„Wie findest Du Nora Wageners Erzählband ‚Die Sperber-Bussard-Frage‘?“, tippt die Journalistin in den Gesprächsverlauf mit dem Chatbot von Microsoft, genannt Copilot, ein. Seine Meinung zählt, immerhin befasst Wagener sich in ihren 13 Erzählungen mit dem Internet und widmet Unterhaltungen mit KI-Robotern das Kapitel „Die Bot-Gespräche“. „Nora Wageners Erzählband ist ein vielschichtiges, kluges und zugleich humorvoll-melancholisches Werk, das sich mit den Absurditäten und Herausforderungen der digitalen Gegenwart auseinandersetzt“, findet der Copilot.
Applaus für Wagener, den Chatbot hat sie überzeugt. Auf das Lob folgt eine ungefragte Auflistung der Themen, welche die Autorin in ihrem Buch behandelt: Digitalisierung der Arbeitswelt; Online-Shopping und Secondhand Plattformen und so fort. „Ein Erzählband, der sich ideal für Leser*innen eignet, die sich für die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, zwischen Nähe und digitaler Distanz interessieren“, so der Copilot. „Möchtest du eine bestimmte Geschichte daraus näher beleuchtet haben?“ Die Versuchung ist groß. „Mach’ mal“, antwortet die Journalistin. Das Ergebnis: drei Zusammenfassungen, ein Fazit – zu lang, um sie dem Lektorat des Tageblatt vorzuführen.

Untiefen des Internets
Ein Selbstexperiment, das aus Wageners Feder stammen könnte. Wer das Buch aufschlägt, taucht unmittelbar in digitale Welten ein. Weiterlesen darf nur, wer den Authentifizierungstest auf der zweiten Seite besteht. „Wählen Sie alle Bilder mit Bürsten aus“, prangt dort über einem Bilderrätsel – im Fachjargon Captcha genannt –, wie sie oft auf Websites aufpoppen.
Es ist ein erstes Anzeichen dafür, dass die Autorin den Erzählband als Spielwiese begreift: Sie beschreibt die unterschiedlichsten Charaktere, bedient sich verschiedener Textformen und Tonfälle. Was die einzelnen Geschichten im Innersten zusammenhält, ist das Internet. Welche Generationskonflikte provoziert es? Wie verändert es unser Dating-Verhalten? Wie beeinflusst es unser Konsumverhalten? Und wie Straftaten wie Stalking? Wagener geht diesen und anderen Fragen mit Humor (ja, der Copilot hat recht!) und oft mit Empathie für ihre Figuren auf den Grund.
Jede Story hat ihre Eigenheit, jede ihren „Aha-Moment“. Auch wenn manche Debatten, wie jene über die Eskalation in Internetforen („Die Sperber-Bussard-Frage“) oder die Generationsunterschiede in Bezug auf die Internetnutzung („Die Bürstenwelt“, „The Most“) teilweise abgedroschen wirken. Genauso wie die Diskussionen über die Selbstinszenierung von Internetpersönlichkeiten („Der Trip“): Wagener schickt letztere in den „Fake“-Urlaub, was amüsant, aber im Vergleich zu den anderen Geschichten wenig originell ist. Ihre kryptischeren Erzählungen („Der Zaungast“, „Das Kein-Sorgenkind“) sind dagegen spannender. Sie muten schon fast dystopisch – oder utopisch, je nachdem, wen Sie fragen – an: In „Der Zaungast“ wird nicht nur mit Klamotten, sondern auch mit Familien gehandelt; in „Das Kein-Sorgenkind“ existiert das Internet nur noch in einem Schnellhefter.
Fatshaming?
Fallen diese Erzählungen positiv auf, fährt das latente Fatshaming in dem Buch der Autorin je nach Publikum ein paar Minuspunkte ein. Sätze wie die folgenden könnten schließlich Klischees festigen, nach denen übergewichtige Menschen aus Prinzip teilnahmelos, unzufrieden und krank sind: „In den vergangenen Jahren war er, in Zusammenhang mit einer kontinuierlichen Gewichtszunahme, auf die lethargische Seite gerutscht oder war es andersherum passiert, ein Fall lethargisch bedingten Dickwerdens[?]“ („Das Kein-Sorgenkind“, S. 152); „Lizzo kommt mit ihren Proportionen ungefähr an meine heran und ich verstehe nicht im Geringsten, weshalb man so einen Körper akzeptieren und lieben sollte. (…) Wenn ich mich selbst liebe – dann nehme ich doch mir zuliebe ab! Dann akzeptiere ich zuallererst einmal (…) dass ich ein Problem habe und eventuell Hilfe benötige.“ („Bot-Gespräch V“, S. 177 und S.179). Ferner heißt es dort „Wir haben also Anorexie und Bulimie für inakzeptabel erklärt, aber Fettleibigkeit soll auf einmal schön und gut sein, dass einer (genau wie die Magermodels) die Kontrolle über seinen Appetit und seinen Körper verloren hat“ (S. 178). Ist das der Versuch der kritischen Auseinandersetzung mit Körperbildern im Netz? Wenn ja, kommt das zumindest bei der Autorin dieser Zeilen nur bedingt an.
Und beim Copiloten? Der will nichts von Fatshaming in Nora Wageners Erzählband wissen. Dafür hat er Vorschläge, worüber die Autorin sonst noch schreiben könnte: „Ein Roman über digitale Identität und Erinnerung; ein Theaterstück oder Hörspiel über Chatbots und KI (…) oder ein interaktives Buchprojekt, das mit Hyperlinks, eingebetteten Medien oder Leser*innen-Entscheidungen arbeitet.“
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können