FachtagungÜberall und nirgendwo: Was machen die portugiesischen Gastarbeiter bei Rentenantritt?

Fachtagung / Überall und nirgendwo: Was machen die portugiesischen Gastarbeiter bei Rentenantritt?
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Den Zukunftstraum hegen sie während ihres gesamten Arbeitslebens: Nach der Rente geht es zurück in die Heimat, dann wird das Ferienhäuschen zum festen Wohnsitz. Wenn es dann so weit ist, sieht die Wirklichkeit häufig anders aus. Wissenschaftler haben den Gewissenskonflikt und die Realitäten zwischen Verweilen und Rückkehr analysiert.

„Sobald ich in Rente bin, geht es zurück nach Portugal. Dort warten Haus und Garten und ein großer Teil der Familie freut sich auf unsere Rückkehr.“ Rosa* hat keine Zweifel an ihrer künftigen Lebensplanung. Schließlich wurde das Haus in Portugal bereits so umgebaut, dass es ganzjährig bewohnbar ist. Der große Garten wartet quasi darauf, bewirtschaftet zu werden und mit den Schwestern gibt es so viel zu bereden.

Rosas Kinder und Enkelkinder werden in Luxemburg bleiben, sie wollen neben dem bisherigen obligaten Portugal-Sommeraufenthalt weitere schöne Ferienorte kennenlernen. Die bis dahin eng vernetzte Familie wird damit wohl auseinanderbrechen. Oder die Eltern überlegen es sich anders und bleiben letztendlich doch in Luxemburg beziehungsweise werden zu Pendlern und machen mehrmals im Jahr die Reise.

Wie akzeptieren die zurückgebliebenen Kinder diese Entscheidungen? Wie leben die Ehepaare die Rückkehr ins Heimatdorf und die Tatsache, dass sie nur mehr zu zweit sind? Wie gut kommen sie mit ihren neuen Lebensumständen klar? Und wie willkommen sind sie nach 30 oder mehr Jahren und einer Menge neuer Erfahrungen in ihrem ursprünglichen Umkreis?

Viele Fragen

All diese Fragen standen im Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Fachtagung des Düdelinger „Centre de documentation sur les migrations humaines“ (CDMH) in Zusammenarbeit mit der Uni Luxemburg. Die Arbeiten waren eines der ersten Ereignisse von Esch2022. Der Erfahrungsaustausch wird im Kulturjahr, im April 2022, mit einer Ausstellung vervollständigt, die unter dem Stichwort „Lusitalia“ den Wandel des Stadtviertels „Italien“ beschreibt.

Vom rein italienischen ist dieses Stadtviertel heute ein portugiesischer und multikultureller Lebensraum geworden. Die Soziologin Heidi Martins hat die Vorstellungen, Wünsche und Ziele der Bewohner studiert und unterschiedliche Haltungen ausgemacht. Eine davon kennen die Luxemburger: Die italienischen Einwanderer sind größtenteils hier im Land geblieben, die portugiesischen zieht es häufiger zurück in die Heimat.

Wie die Menschen, mit denen sie sich beschäftigt, ist auch Heidi Martins eine Emigrantin. Luxemburg hat die Studentin der Universität des Minho (Region im Norden von Portugal) in ihrem Erasmus-Jahr kennengelernt. Dabei hat sie sich erstmals mit dem sozialen Umfeld der Menschen beschäftigt. Diese Aspekte hat sie dann in Louvain-la-Neuve vertieft und mit einem Master in Soziologie und Anthropologie abgeschlossen. 2019 hat sie an der Uni Luxemburg ihre Doktorarbeit über Zugehörigkeit und Entfremdung portugiesischer Immigranten geschrieben. Seit Januar 2020 leitet sie das CDMH in Düdelingen.

Sie unterscheidet sich insofern von den portugiesischen Einwanderern in Luxemburg, dass sie ihre Entscheidung, sich bei uns niederzulassen, nicht aus Not, sondern aus freien Stücken und ohne Zwang getroffen hat.

„Sie versteht uns nicht immer“, sagt Maria*. Die Portugiesin mit mittlerweile luxemburgischem Pass, wurde im Stadtviertel Italien geboren und war ursprünglich ein Studienfall von Martin. Der berufliche Kontakt wurde zur Freundschaft und Zusammenarbeit. Maria hat die Bewohner des Viertels „Italien“ ausfindig gemacht, die nach Portugal zurückgekehrt sind, Heidi Martin hat die Form und die Umstände ihrer Rückkehr studiert. Ein Beispiel ihrer Studien: Die portugiesischen Heimkehrer nehmen in der Regel alle ihre Besitztümer mit nach Hause, die Italiener haben ihre Sachen zurückgelassen bzw. verkauft, wenn sie aus dem Stadtviertel wegzogen.

Nicht immer willkommen

Die Geografin Amandine Desille hat an einem Dorf in der Region Trás-os-Montes an der portugiesisch-spanischen Grenze untersucht, wie die portugiesischen Rückkehrer in der Heimat aufgenommen werden. In dem Ort sind genau zehn Häuser ganzjährig bewohnt, die Hälfte davon mit Rentnern. Sechs weitere Häuser sind Zweitwohnungen, sieben Häuser werden von Rückkehrern bewohnt, sieben stehen leer und fünf Häuser wurden von Investoren zu Ferienwohnungen umgebaut.

Obwohl dieser Zuwachs dem Dorf eine neue Dynamik und viel Arbeit gebracht hat, sind die Zugezogenen nicht willkommen, sie wurden nicht in die ursprüngliche Dorfgemeinschaft integriert.

„Entre les deux, mon coeur balance“, hat Liliana Azevedo den Vortrag genannt, in dem sie sich mit den Gründen der Aus- und Heimreise und mit den Wirklichkeiten in beiden Ländern beschäftigt hat. Die Soziologin forscht in der Schweiz und an der Universität von Lissabon. Aus ihren Arbeiten geht hervor, dass etwa ein Viertel der Immigranten vollständig zurückkehren, die meisten davon etwa zwischen 50 und 65 Jahren. Die Entscheidung fällt häufig aus materiellem Grund: Es lebt sich mit einer Schweizer oder mit einer Luxemburger Rente in Portugal weitaus besser als in dem Land, in dem man sie verdient hat.

Diesen wirtschaftlichen Betrachtungen stehen die affektiven Bindungen zu den zurückgebliebenen Kindern gegenüber. Außerdem ist die Rückkehr häufig ernüchternd. Man kommt in ein Dorf zurück, wo man nicht mehr willkommen ist, wo nur mehr wenig Leute wohnen und es kaum Versorgungsmöglichkeiten gibt. „Ich habe immer meine Einkäufe allein und nach eigenem Ermessen getätigt. Jetzt bin ich für jeden Laib Brot von meinem Mann abhängig“, hat eine Zeitzeugin der Wissenschaftlerin anvertraut. Die Frau hat keinen Führerschein und lebt, nach 30 Jahren im schweizerischen Genf, in einem Dorf mit genau 26 Einwohnern. „Was soll ich hier?“, fragt sie und scheint durchaus bereit, das portugiesische Traumhaus zu verkaufen, um in das Aufnahmeland zurückzukehren.

Stimme der Vernunft

Von der Rückkehr träumen die Männer, während die Frauen sich häufig länger als nötig in die Arbeit flüchten, um nicht umziehen zu müssen. Dazu kommt, dass die Altersversorgung in Luxemburg weitaus besser als in Portugal ist und erste gesundheitliche Probleme die Rückkehr fraglich machen. „Mein Vater ist pflegebedürftig. Er wird hier viel besser versorgt als in Portugal. Die Rückkehr ist bei uns kein Thema mehr“, erklärt Monica*, eine weitere Zeitzeugin, mit Nachdruck.

Mit diesen Überlegungen ist Aline Schiltz tagtäglich konfrontiert. Die Luxemburgerin ist Doktor der Geografie und hat die portugiesische Immigration in Luxemburg erforscht, bevor sie 2019 an die Luxemburger Botschaft in Lissabon ging. Krankenversorgung, Rentenansprüche, Steuerfragen gehören seitdem zu ihrem Alltag. „Wer nach Portugal zurückkehrt, muss sich dort rechtmäßig registrieren, das Auto ummelden und den Führerschein umschreiben lassen. Und er muss sich darauf vorbereiten, weitaus mehr Steuern zu bezahlen als in seinem Adoptionsland“, schmälert sie die Illusion vom besseren Leben mit der ausländischen Rente. So warnt die Beamtin auch vor möglichen vorteilhaften Rückkehr-Angeboten: Sie richten sich eher an junge, gut ausgebildete Rückkehrer als an Rentner.

Gut durchdacht werden muss jedoch auch die Entscheidung, aus steuerlichen Überlegungen heraus eine Adresse in Luxemburg zu behalten. Diese Adresse muss einerseits real sein, damit die Informationen weitergeleitet werden können. Andererseits können die verbliebenen Verwandten nicht beliebig viele Menschen in ihren Wohnungen anmelden, ohne Probleme mit ihrem Vermieter bzw. mit der Gemeindeverwaltung zu bekommen. „Die Menschen, die auf diesen Gründen plötzlich von jeder Registrierung verschwinden, haben keine Rechte mehr“, warnt Aline Schiltz.

Eine klare Aussage zum Thema Rückkehr oder Verweilen konnten die sechs vom CDMH eingeladenen Wissenschaftlerinnen in ihren Vorträgen nicht machen. Die Vielseitigkeit ihrer Recherchen hat jedoch die Komplexität der Fragestellung und die Notwendigkeit weiterer Forschungsarbeiten bewiesen.

* Name von der Redaktion geändert

Nicht verwechseln

Wer ist im international stark geprägten Luxemburg ein Immigrant? Was unterscheidet die Emigranten von den sogenannten „Displaced Persons“? Diese Fragen haben die Gespräche am Rande der Tagung geprägt. Immigranten sind in der internationalen Definition Menschen, die aus ihrem Land auswandern, um anderswo eine Arbeit zu finden. Die ersten Schritte machen sie häufig allein, oft unter harten Bedingungen. Mit ihrem Handwerkskasten seien sie nach Luxemburg gekommen, haben viele Portugiesen den Wissenschaftlern anvertraut.
„Displaced Persons“ hingegen sind Männer und Frauen, die für einen anspruchsvollen Job angeworben oder von ihrer Firma ins Ausland geschickt wurden. Unter diese Kategorie fallen auch die vielen Europabeamten, die nach Luxemburg kommen. Sie wissen bei ihrer Einwanderung schon genau, wie ihre Lebensplanung in den nächsten Jahren aussehen wird. Sie wollen in den seltensten Fällen ihre Rente an ihrem vorübergehenden Wohnsitz verbringen.
Amandine Desille hat bei ihrem Studium in Tel Aviv noch eine dritte Kategorie von Immigranten studiert. Und zwar die sogenannte „Alija“ der Juden. Der Begriff stammt aus der Bibel und bezeichnet die freiwillige Rückkehr ins Land Israel. In den letzten Jahren haben zahlreiche Franzosen angesichts der Spannungen in ihrem Land diese Option gewählt.

Private Eye
12. Oktober 2021 - 10.37

Was die machen .... ist mir vollkommen egal! "Ver você de novo", oder besser "nunca mais te ver". :-)

Troll
11. Oktober 2021 - 15.45

Und tschüss, hällt keen iech zréck. Di gudd Pensioun huelt dir awer sécher gären mat.

zillerthaal
9. Oktober 2021 - 23.20

Die Vergangenheit existiert nicht, der Versuch zurückzukehren wird immer scheitern.

lucilinburhuc
8. Oktober 2021 - 13.24

@Willi: Artikel gelies ?

LPM
8. Oktober 2021 - 12.24

@ Willi: Gesäit aus ewéi wann Dir den Artikel net gelies hät, soss hät der matkritt dat de Sujet vill méi komplex ass an am Alter ganz dacks aner Kritäre wéi déi reng finanziell den Ausschlag gin. D'gett iwregens och ganz vill Lëtzebuerger, déi relativ schnell mierken dat e bëllege Lidl an Aldi zu Perl oder zu Audun zwar net alles sin mee dat en, wann en do dauerhaft lieft - mat offiziellem Wunnsetz - däitlech Aschnetter a sengem Alldagsliewe muss a Kaf huelen. A Steieren a Gemengentaxen, déi sech gewäsch hun. Kenne Leit, déi ganz schnell aus D erem komm si, wéi se verstan haten, dat se demnächst finanziell un der Erneierung vun der Infrastruktur an hierer Wunnstross missten participéieren.

Wieder Mann
8. Oktober 2021 - 11.05

Et ass jo flott do sech den Kapp driwwer zerbroch get iwwert ons portugiesech Marbierger.Awer sin se dann nie kulturell zu Letzebuerg unkomm an ons Integratiounspolitik ass um Holzwee. Wien zerbrecht sech dann den Kapp iwwert ons letzebuerger Renter? Keen, d‘Politik setzt se op d‘Ofstellgleis mat der Fonktioun Melkechkouh vun der Natioun an déi jonk Generatiounen gin mat der Geldstrenz iwwerschott.

Willi
8. Oktober 2021 - 9.19

Déi Leit hun vollkommen Recht zreck an hirt Land ze goën, een Liewen zou Luxusbuerg ass nëtt méi tragbar matt deenen iwerdriwenen Liewenskäschten etc. Vill hunn dobei missen hei mam Mindestloun auskommen an dann kann een nëtt matt der Rent oder Pensioun zou Luxusbuerg iwerliewen.All Kommentar ronderem ass iwerflösség.