Zerstörung des Kachowka-StaudammsUkrainer verlieren Häuser und fürchten Seuchen

Zerstörung des Kachowka-Staudamms / Ukrainer verlieren Häuser und fürchten Seuchen
Satelliten-Bilder des Unternehmens Maxar zeigen die Zerstörungen am Staudamm Foto: Satellite image © 2023 Maxar Technologies/AFP

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Einen Tag nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine kristallisiert sich das Ausmaß der Katastrophe langsam heraus. Viele Menschen mussten ihre überschwemmten Häuser verlassen. Zudem wurde in den Flutgebieten die Ausbreitung von Seuchen befürchtet.

Die Vereinten Nationen (UN) erklärten, der Dammbruch werde schwerwiegende und weitreichende Folgen für Tausende von Menschen auf beiden Seiten der Front haben, die vom Fluss Dnipro getrennt wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, Hunderttausende Menschen hätten keinen normalen Zugang zu Trinkwasser mehr. In der russisch kontrollierten Stadt Nowa Kachowka direkt an der geborstenen Staumauer wurden russischen Angaben zufolge mindestens sieben Menschen vermisst.

In Nowa Kachowka waren russischen Angaben zufolge am Mittwoch bis zu 100 Menschen eingeschlossen. Rettungseinsätze für diese Menschen liefen, sagt der von Russland eingesetzte Bürgermeister, Wladimir Leontjew, der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Das Ausmaß der Katastrophe sei riesig, sagte Leontjew laut der Agentur Ria. Es drohten Seuchen. Von den Einsatzkräften verlautete laut Ria, ein Friedhof und eine Tierkadaver-Sammelstelle seien überflutet worden.

In den Flutgebieten wateten Bewohner durch überschwemmte Straßen mit Kindern auf ihren Schultern, Haustieren auf dem Arm und Plastiktüten mit ihren Habseligkeiten in der Hand. Retter versuchten, mit Schlauchbooten in die Gebiete vorzudringen, wo das Wasser bereits Kopfhöhe erreicht hatte. Olexandr Rewa, der in einem ukrainisch kontrollierten Dorf am Ufer des Dnipro wohnt und dessen Haus in den Fluten zu versinken droht, machte die russischen Truppen für die Zerstörungen verantwortlich. „Sie hassen uns“, sagte er. „Sie wollen die ukrainische Nation und die Ukraine selbst zerstören. Und die Mittel sind ihnen egal. Ihnen ist nichts heilig.“ Rewa brachte den Besitz seiner Familie in ein verlassenes Haus in der Nachbarschaft, die etwas höher liegt.

Ukrainischen Angaben zufolge waren insgesamt rund 42.000 Menschen auf beiden Uferseiten des Dnipro von Überschwemmungen bedroht. „Das gesamte Ausmaß der Katastrophe wird erst in den kommenden Tagen voll bewusst werden“, sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths vor dem Sicherheitsrat.

80 Ortschaften wurden evakuiert

Die Wasserpegel in einigen von Russland kontrollierten Gebieten von Cherson werden einem Tass-Bericht zufolge noch drei bis zehn Tage lang hoch bleiben. Die Agentur berief sich bei ihrer Prognose auf Rettungsdienste. Experten hatten zuvor erklärt, der Höchststand könnte bereits am Mittwoch erreicht werden. Auch Olexij Kuleba, ein Vertreter der Regierung in Kiew, äußerte die Hoffnung, dass es nach Mittwoch keinen weiteren Anstieg der Pegel mehr gebe. In 17 Ortschaften mit insgesamt 16.000 Bewohnern sei der Höchststand bereits erreicht worden.

Die ukrainischen Behörden ordneten die Evakuierung von rund 80 von Überschwemmungen bedrohten Ortschaften in der gesamten Oblast Cherson an. Dafür wurden Busse, Züge und Privatfahrzeuge eingesetzt. Während die Evakuierungen im Großraum Cherson liefen, wurde von russischen Angriffen auf die Stadt berichtet. Bei dem Beschuss seien ein Mensch getötet und ein weiterer verletzt worden, teilten die Behörden mit. Umgekehrt beschuldigte auch Russland die Ukraine, Flutgebiete anzugreifen.

Berichte über Todesopfer durch die Überschwemmungen gab es zunächst nicht. Aber ein Sprecher der US-Regierung sagte, die Überflutungen dürften vielen Menschen das Leben gekostet haben. Neue Gefahren drohten in Teilen der Oblast Cherson durch die Überflutung einiger russischer Minenfelder, wie der von Russland eingesetzte Gouverneur der besetzten Gebiete in Cherson, Wladimir Saldo, Tass zufolge mitteilte. Frei gespülte Minen bergen eine große Gefahr, denn sie können von den Wassermassen unkontrolliert verbreitet werden und beim Aufprall auf Bäume oder Gebäude detonieren.

USA: Verantwortung für Zerstörung unklar

Die USA erklärten, es sei unklar, wer wirklich die Verantwortung für die Zerstörung des riesigen Damms in der Nacht zu Dienstag trage. Der US-Botschafter bei den UN, Robert Wood, betonte aber vor Journalisten, dass es für die Ukraine keinen Sinn ergebe, den Damm zu zerstören und der eigenen Bevölkerung Leid zuzufügen. Die Ukraine wirft Russland vor, wissentlich ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. Russlands Präsident Wladimir Putin sprach dagegen von einer barbarischen Tat der Ukraine. Der Dammbruch sei eine Katastrophe – sowohl für die Menschen als auch für die Umwelt, zitierte die Nachrichtenagentur Tass den Präsidenten aus einer Mitteilung des Kreml. Russland beschuldigt die Ukraine, mit der Zerstörung des Damms von einem angeblichen Scheitern einer eigenen Großoffensive ablenken zu wollen.

So widersprach das russische Verteidigungsministerium ukrainischen Angaben zu Kämpfen bei der ostukrainischen Stadt Bachmut. Das Ministerium erklärte, die Ukraine habe dort eine Reihe erfolgloser Offensiven gestartet. Zuvor hatte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar mitgeteilt, ukrainische Truppen seien an der Front bei Bachmut um bis zu rund einen Kilometer vorgestoßen und nicht länger in der Defensive. Bachmut war im Mai nach monatelangen, erbitterten Kämpfen an Russland gefallen. Berichte zum Kampfgeschehen können unabhängig nicht überprüft werden. (Reuters)