkzumachen und diese Branche am Leben zu erhalten. Billy Kauffmann meint: „Ohne Kultur vergessen wir das Menschsein, wir vergessen unsere humane Seite.“ Scott Kutting ergänzt: „Sogar die Menschen in der Steinzeit, die jeden Tag ums Überleben kämpften und ihre Nahrungssicherung betreiben mussten, hatten Zeit für Kultur. Warum sollte das für uns jetzt anders sein?“