DeutschlandVerteidigungsministerin Christine Lambrecht tut sich schwer in ihrem Amt

Deutschland / Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tut sich schwer in ihrem Amt
Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sprach gestern im Deutschen Bundestag  Foto: dpa/Kay Nietfeld

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Die große Geste liegt ihr nicht. Und offensichtlich wollte Christine Lambrecht das ihr unerwartet zugefallene Amt der Verteidigungsministerin geräuschlos verwalten. Der Krieg veränderte alles. Und lässt Schwächen nun umso greller hervortreten.

Endlich kann die Ministerin, die seit ihrem Amtsantritt von Zweifeln begleitet wird, etwas rundum Positives verkünden. Als Christine Lambrecht in Brüssel vor die Kameras tritt, weiß sie, dass es um den „Strategischen Kompass“ der EU geht, um die darin zentral vorgesehene „Schnelle Eingreiftruppe“, deren „Herzstück“ die Bundeswehr stellen könne. Also einige hundert Soldatinnen und Soldaten. Und dann sagt sie, dass sie gleich anbieten werde, dass die Bundeswehr das „Herzstück“ des „Strategischen Kompass“ stellen werde, nämlich die „Schnelle Eingreiftruppe“. Alle Wörter untergebracht. Nur: Jetzt erwarten alle, dass Deutschland 5.000 Kräfte bereitstellt. Und die SPD-Politikerin ist mit Anlauf in einem neuen Fettnäpfchen gelandet.

„Im militärischen Sprachgebrauch ist sie nicht besonders sattelfest“, urteilt einer, der sie nun seit Amtsantritt aus der Nähe beobachtet. Bereits an ihren ersten Tagen als „IBuK“, also als „Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt“ soll sie sich die Frage gestellt haben, ob sie sich all die Bezeichnungen, Dienstränge und Abkürzungen tatsächlich merken müsse. Das Fremdeln beruhte auf Gegenseitigkeit. Als die neue Chefin von 200.000 Soldatinnen und Soldaten feststand, mussten die meisten von ihnen erst einmal ihren Namen googeln. Auch die Auserwählte selbst hatte laut ihrem Umfeld eher damit gerechnet, vom Justiz- ins Innenministerium zu wechseln. Doch da schlug ihre hessische Parteifreundin Nancy Faeser auf. Offensichtlich, um sich für das Rennen um die Macht in Wiesbaden profilieren zu können.

Und so sitzt nun nicht nur die erste Sozialdemokratin auf dem Stuhl der Genossen Helmut Schmidt, Georg Leber, Hans Apel, Rudolf Scharping und Peter Struck, sondern auch die erste Parteilinke. Die SPD-Vorgänger vom konservativen Flügel hatten schon vorher eine Affinität zum Militärischen oder entwickelten diese umgehend. Lambrecht dagegen gehört zu den Vorzeigegrößen der Parlamentarischen Linken, tat sich traditionell schwer mit Bundeswehr-Einsätzen und gab bei vergleichsweise bescheidenen Etatzuwächsen für die Verteidigung 2016 zu Protokoll, eine derartige „exorbitante Ausweitung“ der Militärausgaben abzulehnen.

Am zweiten Kriegstag Zeit für Maniküre und Shoppen

Bereits ihren Aufstieg zur Bundesjustizministerin 2017 begleiteten Erklärungen, wonach die SPD damit zeige, wie dünn ihre Personaldecke geworden sei. Sie fand sich dann jedoch schnell in ihre Rolle, arbeitete verlässlich, zielstrebig und erfolgreich – jedenfalls aus Sicht sozialdemokratischer Strategen. Und schulterte nach dem Wechsel von Franziska Giffey nach Berlin ein halbes Jahr lang zusätzlich das Familienministerium. Sie weiß also, wie Ministerien zu leiten sind. Und so gab es offenbar die Erwartungen, dass sie nicht viel falsch machen würde, wenn sie das in der Klimakrise absehbar in die zweite Reihe rückende Haus eine Weile verwalten sollte.

Doch dann begann Putin den Krieg. Und alles wurde anders. Auch die Anforderungen an eine IBuK. Schon gestandene Männer waren krachend gescheitert bei dem Versuch, das Verteidigungsministerium durch Krisen zu führen: Franz Josef Strauß etwa, oder Rupert Scholz, und auch Franz-Josef Jung belegte nachträglich, dass dieser Chefsessel leicht zum Schleudersitz wird. Selbst ein Karl Theodor zu Guttenberg stolperte zwar über persönliche Plagiat-Probleme, musste danach jedoch mit dem Vorwurf leben, die Bundeswehr fast vor die Wand gesetzt zu haben. Als nun Meldungen kursierten, dass Lambrecht am zweiten Kriegstag, von Bodyguards beschützt, Zeit für die Maniküre und fürs Shoppen in einem Luxuskaufhaus hatte, fühlten sich manche an den Anfang vom Ende der Amtszeit Scharpings erinnert: Er posierte mit seiner Lebensgefährtin im August 2001 planschend im Pool, während seine Soldaten sich auf einen gefährlichen Einsatz vorbereiteten.

Doch Stilfragen stehen nicht im Zentrum der aktuellen Kritik. So oft die Frustration über ausbleibende deutsche Unterstützung für die Ukraine in Empörung übergeht, rückt Lambrecht ins Bild. Kiew bat um Waffen, Lambrecht war stolz auf die – verspätete – Lieferung von Schutzhelmen. Nach dem Positionswechsel hin zu Waffen schien sie nur die Geheimhaltung vor weiteren Peinlichkeiten zu schützen. Panzerabwehr nur in kleinen Teilen, Schützenpanzer erst einmal gar nicht – Anfang der Woche platzte CSU-Chef Markus Söder der Kragen, forderte die Ablösung Lambrechts, die „komplett überfordert“ sei und Deutschland vor der Ukraine regelrecht blamiere.

Kritik ebbt nicht ab

Damit stabilisierte Söder die Angeschossene. Denn er zwang die SPD, die Reihen hinter ihr zu schließen. Zuerst bescheinigte ihr Parteichef Lars Klingbeil, sie habe das „volle Vertrauen der Partei“, dann zog der Kanzler nach: Lambrecht unternehme „alles“, was „machbar“ sei. Unter der Hand wird verbreitet, die einstige Kritikerin auswachsender Verteidigungsetats habe hartnäckig ihren Anteil an der Kanzler-Zusage, künftig das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einzuhalten. Und mit dem 100-Milliarden-Sonderfonds fließt das Geld in den nächsten Jahren so üppig, wie es sich alle ihre Vorgänger nur erträumen konnten.

Allerdings ebbt die Kritik weder von links noch von rechts ab. Für „grundfalsch“ hält Linken-Verteidigungsexpertin Zaklin Nastic Lambrechts „deutliche Aufrüstung“. Und AfD-Bundeswehrfachmann Rüdiger Lucassen verweist nicht nur darauf, dass Lambrecht die Funktionsweise der Bundeswehr nicht kenne. Sie scheine auch „auf die enorme Expertise in ihrem Ministerium weitgehend zu verzichten“.

Einstweilen sitzt Lambrecht vom Kanzler gesichert auf ihrem Stuhl, aber sowohl die Anti-Aufrüstungsreflexe auch ihrer eigenen politischen Heimat als auch die mangelnde Nutzung von Wissen können in Kombination mit eigener fehlender Kenntnis in turbulenten Zeiten leicht tückisch in Topjobs werden.