Europa im Corona-GriffVon Lockdowns, Straßenschlachten und den Schweden – Tageblatt-Korrespondenten berichten

Europa im Corona-Griff / Von Lockdowns, Straßenschlachten und den Schweden – Tageblatt-Korrespondenten berichten
In Barcelona löschen Feuerwehrleute einen Brand nach einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen Foto: AFP/Josep Lago

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Neben Luxemburg schränken immer mehr europäische Länder angesichts rasant steigender Infektionszahlen das öffentliche Leben ein. Unsere Korrespondenten berichten aus Spanien, Portugal, Italien, Großbritannien und Österreich. Aber auch in Polen und Griechenland wurden am Wochenende neue Einschränkungen angekündigt.

Spanien: Straßenschlachten in mehreren Städten

Ein Demonstrant wirft ein Absperrgitter in Richtung der Mossos-Spezialpolizei in Barcelona   
Ein Demonstrant wirft ein Absperrgitter in Richtung der Mossos-Spezialpolizei in Barcelona    Foto: AFP/Josep Lago

Die immer größeren Corona-Beschränkungen mitsamt nächtlicher Ausgangssperre sorgen in ganz Spanien für wachsende gewaltsame Proteste. In zahlreichen Städten lieferten sich überwiegend rechtsradikale Gruppen am Wochenende Straßenschlachten mit der Polizei. Dabei wurden mindestens 30 Menschen verletzt. Die Sicherheitskräfte nahmen 60 mutmaßliche Gewalttäter in Gewahrsam. Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez verurteilte die Unruhen. „Gewalttätiges und irrationales Verhalten von einigen wenigen ist nicht hinnehmbar“, sagte Sánchez. Das helfe nicht, um die Pandemie zu bekämpfen. Spanien ist einer der größten europäischen Corona-Brennpunkte.

Spaniens zunehmend rechtsextremistische Partei Vox, die inzwischen ganz offen mit der Franco-Diktatur (1939-1975) sympathisiert, feuerte derweil die Demonstranten an. Vox-Chef Santiago Abascal machte linke Gruppen und Einwanderer für die Gewalt verantwortlich. Vox stellt nach den Sozialisten und den Konservativen die drittgrößte Fraktion im spanischen Parlament.

Die Gewalt brach aus, nachdem in ganz Spanien – mit Ausnahme der Kanarischen Inseln – eine landesweite Ausgangssperre in Kraft trat. Das Ausgangsverbot gilt in der Regel von 23 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Die örtlichen Behörden können den Beginn und das Ende jedoch um eine Stunde vorziehen oder rausschieben. Einen nationalen Lockdown, wie beim nördlichen Nachbarn Frankreich, gibt es in Spanien derzeit noch nicht. Aber inzwischen sind 13 von 17 spanischen Regionen, gut 80 Prozent des nationalen Territoriums, Corona-Sperrgebiet. (Ralph Schulze, Madrid)

Portugal: Zu Hause bleiben, ist wieder „Bürgerpflicht“

Eine Frau mit einer Gesichtsmaske geht an einem geschlossenen Restaurant in Lissabons Innenstadt vorbei
Eine Frau mit einer Gesichtsmaske geht an einem geschlossenen Restaurant in Lissabons Innenstadt vorbei Foto: AP/Armando Franca

Derweil beschloss Portugal für weite Teile der Nation einen Lockdown light. Wie schon im Frühjahr ordnete die sozialistische Regierung von António Costa die „Bürgerpflicht“ an, nach Möglichkeit zu Hause zu bleiben. Der Appell gilt für etwa 70 Prozent der Bevölkerung.

Betroffen ist vor allem der nördliche Landesteil mit den Einzugsgebieten der Großstädte Lissabon und Porto. Die im Süden liegende Algarve-Urlaubsküste ist momentan noch nicht vom Lockdown betroffen. Wirtschaft, Handel und Gastronomie werden dieses Mal nicht heruntergefahren. Auch die Schulen sollen offen bleiben. Kurze Spaziergänge und Restaurantbesuche sollen weiterhin erlaubt sein. (Ralph Schulze)

Italien: „Es ist, wie das Meer mit einem Löffel leeren“

Demonstranten stoßen in Rom bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen mit Polizisten aneinander
Demonstranten stoßen in Rom bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen mit Polizisten aneinander Foto: AP/Roberto Monaldo

Die Polizei in Florenz sprach von „Stadtguerilla“: Am Wochenende lieferten sich gegen die Corona-Einschränkungen Protestierende und Ordnungskräfte Straßenschlachten. Steine flogen, Schaufenster gingen zu Bruch. Die Polizei setzte Blendgranaten und Tränengas ein. Über dem Stadtzentrum hingen stundenlang Rauchwolken. Ähnliche Bilder gab es aus Rom und Neapel, wo Gegner der staatlichen Beschränkungen auf die Polizei trafen.

Am Sonntag versammelten sich Gouverneure der Regionen mit Regierungschef Giuseppe Conte zu einem Krisengipfel. Um einen Kollaps des Gesundheitswesens zu verhindern, sollen mit einem neuen Dekret ab Montag weitere Einschränkungen folgen. Die Sperrstunde wird auf 21 Uhr vorverlegt, private Feste werden derzeit untersagt. Auch soll das Bewegen zwischen den Regionen sowie alle Schulexkursionen untersagt werden. Schulen und Universitäten bieten nur teilweise Präsenzunterricht.

Viele Geschäfte des Einzelhandels bleiben geschlossen, ebenso Sporteinrichtungen. Italien verzeichnete am Samstag einen Anstieg auf 31.758 Neuinfektionen, 297 Menschen starben an den Folgen von Covid-19. Krankenhäuser befinden sich wie im Frühjahr im Ausnahmezustand. „Es ist, wie das Meer mit einem Löffel leeren“, beschreibt ein Intensivmediziner die Situation. (Wolf H. Wagner, Florenz)

Großbritannien: Johnson schwenkt erneut um

Boris Johnson vor einer Woche: Am Sonntag gab der britische Premier neue Maßnahmen bekannt
Boris Johnson vor einer Woche: Am Sonntag gab der britische Premier neue Maßnahmen bekannt Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas

Nach dem Scheitern des regionalen Vorgehens gegen Sars-CoV-2 verhängt die britische Regierung für ganz England einen zweiten Corona-Lockdown. Dieser soll am Donnerstag in Kraft treten und ist zunächst auf vier Wochen begrenzt. Damit werde man „ein medizinisches und ethisches Desaster“ vermeiden, sagte Premierminister Boris Johnson am Samstagabend in London.

Die wissenschaftlichen Berater der konservativen Regierung hatten dem Kabinett zuvor alarmierende neue Modellrechnungen vorgelegt. Bei ungebremstem Verlauf der Neuinfektionen würden die Krankenhäuser des Landes in der ersten Dezemberwoche ihre Kapazität erreichen, die tägliche Totenzahl stiege dann auf mehrere Tausend. In der Woche bis Samstag meldete das Gesundheitsministerium täglich durchschnittlich 22.521 Neuinfektionen sowie 259 Covid-Tote. Die Gesamtzahl der an den Folgen einer Corona-Infektion Verstorbenen liegt der Statistikbehörde ONS zufolge bei mehr als 60.000 Menschen.

Das wissenschaftliche Beratergremium hatte bereits im September einen neuerlichen, auf zwei Wochen begrenzten Lockdown („Circuit Breaker“) vorgeschlagen, um die schier unaufhaltsame Entwicklung zu unterbrechen. Diese Forderung machte sich vor drei Wochen, rechtzeitig vor den Herbstferien, Labour-Oppositionsführer Keir Starmer zu eigen. Im Labour-regierten Wales wurde die Idee ebenso umgesetzt wie in Schottland und Nordirland. Hingegen setzten die Torys für England auf eine Regionalisierung, bei der zuletzt mehr als elf Millionen Menschen vor allem im Norden mit deutlichen Einschränkungen leben mussten.

Im neuen Lockdown gilt erneut die Aufforderung zum Home-Office und der weitgehenden Vermeidung jeglicher Sozialkontakte mit Ausnahme einer Person aus einem anderen Haushalt. Geschäfte bis auf Lebensmittelläden sowie Gaststätten müssen schließen, erlaubt ist Cafés, Restaurants und Pubs lediglich ein Take-away-Service. Fitnessstudios werden ebenso geschlossen wie Kinos und Theater. Hingegen sollen Schulen und Universitäten geöffnet bleiben. (Sebastian Borger, London)

Schweden: Keine „Welle“ in Sicht

Dann wird halt draußen gesungen: Die schwedischen Opernstars Charlotta Huldt und Michael Schmidberger in Stockholm
Dann wird halt draußen gesungen: Die schwedischen Opernstars Charlotta Huldt und Michael Schmidberger in Stockholm Foto: AFP

Auch in Schweden steigt die Anzahl der Neuinfizierten wieder an. Allerdings auf viel niedrigerem Niveau als andernorts. Restriktionen für Personen über 70 wurden nun aufgehoben. Eine zweite Welle gibt es nicht, zumindest laut Gesundheitsamt, das seinen Sonderweg mit Freiwilligkeit statt Verboten weiterführt. Statt den Politikern bestimmen weiterhin Staatsepidemiologe Anders Tegnell und sein Gesundheitsamt über die Corona-Strategie des Landes.

Auf die Frage, ob es in Schweden mit seinem lockeren Sonderweg, ohne Lockdown, ohne Masken, fast ohne Verbote, sondern mit weichen Empfehlungen eine zweite Coronawelle gibt, antwortet Tegnell gegenüber dem Tageblatt mit einem knappen „Nein“. In der Tat wurden nun weitere Lockerungen durchgeführt. Die Empfehlungen für Personen über 70 Jahre, sich zu isolieren, wurden aufgehoben. Sieben Monate lang galt dieser Aufruf. „Das ist nicht mehr vertretbar“, sagte Sozialministerin Lena Hallengren. Doch die inzwischen wieder steigenden Neuinfektionszahlen auf über 900 am Tag – Werte wie im Juni – beunruhigen die Bevölkerung.

Anscheinend sind es derzeit aber in steigendem Maße jüngere Schweden, die sich bei sozialen Aktivitäten anstecken, aber zumeist milde Symptome aufweisen, weshalb Todesrate und die Anzahl von Corona-Intensivstation-Patienten weiterhin relativ niedrig sind. Anders Tegnell rief denn auch vor allem die jüngeren Schweden im TV auf: „Geht nicht auf Feiern!“ Auch andere schwedische Experten sehen noch keine zweite Welle. So auch Gunilla Karlsson Hedestam, Professorin für Immunologie: „In Schweden sieht es nicht so aus. Es geht eher sachte hoch. In Spanien, Deutschland und England gehen die Neuinfektionskurve deutlich steiler nach oben“, sagt sie der Zeitung SvD. (André Anwar, Stockholm)

Österreich: Abgefederter Light-Lockdown

Auch in Wien wurde gegen die neuen Maßnahmen demonstriert – teilweise mit mehr Maske als erfordert
Auch in Wien wurde gegen die neuen Maßnahmen demonstriert – teilweise mit mehr Maske als erfordert Foto: AFP

Weil die Spitalkapazitäten wegen eines exponentiellen Anstiegs der Corona-Neuinfektionen an ihre Grenzen stoßen, geht auch Österreich am Dienstag bis vorerst Ende November in einen zweiten Lockdown. „Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, aber sie ist notwendig“, rechtfertigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die am Sonntag vom Nationalrat abgesegneten „dramatischen Eingriffe in unser gesellschaftliches Leben“.

Zwischen 20 und 6 Uhr dürfen die Österreicher ihre Wohnungen nur noch beruflich, zur Deckung von Grundbedürfnissen, Betreuung Hilfsbedürftiger, Abwehr von Gefahren sowie zur Erholung verlassen. Die Ausnahmen sind so breit gefächert, dass ihr Erfolg vor allem von der Vernunft der Adressaten abhängen wird. Allerdings gibt es ohnehin kein Nachtleben: Im öffentlichen Raum dürfen sich nur sechs Personen aus maximal zwei Haushalten näher kommen als die Ein-Meter-Abstandsregel vorschreibt. Das gilt auch tagsüber. Die gesamte Gastronomie wird geschlossen, lediglich die Zustellung von Speisen ist erlaubt. In Hotels dürfen nur noch beruflich Reisende nächtigen. Untersagt sind auch fast alle Veranstaltungen wie Kulturevents, Hochzeits-, Geburtstags- und Jubiläumsfeiern sowie die eigentlich ab Mitte November startenden Weihnachtsmärkte.

Anders als beim Lockdown im Frühjahr bleiben dieses Mal nicht nur Lebensmittelgeschäfte und Apotheken, sondern der gesamte Handels- und Dienstleistungsbereich vorerst offen. Zwar protestierte die oppositionelle FPÖ, deren Obmann Norbert Hofer gestern positiv auf das Virus getestet wurde, gegen die Maßnahmen, insgesamt hält sich die Kritik aber in Grenzen. Das liegt auch am Fortgelten der im März von Kurz ausgegebenen „Koste es, was es wolle“-Parole: Vom Lockdown betroffene Unternehmen erhalten 80 Prozent des im November 2019 erzielten Umsatzes als Entschädigung. (Manfred Maurer, Wien)

Verwirrte Belgier, testende Slowaken

Schlangestehen beim Massentest: In der Slowakei wurden am Samstag gut 2,5 Millionen Menschen und damit fast die Hälfte der Bevölkerung getestet 
Schlangestehen beim Massentest: In der Slowakei wurden am Samstag gut 2,5 Millionen Menschen und damit fast die Hälfte der Bevölkerung getestet  Foto: AFP/Vladimir Simicek

Polen schloss die Friedhöfe am Sonntag, wo sonst an Allerheiligen Millionen der überwiegend katholischen Bürger ihrer Toten gedenken. In der Slowakei wurden am Samstag gut 2,5 Millionen Menschen und damit fast die Hälfte der Bevölkerung getestet. Ein Prozent oder fast 26.000 von ihnen waren positiv und müssen in Quarantäne. Damit wird das Land einen Lockdown vermeiden. Die übrigen Einwohner – ausgenommen Kinder unter zehn Jahren – sollen in der kommenden Woche getestet werden. Griechenland, das bisher vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen ist, verzeichnet ebenfalls einen starken Anstieg der Infektionen. In nördlichen Landesteilen und auch im Gebiet um Athen müssen Bars und Restaurants schließen. 

Mit dem jüngsten Teil-Lockdown in Belgien treten erneut verstärkte Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie in Kraft. Wie so oft in Belgien sind sich die Regionen in verschiedenen Punkten nicht einig und somit ist das Chaos im Verordnungsdschungel perfekt. Bestes Beispiel: nächtliche Ausgangssperre zu unterschiedlichen Zeitspannen. Die Regierungen der Wallonie und Brüssel legten die nächtliche Ausgangssperre auf die Zeitspanne zwischen 22 Uhr und 5.00 Uhr. In Flandern, und somit auch an der belgischen Küste, gilt das nächtliche Ausgangsverbot von Mitternacht bis 5 Uhr morgens. An der belgischen Küste veröffentlichten die Gemeinden sowie der Provinzgouverneur in den letzten Stunden erneut eigene Regeln. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist einheitlich an allen Deichen der Küste obligatorisch, dies bis zum 15. November. Am Strand hingegen ist man von der Maskenpflicht befreit. Die Gemeinden Nieuwpoort, De Panne und Koksijde ihrerseits führen den obligaten Mund-Nasen-Schutz erneut auf dem gesamten Gemeindegebiet ein, dies für eine unbegrenzte Zeit. (A.B., A.F., Agenturen)

J.Scholer
2. November 2020 - 14.11

@Schmatt: Diese Pandemie ist Auslöser längst vorhersehbarer Differenzen zwischen Gesellschaft und empfänglicher Autorität. Das Virus an den Pranger stellen scheint der Realität nicht ins Auge zuschauen. Die Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen, politischen Ansichten , auch wie der Extreme Wohlstand , das „ mir béit keen den Arm » führen wohl dazu „geet et dem Iesel ze wuel, geet hien op d‘Ais danken“.

de Schmatt.
2. November 2020 - 9.27

Dieses Virus scheint nicht nur gefährlich für den menschlichen Körper sondern bei so manchen auch für den Geist zu sein. Er macht angst und aggressiv. Eine Pandemie bekämpft man nicht auf der Strasse. Es gibt strikte Regeln, die man während einer (un)bestimmten Zeit einhalten muss. Umso strikter diese Massnahmen befolgt werden, umso eher kriegen wir Corona in den Griff.