Über „Mettwurscht“, Selbstmordattentate und Radare: Ein Luxemburger Soldat im afghanischen Masar-e Scharif

Über „Mettwurscht“, Selbstmordattentate und Radare: Ein Luxemburger Soldat im afghanischen Masar-e Scharif

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Auch Luxemburgs Armee ist in Afghanistan präsent. Ein Soldat erzählt von seinem Alltag und was das Ganze mit „Mettwurscht“, Selbstmordattentaten und Radaren zu tun hat. Ein Porträt.

Muskelbepackte Männer mampfen Müsli. Es herrscht Rush Hour im Speisesaal des Camp Marmal. NATO-Soldaten starren die Besucher an. Deutsche, Amerikaner, Kosovaren, Montenegriner, Afghanen – und zwei Luxemburger gehören zu den 19 Nationen auf der deutschen Militärbasis in Masar-e Scharif.

Der Luxemburger Paul Schmit* ist einer von ihnen. Er spaziert mit den Gästen aus der Militärkantine. Am Ausgang hängen Werbeschilder: „Kampf um das Wissen“, „Preis-Skat“, „Night Party. Planet Mazar“ und „Swedish Armed Forces Entertainers“. „Die Schweden haben mich zu ihrer Feier eingeladen“, erzählt Schmit. Es sei einfach, mit Soldaten aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. Militärs aus der ganzen Welt seien vor Ort. Man treffe ständig auf neue Gesichter.

Was nach Friede, Freude, Eierkuchen klingt, entpuppt sich schnell als das, was es eigentlich ist: der militärische Einsatz in einer der gefährlichsten Regionen der Welt. „Nein, ich verlasse das Camp nicht. Das Risiko ist zu groß“, gibt Schmit offen zu. „Ich bin skeptisch, was die lokale Bevölkerung angeht.“

Es gebe regelmäßig Selbstmordanschläge und Attacken auf Militärbasen. Niemand traut niemandem im Kriegsgebiet. Schmit nimmt das Ganze aber locker. Das Camp lässt eine bizarre Normalität zu. „Wir arbeiten im Durchschnitt von 7 bis 19 Uhr. Danach kann ich noch Sport treiben, einen Kaffee trinken oder etwas essen gehen.“ Auch Heimweh sei nicht mehr so schlimm wie früher. „Wir haben Facebook und WhatsApp. Das hilft, mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben.“

Zwei Bier pro Tag

Im Camp Marmal plagen den Luxemburger auch ganz alltägliche Probleme. „Man darf auf unserem Gelände nur 20 km/h fahren. Wer darüber liegt, wird gnadenlos geblitzt.“ Selbst im fernen Afghanistan gibt es keine Freiheit für motorisierte Gefährte. Der Gedanke amüsiert Schmit.

Nicht weniger streng sind die Regeln am Wochenende. Das Militär versucht, im Camp Marmal mit Feiern und Spieleabenden von der kriegerischen Realität abzulenken. Besonders die Niederländer sind dafür bekannt, ätzende Partysongs laufen zu lassen. „Sie sind laut. Aber um 23 Uhr ist Feierabend. Auch am Wochenende.“ Die Soldaten arbeiteten in Schichten. Deswegen dürfe man es nicht übertreiben.

Selbst die aus Filmen bekannten Trinkgelage der Soldaten werden nicht toleriert. Zumindest offiziell. „Jeder Soldat darf pro Tag zwei Bier trinken.“ Der Luxemburger zieht ein Kärtchen aus seiner Tasche. „Die muss ich immer zeigen und stempeln lassen.“ Schmit lacht herzlich. Während man es beim Bier bürokratisch hält, läuft auf dem Basar des Camps alles informell ab. „Man muss feilschen können“, mahnt der Luxemburger mit strahlenden Augen. Teppiche, Plastikhüllen für Ausweise, aber auch Datenträger werden verkauft.

Die Händler stammen aus der Umgebung. Sie werden einzeln ausgewählt und auf Herz und Nieren geprüft. Niemand von ihnen lebt im Camp. Sie durchlaufen jeden Tag vor dem Betreten des Marktes eine strenge Kontrolle. Die Sorge: dass sie mit den Taliban kooperieren. Rauschgiftschmuggel, aber auch Selbstmordattentate sollen unterbunden werden.

Sprengstoff im Mülleimer

Dass es jedoch keine Terroristen braucht, um Soldaten in Gefahr zu bringen, zeigt der Blick auf die Mülltonnen. Im gesamten Camp stehen grüne Tonnen mit einem Warnhinweis. Die Soldaten sollten folgende Gegenstände nicht in den gewöhnlichen Müll werfen: „Propangasflaschen, Brennstoffkartuschen, Spraydosen, Farbe, Benzin/Öl, Bauschutt, Bauholz/Metall, Chemikalien, Munition, Sprengstoffe“.

Auch das menschliche Zusammenleben kann gelegentlich explosiv sein. Sprachbarrieren und kulturelle Eigenheiten spielen laut Schmit eine besondere Rolle: „Ich erinnere mich an eine türkische Führungskraft. Der Mann hat leider kein sauberes Englisch gesprochen, aber einen zentralen Führungsposten innegehabt. Nach einem Monat musste er die Stelle räumen.“

Er zeigt Verständnis. Auch er habe in Luxemburg nur Schulenglisch gelernt. Es habe eine Weile gedauert, bis es wieder aufgefrischt worden sei. Bei dem türkischen Militärvertreter sei hingegen jegliche Hoffnung verloren gewesen. „Das war ganz schön delikat. Sein Stolz war ihm wichtig. Wie soll man das kommunizieren? Welche Hierarchiestelle wird eingebunden? Wie vermeidet man den Gesichtsverlust?“ Auf all diese Fragen gebe es keine einfachen Antworten.

Weniger kompliziert sind die kleinen Freuden im Leben. Ein Mitarbeiter des Außenministeriums hat Schmit während Jean Asselborns Visite im Camp Marmal „Soul Food“ aus Luxemburg mitgebracht: rund zwei Dutzend „Mettwurschten“.

* Name und Rang wurden aus Sicherheitsgründen von der Redaktion geändert. Auf ein Foto musste ebenfalls verzichtet werden.