Mittwoch12. November 2025

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Mehrere Schiffe halfen nichtUnglaubliche Odyssee: Rafie treibt tagelang im Schwimmreifen übers Mittelmeer

Mehrere Schiffe halfen nicht / Unglaubliche Odyssee: Rafie treibt tagelang im Schwimmreifen übers Mittelmeer
Seit Jahresbeginn kamen bereits mehr als 7.000 Migranten übers Mittelmeer nach Spanien – die meisten mit Booten Symbolfoto: AFP

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Ein junger Migrant aus Ägypten treibt zwei Tage hilflos auf einem aufgeblasenen Kinderschwimmreifen im Mittelmeer. Der Erschöpfung nahe, kämpft der Mann namens Rafie um sein Leben. Fünf Schiffe, die in Sichtweite seinen Weg kreuzen, ignorieren ihn. Erst eine andalusische Familie, die vor der südspanischen Küste der Badestadt Malaga mit einer Jacht unterwegs ist, reagiert und rettet den 23-Jährigen.

Es ist eine dramatische Geschichte voller Hoffnung, Verzweiflung und dem Überlebenswillen eines Menschen. Zwei Tage und zwei Nächte trieb er auf dem Meer, mit nichts als einem Neoprenanzug, ein paar Schwimmflossen an den Füßen und einem halb aufgeblasenen Schwimmring, wie ihn Kinder am Strand benutzen. Die Rettung spielte sich bereits Mitte Juli ab, wurde aber erst jetzt bekannt, nachdem Rafie seine Geschichte der großen spanischen Zeitung El País erzählte.

Am 16. Juli, rund 20 Kilometer vor der Küste Malagas, entdeckt eine spanische Familie den Mann im Wasser. Zunächst halten sie ihn für ein Tier: „Aus der Ferne sah er aus wie ein Fisch oder ein Vogel. Es war ein schwarzer Fleck im Meer“, berichtet der Skipper. Doch nach einem Blick durch das Fernglas wird klar: Es ist ein Mensch, der mit den Armen verzweifelt Signale macht und um Hilfe bittet.

Auf einem Video sieht man, wie der im Schwimmreifen treibende Mann mit letzter Kraft zum Boot schwimmt und ihm die Besatzung ein Tau zuwirft. Dann ziehen ihn die Helfer an Bord. „Ich konnte kaum sprechen, aber ich war am Leben“, erinnert sich Rafie. Man sieht ihn auf Bildern erschöpft auf dem Deck des Bootes liegen. Besatzungsmitglieder wickeln den Geretteten in eine Decke, geben ihm Wasser.

Vor der Rettung waren bereits fünf andere Boote an dem verzweifelt um Hilfe Bittenden vorbeigefahren. „Ich bin auf sie zugeschwommen, sie haben das Fernglas benutzt, mich gesehen – aber sie wollten nicht helfen“, erinnert er sich. Dabei ist Hilfeleistung nach dem internationalen Seerecht verpflichtend.

Spanische Exklave Ceuta war das eigentliche Ziel

Die Flucht beginnt zwei Nächte zuvor, am 14. Juli um 23 Uhr, an der marokkanischen Küste bei dem Ort Castillejos. Gemeinsam mit einem 17-jährigen Freund steigt Rafie ins Meer. Ihr Ziel ist Ceuta, die nur wenige Kilometer entfernte spanische Exklave, die an der nordafrikanischen Küste von marokkanischem Territorium umgeben ist.

Die beiden Ägypter wollen nachts in Ufernähe zur Küste Ceutas schwimmen. Die spanische Festungsstadt mit 83.000 Einwohnern gehört zur Europäischen Union. Sie haben monatelang trainiert, Neoprenanzüge und Flossen auf einem marokkanischen Basar gekauft. Doch auf dem Meer macht ihnen der Wind einen Strich durch die Rechnung – sie treiben aufs offene Meer: „Nach ein paar Stunden wurde der Wellengang brutal und hat uns getrennt“, erzählt Rafie.

„Ich hatte Angst um meinen Freund und um mich.“ Die Stunden auf dem Wasser sind ein Kampf gegen Hitze, Erschöpfung, Durst und den eigenen Verstand. „Ich hatte katastrophale Gedanken. Aber ich wusste, dass ich meine Energie einteilen musste, um zu überleben.“ Immer wieder fleht er zu Gott: „Bitte, lass Land auftauchen oder ein Boot.“

Schließlich kam die Rettung, an die er schon nicht mehr geglaubt hatte. „Ich erinnere mich genau an das Gefühl, als ich aufs Deck fiel – es war, als wäre ich wiedergeboren.“

Rafie stammt aus einer ägyptischen Stadt am Nil

Rafie stammt aus der ägyptischen Stadt Al-Minya am Nil, rund 250 Kilometer südlich von Kairo. Dort lernte er im Nil schwimmen. Getrieben von Armut und Verzweiflung verlässt er 2020 Ägypten, um Europa zu erreichen. Sein Ziel ist Frankreich. Doch der Weg nach Europa ist lang und voller Hindernisse.

Zunächst kommt er ins ägyptische Nachbarland Libyen, arbeitet dort vier Jahre auf Feldern und Baustellen, um Geld für die Fahrt übers Mittelmeer zu verdienen. Der Migrationsweg führt ihn dann weiter nach Algerien und von dort schließlich nach Marokko.

Viermal versucht er von Marokko aus, die mit hohen Zäunen gesicherte Landgrenze zu Ceuta zu überwinden – vergeblich. Für die Überfahrt nach Europa per Boot verlangen die Menschenschlepper 3000 Euro. Das war zu viel für Rafie. Also beschließt er, schwimmend Ceuta zu erreichen.

Seit Jahresbeginn kamen bereits mehr als 7000 Migranten übers Mittelmeer nach Spanien. Das sind rund 20 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die meisten kommen mit Booten. Während auf der westlichen Mittelmeerroute Richtung Spanien die Zahl der Bootsflüchtlinge wieder zunimmt, sinkt sie auf der Atlantikroute, die von Westafrika zu den spanischen Kanareninseln führt. Dort gehen die Ankünfte in diesem Jahr um 40 Prozent zurück.

Die europäische Grenzschutzeinheit Frontex verweist in ihrer Bilanz für das erste Halbjahr 2025 darauf, dass die irregulären Grenzübertritte in Europa weiterhin abnehmen – und zwar seit Jahresbeginn um etwa 20 Prozent. Diese positive Gesamttendenz gilt auch für die Migration übers Meer nach Südeuropa: Generell nimmt die Zahl der Bootsankünfte ab, auch wenn sich die Routen immer wieder zwischen Griechenland, Italien und Spanien verschieben.