Luxemburg-StadtVirtuelle Realität macht es möglich: Eine Zeitreise ins frühere Pfaffenthal 

Luxemburg-Stadt / Virtuelle Realität macht es möglich: Eine Zeitreise ins frühere Pfaffenthal 
Nach dem Aufsetzen der grauen Geräte können Gäste des Minizuges in die Geschichte des hauptstädtischen Viertels Pfaffenthal eintauchen Foto: Editpress/Tania Feller

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Das Wochenende steht vor der Tür und den ein oder anderen zieht es dann vielleicht in die Luxemburger Hauptstadt. Diese kann man seit einer Woche aus einer neuen Perspektive entdecken – oder zumindest einen Teil davon. Denn seit Anfang Mai haben Fahrgäste des „Pétrusse Express“ die Möglichkeit, dank modernster Technik eine Zeitreise ins frühere Pfaffenthal zu unternehmen. 

Touristen spazieren über die Montée de Clausen in Luxemburg-Stadt. Immer mal wieder bleiben sie stehen, um ein Foto der sich darbietenden Kulisse zu machen. Wie gewöhnlich steht an diesem sonnigen Wochentag im Mai an einer Haltestelle mit dem Schriftzug „Pétrusse Express“ ein kleiner, grüner Zug. Doch es gibt eine Neuheit in dem Fahrzeug, das zum gewohnten Stadtbild schon fast dazugehört: Denn seit einer Woche können dessen Gäste gegen Ende der Tour eine Brille für virtuelle Realität (VR) aufsetzen und so in das historische Pfaffenthal um 1867 eintauchen. 

In der ersten Woche nach der offiziellen Eröffnung fährt der Geschäftsführer von „Urban Timetravel“, Johannes Berdin, im Minizug mit, um zu sehen, wie die Neuheit ankommt
In der ersten Woche nach der offiziellen Eröffnung fährt der Geschäftsführer von „Urban Timetravel“, Johannes Berdin, im Minizug mit, um zu sehen, wie die Neuheit ankommt Foto: Editpress/Tania Feller

Das, während der Zug in der realen Welt durch das hauptstädtische Viertel rollt. „Das GPS erkennt die Bewegungen des Fahrzeuges und sorgt dafür, dass diese so weit wie möglich mit dem übereinstimmen, was die Nutzer durch die Brille sehen“, erklärt Johannes Berdin. Er ist Geschäftsführer des Luxemburger Start-ups „Urban Timetravel“, das hinter der Technik der virtuellen Realität an Bord des Minizuges steckt. Gemeinsam mit dem Unternehmen „Moyocci“ und der Stadt Luxemburg wurde das Projekt umgesetzt – vier Jahre lang wurde daran getüftelt. In den ersten Tagen nach der offiziellen Eröffnung sitzt Johannes Berdin nun im „Zichelchen“, um sich alles anzusehen und Verbesserungen an der Software der Brillen vorzunehmen. 

An diesem Wochentag im Mai bleibt Johannes Berdin – neben den beiden Testerinnen aus der Redaktion des Tageblatt – der einzige Gast für die Fahrt um 11 Uhr. Platz ist im ersten Wagon mit den kabellosen VR-Brillen für 15 Personen. Gerade am langen Wochenende nach der Einweihung am vergangenen Freitag haben laut Berdin allerdings viele Menschen die VR ausprobiert. Tickets dafür bekommt man online oder an der Verkaufsstelle, nur wenige Meter vom Startpunkt der Tour mit dem „Pétrusse Express“ entfernt. Insgesamt 29,50 Euro kostet das für eine Person – ein Ausflug zu zweit macht sich demnach mit knapp 60 Euro durchaus in der Brieftasche bemerkbar. 

Plötzlich in Kutsche unterwegs

Dafür bekommt man circa 60 Minuten Fahrt, auf der man während der letzten 15 Minuten die VR-Brille trägt. Zuerst aber führt die Tour – immer mit Blick auf die beeindruckende Kulisse der Hauptstadt – vom Startpunkt bei den Kasematten aus auf holperigem Weg über Pflastersteine zum Gelände des Altenheims „Op der Rhum“. Entlang der Abtei Neumünster geht es danach weiter in gemächlichem Tempo durch den Grund und anschließend hoch in Richtung Oberstadt. Über die kostenlosen Kopfhörer kann man sich in sieben Sprachen Informationen zur Geschichte des Großherzogtums, der Kasematten oder der Roten Brücke anhören.

Und dann geht es endlich auf Zeitreise: In Höhe der ehemaligen Senfproduktionsstätte „Muerbelsmillen“ in Pfaffenthal werden die Fahrgäste des ersten Waggons dazu aufgefordert, die vor ihnen angebrachten VR-Brillen aufzusetzen. Das geht bei den doch etwas klobigen Geräten problemlos und ohne weitere Hilfe. Brillenträgerinnen und -träger können ihre Gestelle aufbehalten, aber: „Eine dunkle Sonnenbrille sollte man absetzen, damit geht es nicht so gut“, erklärt Johannes Berdin. Und schon sieht man vor sich nicht mehr die Lokomotive des Zuges, sondern wird stattdessen von einem fiktiven Kutscher durch das Viertel gefahren. 

Während 15 Minuten legt der „Zichelchen“ eine Distanz von rund 1,2 Kilometern durch das reale Pfaffenthal zurück, während die Fahrgäste sehen, wie es dort in der Zeit rund um 1867 aussah: Wo heute linker Hand eine Jugendherberge steht, zeigt die virtuelle Realität eine freie Rasenfläche mit einzelnen Bäumen. Wer beim Durchqueren der engen Gassen dann den Blick nach links und rechts schweifen lässt, sieht, wie früher das Café hieß, in dem heute Menschen wohnen. Tatsächlich taucht man so in die Welt von früher ein und erschrickt schon mal, wenn in der Realität unüberhörbar ein Motorrad vorbeirauscht. 

Gerade spannend für Einheimische 

Auch wenn in solchen Momenten die Versuchung groß ist: Die VR-Brille absetzen, um so zwischen Realität und Virtualität hin- und herzuwechseln – das sollte man lassen. Denn sonst könnte einem flau im Magen werden. „Wir haben deshalb sogar diese Spucktüten hier. Diese mussten bisher aber noch nicht genutzt werden“, erklärt Berdin und zeigt auf die Tüten, die gleich neben den Brillen parat hängen. Mit Verlassen des Pfaffenthals endet dann auch der Ausflug in die fiktive Welt und es geht zurück zum Ausgangspunkt.  

Zeit also für ein Fazit: Ein Erlebnis ist der Ausflug ins historische Pfaffenthal allemal. Spannend daran ist, dass die gewohnte Umgebung nach Aufsetzen der VR-Brille plötzlich anders aussieht. Gerade deshalb dürfte die Fahrt in die Vergangenheit auch für Einheimische interessant sein. Wer allerdings hohe Standards an die grafische Qualität stellt, könnte von der virtuellen Erfahrung etwas enttäuscht werden. Denn auch wenn beim Blick durch die VR-Brille die Dinge in der unmittelbaren Umgebung sehr scharf erscheinen, ist der dargestellte Hintergrund doch recht verschwommen. 

Praktische Informationen

Tickets für die Tour im „Pétrusse Express“ bekommt man online unter moyocci.com oder sightseeing.lu sowie an einer mobilen Verkaufsstelle in Nähe des Startpunktes in der Montée de Clausen in der Luxemburger Hauptstadt: 29,50 Euro kostet ein Ticket für Erwachsene, 24 Euro jenes für Kinder bis zwölf Jahre. Kleinkinder zwischen null und drei Jahren fahren kostenlos mit. Für Familien gibt es Vergünstigungen. Eine einfache Tour mit dem „Zichelchen“ – ohne virtuelle Realität (VR), aber mit Audioführer – kostet Erwachsene 14,50 Euro und Kinder 9 Euro. Der Minizug mit den VR-Brillen an Bord fährt täglich und immer zur vollen Stunde: morgens ab 10 bis zur letzten Fahrt um 17 Uhr. Lediglich um 14 Uhr wird keine Tour angeboten.

Sowohl von Johannes Berdin wie auch in der offiziellen Pressemitteilung zur virtuellen Realität im „Pétrusse Express“ heißt es, dass das Produkt im Laufe der bis zum 1. November dauernden Saison den letzten Schliff bekommt. Das sollte aber niemanden von einer Probefahrt abhalten. Dafür könnte allerdings der Preis sorgen – hier muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden, ob einem das Erlebnis 29,50 Euro wert ist. Was einem auf jeden Fall in Erinnerung bleibt, ist die doch etwas holperige Fahrt. Da die Menschen allerdings auch früher schon mit ihren Kutschen über die Pflastersteine der Luxemburger Hauptstadt rumpelten, sorgt vielleicht gerade das für einen gewissen Grad an Authentizität.