Von Praktika und anderen Irrtümern

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Chantal hat kürzlich ihr Bachelorstudium in Gender Studies abgeschlossen. Weil die Überreste der „Bourse“ nicht für den geplanten Selbstfindungstrip nach Australien reichen, beschließt sie, stattdessen ein Praktikum zu absolvieren – „irgendetwas mit Kultur“. Eine fiktive Geschichte. 

Von Caroline Rocco und Tom Haas

Nach 18 unbeantworteten Bewerbungen landet tatsächlich eine Einladung zum Bewerbungsgespräch in ihrem E-Mail-Postfach – ein kleines feministisches Magazin in Luxemburg möchte, dass sie über die lokale Kulturszene berichtet. Beim Bewerbungsgespräch erwartet Chantal der erste Schock: Entlohnung? Fehlanzeige. So was ist weder im Budget noch vom Gesetz vorgeschrieben. Falls sie damit nicht einverstanden sei, gäbe es noch sechs weitere Bewerber, einer davon mit Doktorgrad in Vergleichender Kulturwissenschaft.

Das harte Pflaster der Wirklichkeit

Nach kurzem Schlucken und mit dem bitteren Geschmack von verschrumpeltem Stolz auf der Zunge willigt Chantal ein. Immerhin bietet sich ihr hier die einmalige Gelegenheit, „in einem internationalen Umfeld zu arbeiten“ und „ihren kulturellen Horizont zu erweitern“. Außerdem bietet die Chefredakteurin ihr an, dass man bei „vorbildlichem Engagement“ über eine weitere, bezahlte Beschäftigung nachdenken würde.

Bei diesen Aussichten ist die Studentin guten Mutes und erscheint am ersten Tag pünktlich in der Redaktion. Als Einzige. Eine halbe Stunde später schlendert ihre Vorgesetzte ins Büro und wirkt überrascht: Sie hatte ihre Praktikantin vergessen. Als Entschuldigung bietet sie an, Chantal könne doch Kaffee für beide holen gehen.

Im Anschluss wird sie mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, den Veranstaltungskalender für den restlichen Monat zu füllen – dieser bestach das letzte halbe Jahr durch gähnende Leere.

Nicht nur Chantal landet auf diesem harten Pflaster der Wirklichkeit, sondern auch andere Praktikanten, die sich in Luxemburg um diese Form der Fortbildung bemühen.
„Die aktuelle Regierung hat versprochen, die Bedingungen der ‚Stagiaires‘ zu verbessern. Tatsächlich hieße das, überhaupt einmal welche zu schaffen!“, ärgert sich ein Kommilitone am Wochenende bei einem Bier, als Chantal über ihr Leid klagt. „In England und Amerika sind Praktika ordentlich betreut. Hier bedeuten sie für Betriebe und Verwaltungen nichts anderes als eine unbezahlte Arbeitskraft, während die Belegschaft im Urlaub ist.“

Chantal hatte sich erhofft, außerhalb der universitären Laufbahn mal Luft in der Arbeitswelt zu schnuppern, in der man sich nach dem Abschluss wiederfindet. Die Realität lässt diesen Realitätsbezug ironischerweise vermissen. In ihrer Verzweiflung recherchiert sie im Internet die aktuelle Lage – und wird auf der Seite der UNEL fündig.

Das neue, im März 2018 vorgestellte Gesetzesprojekt ändert wenig an der bestehenden Situation. Im Gegenteil: Die UNEL moniert, dass die aktuelle Vorlage die Prekarität der Praktikanten eher noch verstärkt. Absolventen von Pflichtpraktika sind immer noch gezwungen, wahlweise Kinder reicher Eltern zu sein oder sich im Nebenerwerb zu prostituieren. Davon abgesehen steht in dem Text nichts zum Thema Betreuung der Praktikanten.

Praktikanten ihrer eigenen Existenz

Gerade in der Kultur und Kreativwirtschaft ist der Einsatz von Praktikanten zwecks Kosteneinsparung geradezu notorisch – nicht dass sich Chantal tatsächlich auf ein Spitzengehalt gefreut hätte. Tatsächlich hangeln sich Berufseinsteiger teilweise derart lange von Praktika über befristete Teilzeitstellen zu Volontariaten, dass Odysseus’ Irrfahrt daneben wie ein Kurzurlaub in der Ägäis wirkt – die unbefristete Festanstellung gleicht dem fernen Ithaka.

Nach drei Wochen voller erfüllender Tätigkeiten wie dem Sortieren der Korrespondenz, dem Platzieren von Anzeigen und der Korrektur der schluderig geschriebenen Artikel der festangestellten Redakteurinnen entschließt sich Chantal zu einem Befreiungsschlag. Sie kündigt und gründet ein Start-up: Unbezahlte Arbeit, kein Plan von der zu verrichtenden Tätigkeit und geringe Aussichten auf Erfolg. Quasi ein Praktikum – nur dass sie nun ihr eigener Chef ist. Wieso soll man sich auch von Fremden ausbeuten lassen, wenn die Selbstausbeutung zumindest mit dem Gefühl von Erfüllung einhergeht?